Doktorandinnen-Blues

7. April 2021 von Laborjournal

(Hin und wieder schicken uns Doktorandinnen und Doktoranden Klagelieder über die Bedingungen ihrer Promotion. So wie das folgende … )

An der Uni gibt es eine klare Rangordnung. Ganz unten stehen die Erstsemester – jung und naiv, aber voller Tatendrang. Mit jedem Semester arbeitet man sich ein Stück weiter nach oben, wird größer, stärker und klüger und legt nach und nach seine Illusionen ab. Aber immerhin: Man wird langsam ernst genommen. Wer schließlich seine Abschlussarbeit anfertigt, ist Super(wo)man.

Obendrüber gibt es nur noch die Doktorandinnen und Doktoranden. Sie wissen, wie der Hase läuft, machen ihr eigenes Ding, verdienen Geld. Sie stehen an der Spitze der Uni-internen Coolness-Skala.

Zumindest dachte ich das als Studentin. Jetzt bin ich selbst Doktorandin und fühle mich wie der letzte Idiot. Und ich bin nicht allein damit. Was ist passiert? Liegt es an mir? Bin ich zu doof für diesen Job? Möglich. Aber alle anderen auch? Wohl kaum.

Als Studentin sah ich all die Haken nicht, an denen die Spezies Doktorand gemeinhin zappelt. Einer davon ist die absolute Abhängigkeit vom Chef. Niemand kann gegen den Willen seines Betreuers promovieren (mal ganz abgesehen von Kaffeepäuschen- oder gar Urlaubmachen). Mit ihm steht und fällt jede Doktorarbeit. Die meisten Chefs sind totalitäre Herrscher. Sie sind selten daran interessiert, ihren jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Wissenschaftlerleben leichter zu machen. Ihnen ist es früher ja auch nicht besser ergangen (und schau, was trotzdem aus ihnen geworden ist)! Wer einen Lehrstuhl erklimmen will, muss anscheinend auf die „Dunkle Seite der Macht“ wechseln. Führungsqualitäten? Fehlanzeige.

Und dann die Mitarbeitermotivation. Welche Doktorandin wird schon von ihrem Chef gelobt? Nicht jeder kommt mit „Ned gschumpfe isch globd gnuag!“ zurecht wie die braven Schwaben. Statt Lob gibt es Druck: „Eine Vertragsverlängerung hängt von deinem Einsatz und Erfolg ab.“ Oder: „Wer fertig werden will, muss eben mal auf Freizeit verzichten.“

Gibt dein Chef dir wichtige Termine bekannt oder informiert dich über neue Mitarbeiter? Meiner nicht. Kürzlich kam ich morgens ins Labor und fand mich Aug in Aug einer Unbekannten gegenüber – statt wie erwartet einem Schreibtisch voller Manuskripte und Gel-Bilder und ansonsten Totenstille. Nachdem sie sich auch nach mehrfachem Blinzeln nicht in Luft aufgelöst hatte, gab ich mir einen Ruck und fragte „Wer bist Du?“ Sie antwortete: „Die neue Gastwissenschaftlerin.“

Gleiches gilt für Besuche von Seminar-Gastsprechern oder Kandidaten für die neue Promotionsstelle: Wenn sie uns mehr als einen Tag im Voraus angekündigt werden, ist das ein Erfolg!

Nicht zu vergessen die Besprechungen mit dem Chef, zu denen man sich superpünktlich vor dessen Tür einfindet, um dann wegen eines wichtigen Telefonats erst eine halbe Stunde zu warten und anschließend für einen neuen Termin auf unbestimmte Zeit vertröstet zu werden. Kommt dir bekannt vor? Willkommen im Club!

Wenn die Besprechung schließlich doch stattfindet, wird alles gut. Man bespricht seine Probleme und Ergebnisse mit einem fachlich bewanderten Wissenschaftler und ist danach einen Riesenschritt weiter. Tja, schön wär‘s! Mit unstimmigen Ergebnissen konfrontiert, klopfen die Bewanderten gern erstmal den Experimentator selbst nach Fehlern ab. „Bist du denn sicher, dass du die Proben nicht vertauscht hast?“ ist ein Klassiker. „Hast du das richtige Protokoll verwendet?“ ist ähnlich hilfreich.

Besonders moraluntergrabend ist freilich der Rückhalt von Informationen, etwa über bereits durchgeführte Experimente. Hast du dich schon mal monatelang mit einem Versuch abgemüht, der einfach nicht klappen wollte, um viel später zu erfahren, dass schon zwei Leute in der Gruppe an diesem Ansatz gescheitert waren? So macht man aus Doktoranden hoffnungslose Versager.

Man kann Menschen kaum ändern, und seinen Chef meist am allerwenigsten. Da hilft nur eine gesunde Portion Selbstvertrauen. Aber halt, die hatten wir doch schon mal – damals im Studium. Was ist seitdem nur damit passiert?

Bria Fraser

(Zeichnung: Chris Schlag)

 

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