Attraktiver Verlierer

28. Juli 2020 von Laborjournal

Vor einiger Zeit entspann sich folgender Dialog in der Redaktion:

„Du, ich hab jetzt erst deinen Artikel über den Typen gelesen, der ewig lange vergeblich versucht hat, dieses eine Membranprotein zu reinigen.“

„Und? Ist irgendwas falsch?“

„Nein, darum geht es nicht. Vielmehr hat mich die Geschichte zum Nachdenken gebracht. Der arme Kerl hat doch nach allen Regeln der Kunst jede verfügbare Methode genutzt, um die Nuss zu knacken. Sogar wirklich kreative neue Kniffe hat er sich ausgedacht.“

„Richtig, so steht’s in dem Artikel. Nur hat’s ihm nix genutzt. Er hat die Nuss nicht geknackt, weil es mit dem zu dieser Zeit verfügbaren Methoden­arsenal einfach nicht gehen konnte — wie sich später rausstellte. War eben auch ein riskantes Projekt.“

„… Also hat er eines Tages frustriert die Doktor­arbeit hingeschmissen und der Forschung komplett den Rücken gekehrt.“     

„Ja, der Fall ist leider wirklich passiert. Und abge­sehen davon auf ganz ähnliche Art wahrscheinlich weit, weit öfter.“

„Sicher. Aber jetzt überleg mal weiter. Der Typ muss doch im Laufe dieser Jahre zu einem wahren Experten im Reinigen von Membranproteinen geworden sein. Und damit regelrecht prädestiniert für höhere Aufgaben — für die ganz harten Nüsse, für die echt heftigen Projekte! Viele seiner vermeintlich erfolgreicheren Doktoranden-Kollegen kochen dagegen mit einer lange etablierten 08/15-Methode ein ziemlich dünnes Süppchen aus bewährten Früchten — et voilà: Gratuliere zum akademischen Grad!“

„Tja, genau den hat unser Verlierer aber leider nicht geschafft.“

„Ja, aber dennoch: Stellen wir uns mal vor, ich wäre Chef einer kleinen Biotech-Firma. Wenn du mich jetzt fragst, wen ich eher als Mitarbeiter einstellen würde — einen ‚Stur-nach-einer-Methode-Kocher‘ mit Doktortitel oder diesen ‚gescheiterten‘ Pechvogel, der auf kreative Weise alles Mögliche probiert hat —, also meine Antwort wäre ja sowas von klar…“

„Hm, da ist sicher was dran. Zumal unser Pechvogel am Ende echtes wissenschaftliches Arbeiten trotz fehlender Resultate womöglich viel tiefer erfahren und gelernt haben dürfte als seine Kollegen, die mit einem ‚Die-Methode-bringt-mich-sicher-um-die-nächste-Ecke‘-Projekt allzu glatt zum Titel durchflutschen.“

Ralf Neumann

(Zeichnung: Rafael Florés. Weitere Labor-Abenteuer unseres „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

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Ein Gedanke zu „Attraktiver Verlierer“

  1. Erik Maronde sagt:

    Manchmal reicht dann ein kleines „Proof of Concept“ Experiment zum Titel. Ein guter Mix aus riskantem und konventionellem sollte es sein. Gute Betreuer achten darauf.

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