Manuskript verbessern? Muss nicht wirklich sein!

27. Oktober 2021 von Laborjournal

Peer-Review soll bekanntlich die Qualität und Klarheit der Forschungsberichte verbessern. Doch Hand auf’s Herz – adressieren Sie bei der Überarbeitung eines zurückgeschickten Manuskripts tatsächlich in diesem Sinne alle substantiellen Einwände und Vorschläge der Reviewer, um es besser zu machen? Damit das Journal es im zweiten Anlauf womöglich akzeptiert?

Oft kommt es gar nicht so weit, weil viele das Manuskript gar nicht mehr zur selben Zeitschrift schicken, sondern es gleich beim nächsten Journal unterzubringen versuchen. Das muss zwar nicht automatisch heißen, dass die Reviewer-Vorschläge zur Verbesserung der Erstversion dafür gar nicht aufgegriffen werden. Allerdings liegt es schon nahe, dass viele Manuskripte genau aus diesem Grund bei einem anderen Journal zweiteingereicht werden: Um sich die Zeit und die Mühe von teilweise aufwendigen Änderungen zu sparen.

Ein Chirurgen-Trio von der University of Texas in Austin hat dieses Thema mal genauer untersucht – und die Ergebnisse in Accountability in Research vorgestellt („The effect of peer review on the improvement of rejected manuscripts“, Vol 28(8): 517-27). Zum Studiendesign schreiben sie im Abstract:

Zunächst haben wir alle umsetzbaren Vorschläge in den Ablehnungsschreiben von 250 zufällig ausgewählten Manuskripten einer bekannten orthopädischen Fachzeitschrift aus dem Jahr 2012 identifiziert. Danach durchsuchten wir PubMed und Google Scholar und verglichen den letztlich veröffentlichten Text mit der ursprünglichen Einreichung, um festzustellen, ob die Vorschläge der Gutachter berücksichtigt wurden.

Die Ergebnisse fassen sie zunächst wie folgt zusammen:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Sind Forschungspreise eher kontraproduktiv?

20. Oktober 2021 von Laborjournal

Letzte Woche erschien in Nature Communications ein Artikel mit dem Titel „Scientific prizes and the extraordinary growth of scientific topics“ (Vol. 12, Article number: 5619) – auf Deutsch also: „Wissenschaftliche Preise und das außergewöhnliche Wachstum wissenschaftlicher Themen“. Im Abstract sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen etwa folgendermaßen zusammengefasst:

Schnell wachsende wissenschaftliche Themen verschieben bekanntermaßen die Grenzen der Wissenschaft. Groß angelegte Analysen, wie dies genau geschieht, gibt es allerdings kaum. Wir haben daher einen potenziellen Faktor untersucht, der mit dem außergewöhnlichen Wachstum eines Themas zusammenhängt: wissenschaftliche Preise. In einer Längsschnittanalyse haben wir fast alle anerkannten Preise weltweit untersucht, die sich insgesamt über mehr als 11.000 wissenschaftlichen Themen aus 19 Disziplinen streuen. Tatsächlich erfahren Themen, die mit einem wissenschaftlichen Preis verbunden sind, ein außerordentliches Wachstum hinsichtlich Produktivität, Einfluss und neuem Personal. Im Vergleich zu nicht-preisgekrönten Themen produzieren diese in den ersten fünf bis zehn Jahren nach der Preisverleihung 40 Prozent mehr Veröffentlichungen und 33 Prozent mehr Zitierungen. Zudem halten sie 55 Prozent mehr Wissenschaftler im Feld, gewinnen überdies 37 Prozent mehr Neueinsteiger hinzu – und produzieren 47 Prozent mehr Starwissenschaftler. Die Finanzierung ist für das Wachstum eines preisgekrönten Themas nicht maßgeblich. Vielmehr steht das Wachstum in einem positiven Zusammenhang mit dem Ausmaß, in dem der Preis disziplinspezifisch ist, für neuere Forschung verliehen wird oder mit einem Preisgeld dotiert ist. Diese Ergebnisse offenbaren daher eine neue Dynamik hinter wissenschaftlichen Innovationen und Investitionen.

Also in einem Satz kurz zusammengefasst: Themenfelder, die einen oder gar mehrere Preise einstreichen, werden nachfolgend in aller Regel wachsen – jedenfalls im Mittel.  Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Verwaltung nervt!

14. Oktober 2021 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“:

 

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[…] Die Zahl des Verwaltungspersonals an vielen Universitäten wächst stetig, und zunehmend drängen sie mit immer nervenderen Forderungen der Art „Entschuldigung-aber-wir-müssen-diese-Sache-unbedingt-juristisch-wasserdicht-absichern-und-brauchen-dazu-umgehend-noch…“ in die wertvolle und sehr begrenzte Zeit von uns Wissenschaftlern hinein. Sogar Weltklasse-Unis, wie die in Oxford, bleiben davor nicht verschont. Die Konsequenz ist, dass Wissenschaftler immer weniger Zeit aufbringen können, um wirklich tief und sorgfältig über Strategien nachzudenken, wie sie ihre Forschungsprojekte besser entwickeln könnten. Noch weniger Zeit bleibt – und das wäre vielleicht sogar noch wichtiger –, in der Wissenschaftler kostbare Stunden mit ihren Kollegen in lockerer Plauderei darüber verbringen dürfen, welche wirklich großen neuen Fragen gestellt werden müssen und wie diese am besten angegangen werden können. […]

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… Sagte Stephan Feller, Professor für Tumorbiologie am Institut für Molekulare Medizin, ZAMED, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, in Laborjournal 7-8/2017 („Jenseits des Hamsterrads“, S. 6-11)

 

Der ewige Ursprung des Lebens

12. Oktober 2021 von Laborjournal

Ende September brachte die Hiroshima University eine Pressemeldung mit dem Titel „Answering a century-old question on the origins of life“ heraus. Der Untertitel lautete: „A team of Japanese scientists found the missing link between chemistry and biology in the origins of life“. Ohne weiter auf den Inhalt oder das zugehörige Original-Paper in Nature Communications eingehen zu wollen: Was stört an dem Untertitel?

Schon der Untertitel suggeriert, dass die chemischen Reaktionen, die die Japaner beobachtet haben, sich vor Urzeiten tatsächlich als Vorstufe zur Entstehung des Lebens abgespielt hätten. Das jedoch kann die Origin-of-Life-Forschung in letzter Konsequenz gar nicht feststellen – und zwar schon rein prinzipiell.

Um dieses Dilemma, in dem die Forschung zum Ursprung des Lebens steckt, im Detail klarzumachen, bemühten wir bereits vor zwei Jahren in unserer Kolumne „Schöne Biologie“ die folgenden Beispiele: Diesen Beitrag weiterlesen »

Windige Maßnahmen

7. Oktober 2021 von Laborjournal

In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“:

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Im Herbst 2021

5. Oktober 2021 von Laborjournal

Wo stehen wir heute nach über zwanzig Jahren „Public Understanding of Science“?

Ein Gastbeitrag von Ernst-Peter Fischer

Zum einen: Die seit 1965 existierende Politik- und Kulturzeitschrift „Kursbuch“ bekommt eine neue Mitherausgeberin, die Astrophysikerin, Buchautorin und FAZ-Redakteurin Sibylle Anderl. In der Begründung dieser sicherlich guten Erweiterung zitiert das alte Herausgebergremium Andere selbst mit den Worten: „Wir stehen derzeit vor einer Reihe gesellschaftlicher Herausforderungen, die ganz entscheidend den Transfer wissenschaftlichen Wissens in die Öffentlichkeit verlangen.“

Ach du meine Güte! Das versucht man mit der Initiative „Public Understanding of Science“ seit mehr als zwanzig Jahren – und ist dabei kläglich gescheitert, weil immer dieselben alten Leute immer dieselben alten Wege gehen. Und jetzt stapft alles weiter in die falsche Richtung. Es ist zum Heulen und Zähneklappern.

Zum zweiten: In der Süddeutschen Zeitung vom 2./3. Oktober 2021 beklagt sich der Lyriker, Romancier und Verleger Michael Krüger darüber, dass es im Bundestagswahlkampf an keiner Stelle um Bildung und Kultur ging. Für mich gehört in besonderer Weise die Wissenschaft zu diesem Duo, da nicht nur ihre Produkte (Chips, iPhones,…), sondern auch die dazugehörigen Weltanschauungen die Gegenwart und das Denken der sich darin auslebenden Gesellschaft prägen.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat eine eigene Abteilung für „Bildung und Wissenschaft“, die am 1. Oktober zur Vorstellung einer Studie lud, in der es um die Frage „Wissenschaft für das Allgemeinwohl, die Wirtschaft oder die Politik?“ ging. Wem das schon ziemlich ungebildet vorkam, wurde bei dem begleitenden Text noch verzweifelter. Hier war nämlich zu lesen: „Wissenschaft hat Konjunktur“ – und zwar deshalb, weil nur sie „einen Ausweg aus der Jahrhundertkrise der Corona-Pandemie“ zeigen kann, die die Stiftung meint.

„Ach!“, würde Loriot sagen, ohne zu ahnen, dass nach diesem lächerlichen Auftakt ein erschreckender Satz kommt: „Gleichzeitig ist Wissenschaft für viele ein unbekanntes Terrain“ – und die meisten Menschen „wissen wenig darüber, wie sie funktioniert.“ Das stimmt leider, doch es stimmt zugleich unendlich traurig, dass solch ein Satz noch mehr als zwanzig Jahre nach Gründung der bereits erwähnten und bestens finanzierten Initiative mit Namen „Public Understanding of Science“ geschrieben werden kann, aus der eine mit viel Personal bestückte und als GmbH organisierte Arbeitstruppe hervorgegangen ist, die sich für „Wissenschaft im Dialog“ zuständig fühlt.

Wobei die Öffentlichkeit allerdings ausgeschlossen bleibt. Jedenfalls habe ich noch niemanden getroffen, der zum Dialog aufgefordert worden ist. Erneut haben dies das oben zitierte Kursbuch und der Wahlkampf gezeigt.

Bildung und Wissenschaft haben es in Deutschland schwer, wo Ethikräte das Sagen habe, die nicht auf die Idee kommen, zu überlegen, welche Wissenschaft die Gesellschaft braucht – dazu fehlt den Mitgliedern offenbar die Bildung, die sie mit der Kompetenz verwechseln, die sie sich selbst zuschreiben. Vielmehr üben sich Ethikräte mit Rätinnen verbissen in der Kunst, es nicht gewesen zu sein.

Bildung zählt nichts mehr im einstigen Land der Dichter und Denker. Und eines Tages werden alle Menschen dafür zahlen müssen, ganz gleich, ob sie das verstehen oder nicht.

Zum Dritten ein vergnügliches Zitat von Gustave Flaubert: „Ich habe immer versucht, in einem Elfenbeinturm zu leben, aber ein Meer von Scheiße schlägt an seine Mauern, genug, um ihn zum Einsturz zu bringen.“ In solch einem Elfenbeinturm sitzen Bildung und Wissenschaft. Und es ist nicht zu übersehen, wer da mit der Scheiße schmeißt.

 

Ernst Peter Fischer ist Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftspublizist. Nach dem Studium der Mathematik, Physik und Biologie promovierte er bei Max Delbrück am California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena – und habilitierte sich schließlich in Wissenschaftsgeschichte an der Universität Konstanz. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze – darunter beispielsweise „Die andere Bildung“ oder „Das große Buch der Evolution“.

(Illustr.: Vera Villanueva)