Masken-Effekte

30. September 2020 von Laborjournal

In unserer Reihe „Forscher Ernst und die Corona-Krise“ …

 

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Langsam, aber sicher?

23. September 2020 von Laborjournal

Es ist schon eine Weile her, da erinnerte auf Twitter ein kanadischer Zellbiologe an Barbara McClintock, die Entdeckerin mobiler genetischer Elemente. Genauer gesagt, referierte er lediglich eine kleine Anekdote über die Nobelpreisträgerin von 1983. Demnach wurde sie einmal gefragt, ob es nicht ärgerlich sei, mit Maispflanzen zu arbeiten, da sie doch eine so langsame Generationszeit von sechs Monaten haben. „Nein, ganz und gar nicht“, soll die Genetikerin darauf geantwortet haben. Tatsächlich würden ihr nicht mal diese sechs Monate genug Zeit geben, um gründlich über ihre Daten nachzudenken und sorgfältig die nächsten Experimente zu planen.

Klar, dass der Twitterer die Anekdote zu einem Plädoyer für eine Entschleunigung der Forschung nutzte – für sogenannte „Slow Science“. „Es scheint, dass wir in der Wissenschaft mittlerweile das Hauptaugenmerk auf Geschwindigkeit legen“, schrieb er im nächsten Tweet. Und er sinnierte weiter: „Vielleicht sollten wir der ‚Langsamkeit‘ wieder mehr Raum geben, sowie sorgfältige Betrachtung und gründliche Aufarbeitung stärker wertschätzen. Wir sollten gerade diejenigen besonders respektieren, die sich dem Hamsterrad des Publikationsdrucks entziehen und sich stattdessen die nötige Zeit nehmen, um eingehend über ihre eigenen Daten und diejenigen anderer Gruppen nachzudenken.“ Und er schloss: „Wissenschaft ist schließlich kein Wettrennen, sondern ein Prozess – und geht auf diese Weise mal schnell und mal langsam voran.“

Natürlich erhielt der Kanadier viel wohlmeinenden Zuspruch. Der Tübinger Max-Planck-Direktor Detlef Weigel steuerte etwa noch die Anekdote bei, dass ein US-Kollege ob der langen Generationszeit von Arabidopsis mal ganz ähnlich antwortete: Er habe dadurch mehr Zeit, zwischen den Experimenten in den Bergen wandern zu gehen.

Gut gemeint, das alles. Und richtig sowieso. Dass das Forschungssystem heute mit gefährlich überdrehtem Motor läuft, ist vielen klar. Aber dennoch: Erzählen Sie das mal als Dauerstellen-Inhaber ihren befristet eingestellten Mitarbeitern, die vor drohendem Vertragsende in ein bis zwei Jahren noch dringend Daten brauchen: Dass sie zwei Gänge rausnehmen und sich auf „Slow Science“ besinnen sollen…

Ralf Neumann

Wenn Forscher zu viele Ideen haben

16. September 2020 von Laborjournal


Eigentlich müssten gute Forscher diese Zeiten hassen.

Warum das?

Fangen wir an mit der Frage, was einen guten Forscher generell ausmacht. Er sollte offene Probleme erkennen, die richtigen Fragen sowie plausible Hypothesen dazu formulieren — und insbesondere Ideen generieren, wie man die Fragen und Hypothesen auf elegante Weise lösen und prüfen könnte.

Das Dumme dabei ist: Jemand, der wirklich gut darin ist, wird viel mehr Ideen produzieren, als er tatsächlich in konkreten Projekten verfolgen und zur „Erkenntnisreife“ bringen kann. Das ist die Kehrseite der immer engeren, zugleich aber immer aufwendigeren Spezialisierung der letzten Jahrzehnte. (Nicht umsonst kursiert zu diesem Dilemma schon lange der Spruch: „Wir erfahren immer mehr über immer weniger — und das wiederum wird immer teurer.“)

Nehmen wir etwa den Max Perutz, den österreichisch-britischen Nobelpreisträger des Jahres 1962. Bekanntlich arbeitete er die allermeiste Zeit seines Forscherlebens ausschließlich — und sehr erfolgreich — an Hämoglobin. Glaubt jemand tatsächlich, dieser brillante Forscher hätte nur gute „Hämoglobin-Ideen“ gehabt? Sicher nicht. Die meisten hat er selbst jedoch nicht weiter verfolgen können, weil sein Hämoglobin-Projekt schon sämtliche finanziellen, technischen und personellen Ressourcen komplett beanspruchte.

Was blieb ihm also übrig? Einen Teil seines „Ideen-Überschusses“ wird Perutz womöglich Kollegen mitgeteilt haben, von denen einige wiederum eventuell die eine oder andere tatsächlich realisierten. Ein gehöriger Teil seiner guten Ideen wird ihm jedoch vielmehr wie Sand zwischen den Fingern zerronnen sein.

Und so dürfte es heute auch vielen anderen gehen. Schließlich ist heute allzu gut bekannt, dass nur ein Bruchteil aller interessanter Ideen am Ende tatsächlich in ein konkretes Forschungsprojekt münden. Der ganze Rest ist unter den Zwängen des aktuellen Systems „gerade einfach nicht realisierbar“.

Schade, wie viele überaus fruchtbare Körner da auskeimen könnten — aber dann doch unbemerkt vertrocknen.

 

(Übrigens sah der US-Physiker David Harris dies vor einigen Jahren offenbar ganz ähnlich, als er sagte: „Gute Wissenschaftler haben in der Regel viel mehr Ideen, als sie verwerten können. Es wäre besser, wenn sie diese mit anderen teilen könnten.“ Zu eben diesem Zweck gründete er damals das Journal of Brief Ideas. Sicher eine gute Idee, die allerdings bis heute leider auch nicht wirklich zur vollen Reife erblüht ist: Das Journal läuft immer noch als Beta-Version.)

Ralf Neumann

(Illustr.: iStock / efks)

Förderung zum Beantragen einer Förderung

8. September 2020 von Laborjournal

In der E-Mail heute eine Pressemeldung der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover – Überschrift: „EU-Förderung: 9 Millionen Euro für Meeresforschung“. Ein internationales Forscherteam aus Tiermedizin, Bioakustik, Populationsbiologie, Schiffsbau und Ingenieurwesen wird demnach im EU-Förderprogramm Horizon 2020 über vier Jahre mit 9 Millionen Euro gefördert. Davon geht eine Million Euro an das Institut für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo).

So weit, so gut. Eine Fördermeldung wie viele andere. Was uns jedoch stutzen ließ, war der letzte Absatz der Meldung, wo es heißt:

In der Antragsphase wurde das ITAW mit einer Förderung aus dem Europa-Programm des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur unterstützt. Die Mittel stammen aus dem Niedersächsischen Vorab der VolkswagenStiftung. Siebert sagt: „Die Antragsphase war sehr aufwändig. Dank der Förderung war es möglich, dass sich ein Mitarbeiter auf die Vorbereitung des Antrages konzentrieren und die Projekttreffen mit unseren zahlreichen internationalen Partnern organisieren konnte. Das war unter anderem ausschlaggebend für den Erfolg des Antrages!“

Dass man bei Antragstellung innerhalb des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation wahre Monster an Bürokratie bezwingen muss, ist ja hinlänglich bekannt. Ebenso ist es bei einigen Mega-Förderprogrammen durchaus üblich, dass man aus vielen kleinen Vorab-Anträgen eine Handvoll vorauswählt, die dann mit einer entsprechenden Vorab-Förderung des betreffenden Fördergebers erst die vollständigen Groß-Anträge produzieren. Schon hierbei ist ja fraglich, ob dies tatsächlich die effizienteste aller erfolgsversprechenden Verfahrensvarianten darstellt. Aber dass die Hannoveraner jetzt offensichtlich die Förderung eines Dritten brauchten, um die Antragsphase für die eigentliche Projektförderung überhaupt bewältigen zu können – das kann’s doch nun wirklich nicht sein! Zumal sie ja trotz allen Aufwands auch hätten leer ausgehen können.

Oder haben wir diesen letzten Absatz irgendwie falsch verstanden?

Ralf Neumann

(Illustr.: iStock / erhui1979)