Ist A=B dasselbe wie B=A?

26. Juli 2023 von Laborjournal

Nichts ist in der Forschung eine derart heikle Angelegenheit wie die richtige Reihenfolge der Autorinnen und Autoren auf einem Paper. Wobei die ganze Angelegenheit nochmal eine Spur delikater geworden ist, seitdem sogenannte Co-Erstautorschaften rasant zugenommen haben.

Der Grund für Letzteres ist klar: Immer mehr Paper können nur noch durch die gleichwertige Kooperation mehrerer Gruppen mit jeweils verschiedener Expertise entstehen. Was nicht selten dazu führt, dass am Ende zwei oder mehr Namen auf den ersten Plätzen mit einem hochgestellten Sternchen versehen werden – zu dessen Bedeutung es dann heißt:

* These authors contributed equally to this project and should be considered co-first authors.

Das Dumme dabei ist jedoch, dass ein ­Paper mit den drei Co-Erstautoren „Maier, Müller, Schmidt“ nach liebgewonnener Forschergepflogenheit schnell zu „Maier et al.“ degeneriert. Was natürlich nicht wirklich fair ist. „Müller et al.“ oder „Schmidt et al.“ wären es allerdings genausowenig. Fazit: Co-Erstautoren können zwar formal gleichberechtigt sein – werden aber beileibe nicht gleichbehandelt. … Hier geht’s weiter >>

Talent? Oder Glück gehabt?

19. Juli 2023 von Laborjournal

Ihnen wurde nichts auf dem Silbertablett serviert? Sie haben Blut, Schweiß und Tränen literweise in Ihren Werdegang investiert und die Konkurrenz wohlverdient auf hintere Plätze verwiesen?

 

Jetzt, in diesem Moment, in dem Sie ganz allein vorm Bildschirm sitzen – Hand aufs Herz: Halten Sie sich auf die eine oder andere Weise nicht auch für cleverer, fähiger oder kompetenter als so manch ein Nebenmann und so manch eine Nebenfrau? Also, der Schreiber dieses Newsletters tut es. Schließlich beruht sowohl Ihr als auch mein Erfolg hauptsächlich – wenn nicht ausschließlich – auf unseren persönlichen Eigenschaften: Wir sind talentiert, smart, fleißig, willensstark, leidensfähig und risikobereit! Und hatten – der Wahrheit halber – gelegentlich ab und zu vielleicht auch ein Fünkchen Glück.

Willkommen in der Welt psychologischer Kontexteffekte! Denn objektiv betrachtet sind weder Sie noch ich besonders begabt: Persönliche Eigenschaften wie Talent und Intelligenz sind Gauß-verteilt. Das heißt, zwei Drittel der Bevölkerung liegen innerhalb einer Standardabweichung um den jeweiligen Mittelwert, 95 Prozent innerhalb von zwei Standardabweichungen.  … Hier geht’s weiter >>

Viva, Open Data!

5. Juli 2023 von Laborjournal

Unser Forscher Ernst lernt die Vorzüge des Offenlegens aller Forschungsdaten kennen …

(Gezeichnet von Rafael Florés. Jede Menge weiterer Labor-Abenteuer von „Forscher Ernst“ gibt es hier.)

 

Betrugsware Co-Autorschaft

28. Juni 2023 von Laborjournal

Mehrfach haben wir schon darüber berichtet, auf welch dreiste Weise das System wissenschaftlichen Publizierens für betrügerische Aktivitäten missbraucht wird – zuletzt etwa hier, hier und hier. Und anscheinend lassen windige Witzfiguren tatsächlich rein gar nichts unversucht, um gerade den besonders Bedürftigen und/oder Leichtgläubigen aus der Forscherzunft ordentlich Geld für Nix aus der Tasche zu ziehen.

Waren es vor etwa einem Jahr noch Zitierungen, die eine Agentur systematisch an Forscher verkaufte (siehe hier), so werden inzwischen auch Co-Autorschaften auf angeblich bereits akzeptierten Papern gegen Geld feilgeboten. Am 19. Juli twitterte jedenfalls die allseits bekannte Fälschungs- und Missbrauchs-Detektivin Elisabeth Bik (sinngemäß übersetzt):

Wow, das ist ziemlich krass. Der Verfasser präsentiert hier einen Acceptance Letter für sein Manuskript von der Zeitschrift „Molecular Biology and Evolution“ – und verkauft jetzt auf Facebook Autorpositionen darauf für 5.000 oder mehr.

… Und zeigte einen Screenshot des betreffenden Facebook-Posts:  Diesen Beitrag weiterlesen »

Warum Rumknutscherei beinahe Impfungen ersetzt

31. Mai 2023 von Laborjournal

 

 

Küssen Sie gern – vor allem Ihren Partner oder Ihre Partnerin? Warum eigentlich? Warum tut’s nicht auch ein regelmäßiger Handschlag? Oder wie wäre es mit Nasereiben? Auch schnüffeln etliche Tiere zur Begrüßung gern am Hinterteil des Artgenossen. Klar, durch Ihren aufrechten Gang wird das etwas schwieriger. Und Ihr Gegenüber würde bestimmt auch erstmal einen Satz zur Seite machen. Aber sicher würden Ihre Mitmenschen mit der Zeit Verständnis zeigen.

Wozu also diese ständige Rumknutscherei?

Natürlich liegt die Antwort auf der Hand: Sie wollen genau wissen, was Sache ist. Beim Küssen kommen Sie nämlich den Nasolabialfurchen zwischen Nasenflügeln und Mundwinkeln Ihres Gegenübers nahe – einem Sammelpunkt von Pheromonen. Und diese olfaktorische Visitenkarte informiert Sie über die Qualität des Immunsystems Ihres potenziellen Sexualpartners.   Diesen Beitrag weiterlesen »

Nervige Zeit- und Geldverschwendung für Manuskripte

17. Mai 2023 von Laborjournal

„Mein Vollzeitjob besteht gerade darin, abgelehnte Manuskripte für eine andere Zeitschrift neu zu formatieren – und mich dabei superproduktiv zu fühlen.“

Viele werden sich wiederfinden in diesem nicht ganz ironiefreien Tweet, den der Ernährungsphysiologe Katsu Funai von der University of Utah Anfang des Jahres abschickte. Und er ist bei weitem nicht der Einzige, der auf Twitter über den enormen Zeitaufwand klagt, den es kostet, wenn man ein Manuskript, das man gemäß den Anforderungen einer Zeitschrift formatiert hat, für die Zweiteinreichung bei einer anderen Zeitschrift in ein völlig anderes Format umarbeiten muss.

„Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie lange es dauert, Artikel für Zeitschrifteneinreichungen neu zu formatieren?“, fragte daher Megan Davies, Postdoc in der Epidemiologie der Universität Kopenhagen, ebenfalls auf Twitter. Und fuhr fort: „Wir haben uns das gefragt und beschlossen, darüber zu schreiben! Wir haben die verlorene Zeit und das verlorene Geld berechnet sowie Editoren und Forscher befragt – und einige neue Vorschläge für Formatierungsrichtlinien entwickelt.“

Das Ergebnis ist jetzt nachzulesen in dem Paper mit dem Titel „Saving time and money in biomedical publishing: the case for free-format submissions with minimal requirements“ (BMC Medicine 21: 172), bei dem Megan Davies als Co-Autorin fungiert. Demnach registrierten Seniorautor Tibor Varga und sein Team zunächst einmal unter „302 führenden biomedizinischen Fachzeitschriften […] eine große Vielfalt an Enreichungsanforderungen“. Und stellten nachfolgend fest: Diesen Beitrag weiterlesen »

Forschung am Förderband

3. Mai 2023 von Laborjournal

Aus unserer Reihe „Gut gesagt!“ zum Verhältnis von Grundlagen- und angewandter Forschung:

 

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Die moderne akademische Forschung gleicht eher einer Fabrik mit Förderband als der illustren Diskussionsrunde von Raffael. Sie ist ganz besonders in den letzten drei oder vier Jahrzehnten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien auf Effizienz getrimmt worden. Dies nicht nur in der naturwissenschaftlichen Forschung übrigens, sondern vermehrt auch in den Geisteswissenschaften. Je mehr Geld in die Wissenschaft fließt, desto mehr und desto schneller können sich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler fassbare Resultate erhoffen. Diese erwartet man in der Form von gesellschaftlich relevanten Anwendungen und Lösungsansätzen. „Social Impact“ heißt der entsprechende Paragraph im Forschungsantrag (auch wenn man in der Evolutionsbiologie eher theoretisch ausgerichtet arbeitet). Die Wissenschaft als Deus ex Machina, die unsere Probleme löst, ob technischer oder gesellschaftlicher Art. So wie man heutzutage zum Arzt geht und von der modernen Medizin ein schnell wirkendes Heilmittel erwartet, so rechnet man damit, dass die Wissenschaft praktische Lösungen komplexer Probleme liefert. Oder zumindest einen messbaren Output an Publikationen, welche zu solchen Lösungen führen sollen. Je mehr Geld investiert wird, desto mehr angewandte Weisheit soll also am anderen Ende der Pipeline in Form von wissenschaftlichen Artikeln heraussprudeln.

Schön wär‘s. Leider funktioniert Grundlagenforschung so nicht. Und leider bleibt auch die angewandte Forschung längerfristig stecken, wenn keine echte Grundlagenforschung mehr betrieben wird. Oder wie es Louis Pasteur einst trefflich ausgedrückt hat: Es gibt gar keine angewandte Forschung, nur Forschung und Anwendungen der Forschung.

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… Sagte der Wiener Wissenschaftsphilosoph und Evolutionsbiologe Jonathan Jäger in Laborjournal 7-8/2020 („Selbstzensur und Produktivitätswahn in der akademischen Wissenschaft“, S. 26-29)

 

Sie sind lecker!

26. April 2023 von Laborjournal

Es wimmelt auf Ihnen! Da können Sie sich noch so viel schrubben, fünfmal am Tag duschen und regelmäßig Ihre Hände desinfizieren. Reinlichkeit ist und bleibt nicht Ihre größte Tugend. Selbst bei penibler Körperpflege bevölkern beinahe genauso viele Mikroorganismen Ihre Oberfläche wie Sie selbst aus Körperzellen aufgebaut sind – also mehr als 30 Billionen (Cell. doi.org/gg9z6d). Da Ihre Mitbewohner zwar klein, aber viele sind, machen sie einige Hundert Gramm Ihrer Lebendmasse aus. Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, sind die perfekte Petrischale!

Besonders einladend wirken Sie auf Bakterien und Pilze, aber auch für Archaeen sind Sie äußerst attraktiv. An talgigen Stellen Ihrer Haut errichtet vor allem das lipophile Propionibacterium sein Zuhause. Bakterien, die es feucht mögen, wie etwa Staphylococcus und Corynebacterium, bevorzugen dagegen Ihre Ellenbogenbeugen und Füße. An erstgenannter Stelle konkurrieren sie dabei mit Hefepilzen der Gattung Malassezia. Ihre Füße sind ebenfalls ein Paradies für Aspergillus, Cryptococcus und Rhodotorula (Nat Rev Microbiol. doi.org/gct5jx).    Diesen Beitrag weiterlesen »

Monogamie? Eher selten!

5. April 2023 von Laborjournal

Ein Harem aus hundert Geschlechtspartnern? Sie beginnen zu hyperventilieren beim Gedanken daran? Weil zu viel Sex, sagen Sie? Zu stressig, finden Sie? Dann fragen Sie mal einen Bullen der Südlichen See-Elefanten (Mirounga leonina). Seine jährliche Überlebenschance sinkt von 80 auf 50 Prozent dank Extrem-Polygamie. Jedoch nicht etwa, weil er jede Nacht eine andere seines Harems beglückt und sein Herz irgendwann schlappmacht. Sondern weil er sich vor dem Sex-Marathon vollfressen muss. In den Augen einer See-Elefanten-Kuh ist er nämlich erst mit drei bis vier Tonnen Lebendgewicht Robben-Adonis genug, um Nebenbuhler am Strand auszustechen. Und das ist der Haken: Das Speckschicht-Anfressen funktioniert nur in besonders nahrungsreichen Gewässern – und somit direkt vor den hungrigen Mäulern von Orcas und Haien. No risk, no fun eben (R Soc Open Sci. doi.org/j33c).

Vielmännerisch und gnadenlos: Die Nacktmull-Königin

Natürlich geht die Harem-Rollenverteilung auch anders herum. Ein Beispiel aus den Halbwüsten Ostafrikas: die Nacktmulle (Heterocephalus glaber). Bei diesen Nagetieren stehen einer einzigen Nacktmull-Königin zwei bis vier Liebhaber auf Abruf zur Verfügung. In unterirdischen Brutkammern zeugt sie mit ihnen alle 2,5 Monate bis zu 27 Jungtiere. Damit enden aber die Liebenswürdigkeiten der Monarchin. Über den Rest ihres bis zu 300-köpfigen und komplett unfruchtbaren Staats herrscht sie gnadenlos. Wer nicht zum Harem gehört, gräbt im Dunkeln Tunnel, sucht in der afrikanischen Hitze nach Futter oder umsorgt ihren Nachwuchs. Ihr Psychoterror stresst die Untertanen sogar so sehr, dass deren Geschlechtsorgane nicht heranreifen. Ohne Letztere können Untergebene aber keine Hormone produzieren, die ein Brutpflegeverhalten auslösen. Deshalb gibt die Nagerkönigin ihren Jüngern den royalen Kot zum Fressen. Dieser enthält das Sexualhormon Östradiol, das die Beta-Mulle dann doch veranlasst, sich um die Blagen ihrer Königlichen Hoheit zu kümmern (Nature. doi.org/j33j). Na, dann doch lieber See-Elefant?

Egal, ob Polygynie (Vielweiberei) oder Polyandrie (Vielmännerei) – beides ist in der Tierwelt nicht selten. Von Fruchtfliegen, Grillen und Heuschrecken über Murmeltiere und Rothirsche bis hin zu Mantelpavianen, Gorillas und Schimpansen – Polygamie ist an der Tagesordnung. Bei Säugetieren sind polygyne “Beziehungen“ mit 90 Prozent sogar das am häufigsten vorkommende Paarungssystem. Monogamie ist eher die Ausnahme (Proc. R. Soc. Lond. B. doi.org/bmh2d8).

Ja, selbst das Sinnbild der Treue – das Seepferdchen-Paar, das sich mit seinen Schwänzen umarmt und ein Leben lang zusammenbleibt – wechselt fröhlich die Sexualpartner und nimmt es nicht mal mit deren Geschlecht so genau. Experimentierfreudig und untreu zahlt sich evolutionstechnisch anscheinend aus: Je nach den Randbedingungen zeigen Männchen wie Weibchen vieler Spezies über alle Tierordnungen hinweg monogames wie polygames Fortpflanzungsverhalten. Die lebenslange, feste Monogamie ist hingegen eine kulturelle Erfindung.

Evolutionsbiologisch überrascht deshalb nicht: Laut der Elitepartner-Studie 2020 waren ein Drittel aller deutschen Menschen schon untreu – Frauen übrigens häufiger als Männer. Ihrer besseren Hälfte, liebe Leserin oder lieber Leser, erklären Sie all das aber vielleicht lieber nicht! Und falls doch, erwähnen Sie bloß nicht Laborjournal in diesem Zusammenhang!

Henrik Müller

(Illustr.: YouTube / Science Magic Show)

 

(Der Text erschien in leicht anderer Form als Editorial unseres letzten Laborjournal-NEWSLETTERS. Wer den NEWSLETTER samt solcher Editorials regelmäßig alle zwei Wochen per E-Mail zugeschickt bekommen möchte, klicke sich bitte hier entlang!)

 

Die alte Dampflok Wissenschaft und ihre Heizer

15. März 2023 von Laborjournal

 

Manchmal fragen wir uns, was unsere Artikel bei Leserinnen und Lesern auslösen. Und ob da womöglich auch eine Art Kopfkino stattfindet …

Hin und wieder scheint das tatsächlich zu passieren. Zu unserem Artikel „Kein Platz für Opportunisten und Narzissten“ erhielten wir beispielsweise folgende Rückmeldung:

 

Sehr geehrte Redaktion […],

danke für den Artikel. Beim Lesen kam mir ein Bild in den Sinn, dass die Situation in der Wissenschaft – oder vielmehr ihr Wesen – für mich recht gut beschreibt. Ich stelle mir die Wissenschaft, in meinem Fall die „Life Sciences“, als eine alte Dampflok vor, die viel Getöse und viel Qualm macht. Sie kommt voran, wenn auch nur sehr schwerfällig und steif. Ihr Kesselfeuer ernährt sich von Karriere-Träumen – eine schier unerschöpfliche Energiereserve.

Ihre Energiebilanz ist aber mehr als ungünstig. Die Heizer haben viel zu tun. Wenn sie fleißig sind, dann dürfen sie den feinen Herrschaften in ihren wohligen Pullman-Salonwagen kurzeitig Gesellschaft leisten. Vielleicht wird ihnen ja auch irgendwann einmal ein dauerhafter Platz zugeteilt – und ein junger Traum schafft es in den Führerstand.

Lohnt es sich, diesem alten Stahlmonster ein „Upgrade „zu geben? Oder ist es nicht sinniger, gleich einen modernen Triebwagen mit vielen Sitzmöglichkeiten und besserer Energiebilanz zu besorgen?  …

Ich kann sie jedenfalls gerade ganz deutlich durch all den Qualm und Dreck sehen, die alte Dampflok. (Ich stecke gerade in einer SFB-Begutachtung und mein Vertrag endet zum x-ten Mal).

Beste Grüße […]

 

Treffend! Aber nicht nur das. Auch herrlich fantasievoll!

Liebe Leserinnen und Leser, gerne mehr davon!

(Foto:The Durango Herald)