Editorial

Tipp 196: Gewebe aus dem Bio-Drucker

Immer mehr Forscher drucken ihre Gewebe- und Organmodelle ganz einfach mit dem 3D-Biodrucker.

3D-Drucker werden immer häufiger dazu eingesetzt schwer erhältliche Ersatzteile von Autos, Haushaltsgeräten oder sonstigem Kleinkram zu drucken. Und selbst Flugzeugbauer wie Airbus denken inzwischen darüber nach Ersatzteile für Flugzeuge mit 3D-Druckern nach Bedarf herzustellen, statt sie in riesigen Lagerhallen auf Vorrat zu halten.

Warum also nicht auch menschliche Ersatzteile, sprich Gewebe und Organe, mit dem 3D-Biodrucker herstellen? Ganz so weit sind die Bioingenieure zwar noch nicht. Wenn man sich jedoch anschaut, was Jenifer Lewis‘ Gruppe am Wyss Institute for Biologically Inspired Engineering der Universität Harvard mit dem 3D-Biodrucker veranstaltet, scheinen Ersatzgewebe und -organe aus dem 3D-Biodrucker zumindest nicht mehr vollkommen utopisch zu sein.

Lewis Team fertigte mit dem 3D-Biodrucker kleine Gewebestücke, die mehr als einen Zentimeter dick sind. Das gedruckte Gewebe ist mit Gefäßen durchzogen über die es mehr als sechs Wochen lang mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren versorgt werden kann. Wie die Gruppe diese Miniorgane mit einem Multimaterial-3D-Biodrucker mit vier unabhängigen Druckköpfen herstellt, beschreibt sie ausführlich in einem PNAS Paper (Kolesky et al., pii: 201521342).

Aus Tinte wird Gewebe

Die wichtigsten Ingredienzen für den Druck des Gewebes sind die passenden Tinten. Lewis Gruppe verwendete eine silikonbasierte, eine flüchtige sowie eine zellbeladene Tinte. Mit der Silikon-Tinte erstellte die Gruppe auf einem 5 x 7,5 Zentimeter großen Glasträger zunächst die Wände des Gewebe-Chips, die eine quadratische Grundfläche eingrenzen und etwas mehr als einen Zentimeter hoch sind. An zwei diagonal gegenüberliegenden Ecken enthält der gedruckte Chip kleine Pumpenanschlüsse für die Perfusionslösung. Schön zu sehen ist der Druck des Chips auf einer Videoserie, die die Druckvorgänge im Zeitraffer wiedergibt („Movie 1“ in den Supporting Information des Papers).

Im nächsten Schritt „verlegt“ der Biodrucker den ersten Teil des Gefäßsystems, indem er eine flüchtige Tinte aus dem Blockcopolymer Pluronic und der Protease Thrombin, ausgehend von den beiden Ecken der Pumpenanschlüsse, in einem rasterförmigen Muster aus vielen kleinen Quadraten auf der Glasoberfläche platziert.

Rasterförmiges Gefäßsystem

Auf dieses Gefäßsystem spritzt der Bio-Drucker in einem engmaschigen Muster mehrere Lagen zellbeladener Tinte, die Gelatine, Fibrinogen, Thrombin, die gewünschten Zellen sowie das Enzym Transglutaminase enthält. Gelatine und Fibrinogen dienen als Ausgangsmaterial für die extrazelluläre Matrix (ECM) des künstlichen Gewebes. Thrombin spaltet das Fibrinogen und löst die Polymerisation von Fibrinogen zu Fibrin aus. Die Transglutaminase verknüpft schließlich die Fibrin- und Gelatinemoleküle zu einem Netzwerk („Movie 2“).

Für die durchgehende Versorgung des synthetischen Gewebes platziert der Drucker in den verbliebenen Zwischenräumen senkrechte Anschlussstutzen zum Gefäßsystem am Boden des Chips, die bis zur Oberfläche der Matrix aufsteigen. Danach schließt er diese „Steigleitungen“ an das restliche Gefäßsystem an.

Warum die flüchtige Tinte so heißt, wird im nächsten Verfahrensschritt klar. Kühlt man das gelartige Blockcopolymer Pluronic auf etwa 4 °C, so wird es nicht steifer oder spröder, wie man vielleicht vermuten würde. Ganz im Gegenteil: das Material verflüssigt sich und kann aus der gedruckten Gewebeform abgesaugt werden. Zurück bleiben Hohlräume, die einem natürlichen Gefäßsystem verblüffend nahe kommen und mit Endothelzellen ausgekleidet werden. Für die Versorgung des Gewebes mit Wachstumsfaktoren, Nährstoffen sowie Sauerstoff wird der gedruckte Chip an eine Perfusionspumpe angeschlossen, die die Nährlösung durch das Gefäßsystem pumpt.

Umwandlung in Knochenzellen

Nach diesem Muster druckte Lewis Mannschaft ein künstliches, funktionelles Gewebe (Parenchym), das von einem Stützgewebe (Stroma) umgeben und von einem Gefäßsystem durchzogen ist. Hierzu kombinierte die Gruppe drei zellbeladene Tinten, die humane mesenchymale Stammzellen (hMSCs), Fibroblasten (hNDFs) und Endothelzellen (HUVECs) enthielten.

Um die hMSCs in dem gedruckten Gewebe dazu anzuregen, sich in Knochenzellen zu differenzieren (Osteogenese), pumpte die Gruppe für mehrere Wochen einen osteogenen Differenzierungs-Cocktail durch das synthetische Gefäßsystem. Tatsächlich zeigten die hMSCs daraufhin typische Anzeichen für die beginnende Umwandlung in Knochenzellen, etwa die Expression von Osteocalcin sowie die Ablagerung von Calciumphosphat.

Von dem gedruckten Gewebe zu einem richtigen Organ ist es natürlich noch ein weiter Weg. Für grundlegende Versuche mit Gewebe- und Organmodellen ist der 3D-Biodrucker dennoch interessant, zumal die Geräte immer erschwinglicher werden. Kleine Einstiegsmodelle gibt es inzwischen bereits ab 5.000 Euro.

Harald Zähringer



Letzte Änderungen: 29.03.2016