Editorial

Glückliche Ausreißer

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Joseph Cooper war schon einige Jahre im Ruhestand. Zufrieden blickte er zurück auf ein jahrzehntelanges Forscherleben, in dem er durchaus einiges erreicht hatte. Vor allem zum Aufbau des Cytoskeletts hatte sein Labor der Forscherwelt eine ganze Reihe beteiligter Proteine und Mechanismen geliefert.

Ja damals hatte das Forscherleben noch Spaß gemacht, dachte Cooper oft. Und dass er das Glück gehabt hatte, genau zur rechten Zeit aufhören zu können. "Rat race", "Publish or perish", "Apply or die" - all diese üblen Schlagworte, die heute große Teile des Forschungsgeschäftes charakterisieren, kamen erst ganz zum Ende seiner Karriere auf. Genauso wie der Wahn um Zitationen und Impact Faktoren.

Wobei er insbesondere Letzteres nicht verstand. Schließlich sollte es doch zum Grundrüstzeug des Wissenschaftlers gehören, objektiv erhobene Daten so sorgfältig wie möglich zu analysieren, und sie genauso vorsichtig und kritisch zu interpretieren. Warum vergaßen dann die meisten Forscher genau diese Prinzipien bei Zitierraten und Impact-Faktoren, fragte Cooper immer wieder.

Insbesondere die "Hitlisten" von Thomson ISI - des Instituts also, das monopolartig Zitierungen zählte, archivierte und analysierte - hatte Cooper "gefressen". Vor allem deren regelmäßige "Paper-Rankings". Doch Cooper störte nicht nur, dass dort verglichen wurde, was nicht verglichen werden kann - Apoptose-Artikel etwa mit Arbeiten über den pflanzlichen Sekundärstoffwechsel oder einer Multi-Center-Studie über Schuppenflechte. Nein, von einer Sache fühlte er sich ganz besonders betroffen...

Vor ein paar Monaten erst hatte das Mitteilungsorgan von Thomson ISI eine Liste der meistzitierten wissenschaftlichen Paper aller Zeiten veröffentlicht. Ganz vorne standen natürlich die allseits bekannten "Methoden-Paper" zur Proteinmessung von Lowry et al. sowie zur Polyacrylamid-Gelelektrophorese von Ulrich Karl Laemmli. Diese beiden hatten offenbar das Glück, dass deren Methoden auch Jahrzehnte später noch nahezu unmodifiziert und breitflächig angewendet wurden. Und dass man sie dafür immer noch brav zitierte. Das Lowry-Paper, so hieß es in dem Artikel, sammele, obwohl bereits 1951 publiziert, immer noch etwa 10.000 Zitate jährlich.

Dass das nicht die Regel ist, wusste Cooper nur zu gut. Auch er hatte 1969 solch einen methodisches "Überflieger-Paper" geschrieben, zur Bestimmung von Molekulargewichten in SDS-Polyacrylamidgelen. Doch dieses "erlitt" das eher typische Schicksal: Zehn Jahre lang wurde es zitiert wie der Teufel, dann nahm die Zitierrate plötzlich ab, und zwanzig Jahre - oder 20.000 Zitate - später tauchte die Arbeit kaum noch in den Referenzlisten aktueller Artikel auf.

Das allerdings nicht, weil keine Molekulargewichte mehr in SDS-Gelen bestimmt wurden. Auch nicht, weil jemand ein besseres Verfahren entwickelt hatte. Nein, die Methode war im weltweiten Experimentieralltag einfach selbstverständlich geworden. Wie das Einstellen von pH-Werten. Und Selbstverständliches braucht keine Referenzen mehr.

"Ist ja auch gut und richtig so", dachte Cooper. "Sonst würden die Referenzlisten ja irgendwann länger als die Artikel. Es zitiert schließlich auch keiner mehr Watson und Crick, wenn er was über die DNA-Struktur schreibt." Dennoch gibt es aus irgendwelchen Gründen, die Cooper nicht verstand, hin und wieder Ausreißer aus diesem Schema. Siehe Lowry und Laemmli. Das ärgerte ihn zwar nur wenig, aber es relativierte für ihn doch erheblich deren Ruf als "meistzitierte Paper weltweit".




Letzte Änderungen: 08.09.2004