Editorial

Gut zitiert, aber falsch

Was können Zitationsvergleiche ... nicht unbedingt?



Das folgende Beispiel beruht stärker auf tatsächlichen Begebenheiten als die bisherigen. Der Grund: Auf wunderbare Art dokumentiert es, dass Paper, die oft zitiert werden, nicht unbedingt auch richtig sein müssen.

Zugetragen hat sich das Ganze etwa zwischen 1986 und 1992. Man kann sich leicht vorstellen, wieviele Forscher sich seinerzeit gerne mit der Ruhmestat geschmückt hätten das Gen zu finden, das den Mann zum Manne macht. Ein Transkriptionsfaktor musste es sein, so vermutete man damals - einer, der als "Mastergen" eine Kaskade weiterer Faktoren aktiviert; diese wiederum würden dann schön nacheinander weitere Batterien von Genen aktivieren, deren Produkte letztlich sämtliche männlichen Geschlechtsmerkmale und -organe hervorbringen.

Und man wusste auch bereits, dass nicht einfach die Zahl der X-Chromosomen bei uns Menschen das Geschlecht bestimmt, sondern dass auf dem Y-Chromosom ein oder mehrere solcher "Master-Mannesgene" verborgen sein mussten. In mühevoller Kleinarbeit hatte man also den Bereich auf dem Y-Chromosom immer mehr eingeengt, auf dem es liegen musste - und 1987 war es endlich soweit: David Page vom MIT in Boston schien mit seinem Team fündig geworden zu sein. Ein Zinkfinger-Protein (ZFY), typisches Zeichen für einen Transkriptionsfaktor, fanden sie dort und postulierten ihn im Dezember 1987 in Cell als "Testis determining Factor" (TDF).

Doch ZFY war nicht TDF. Bereits ein Jahr später spürten britische Forscher bei Marsupialiern homologe ZFY-Sequenzen ausschließlich auf Autosomen auf. Und das war in der Folgezeit nicht das einzige Gegenargument. 1990 fanden dann die britischen Gruppen um Robin Lovell-Badge und Peter Goodfellow in der geschlechtsbestimmenden Region des humanen Y-Chromosoms einen weiteren Kandidaten: SRY, für "sex-determining region Y". Und ein Jahr später gelang es den gleichen Forschern, XX-Mäuse mit eingebrachtem Maus-sry in Böckchen zu verwandeln.

Page hatte also in seinem "TDF-Paper" falsche Schlüsse gezogen - dennoch gehörte es zu den meistzitierten Artikeln der späten achtziger Jahre.

Sicher, auch solche "falschen" Paper erweisen sich oftmals als wichtig für den weiteren Verlauf der Forschung - und werden daher bisweilen vielleicht sogar zu recht viel zitiert. An einem aber ändert das nichts: Was oft zitiert wird, muss nicht automatisch richtig sein.




Letzte Änderungen: 08.09.2004