Editorial

Viele Autoren, viele Zitate

Publikationsanalyse 2012-2016: Humangenetik
von Mario Rembold, Laborjournal 04/2018


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Humangenetik à la US-National Museum of Natural History.
Foto: Victoria Pickering / Flickr

Humangenetik ist nichts für Einzelkämpfer. Vielmehr dominieren Konsortien und Gemeinschaftsprojekte die Liste der meistzitierten Artikel. Im deutschsprachigen Raum arbeiten die meisten vielzitierten Humangenetiker in München, Heidelberg und Berlin.

Mit der Humangenetik widmen wir uns einer Disziplin, in der man als Forscher ordentlich Zitierungen sammeln kann – sofern man am richtigen Paper mitgeschrieben hat. Als einer von vielen, wohlgemerkt. Von sehr vielen! Denn humangenetische Artikel listen nicht selten hunderte Autoren auf.

Damit nicht genug: Häufig kommen weitere Beteiligte hinzu, die man aus Platzgründen nicht explizit erwähnen kann. Stellvertretend sind dann die Namen von Konsortien und Autorengruppen genannt. Umgekehrt weisen auch viele Autoren der Humangenetik einen umfangreichen Katalog an Veröffentlichungen vor. Mehr als zweihundert Artikel in nur fünf Jahren – das ist die Bilanz bei fast zwanzig Prozent der meistzitierten Köpfe unserer Analyse. Massenhaft Sequenzdaten, massenhaft Paper und massenhaft Koautoren – in dieser Hinsicht könnte man die Humangenetik als „Massendisziplin“ bezeichnen.

Nehmen wir also die Frage vorweg, die sich manch ein Leser jetzt stellen wird: Kann ein Wissenschaftler sich tatsächlich in seine Projekte knien und nebenher mal eben jede Woche ein Paper raushauen? Vielleicht dann, wenn sich die Arbeit auf mehr als 600 Autoren verteilt – wie beim meistzitierten Artikel unseres aktuellen Rankings.

Doch wie kann man mit so vielen Forschern an einem Paper sitzen? Nehmen wir ein Beispiel, das für die Humangenetik typisch sein dürfte: Der Sequenzier-Experte einer Core Facility, der Aufträge aus verschiedenen Humangenetik-Instituten bekommt. Er hat permanent mehrere Projekte gleichzeitig laufen und liefert Daten, die später in allen möglichen Artikeln erscheinen. Dazu muss er sich nicht permanent die Finger fürs nächste Paper wund tippen.
Mehr als nur Dienstleister

Eine schlichte Dienstleistung rechtfertigt natürlich noch keine Autorenschaft. Doch auch beim Sequenzieren gilt es, vorher wichtige Fragen zu klären: Geht es um sehr spezifische Abschnitte im Exom oder will man auch repetitive Sequenzen erfassen? Sollen ganze Chromosomen kartiert werden, oder spielt die Reihenfolge der untersuchten Loci für die Auswertung überhaupt keine Rolle? Der Krebsforscher wiederum interessiert sich vielleicht für somatische Mutationen und will im Extremfall das Erbgut einer einzelnen Zelle untersuchen.

Je nach Fragestellung wird man große oder kleine Leselängen bevorzugen und muss die passenden Sequenzierverfahren wählen. Wer in einem Omics-Großzentrum arbeitet, ist unter Umständen schon ab einer frühen Phase in die Studienplanung seines Auftraggebers involviert. Dann ist es eben nicht damit getan, immer wieder dieselben Standardprotokolle für Illumina & Co. abzuleiern.

Auch mit der Auswertung der Daten kann eine einzelne Arbeitsgruppe überfordert sein. Bioinformatiker und Statistiker sind gefragt – und auch mit denen sollte man tunlichst schon sprechen, bevor man die ersten Samples der Probanden sammelt.

Je nach Umfang eines humangenetischen Projekts braucht man weltweit Partner, um das Vorhaben realisieren zu können. So etwa beim 1.000 Genomes Project, welches zum Ziel hatte, möglichst viele genetische Polymorphismen in menschlichen Populationen zu dokumentieren (www.internationalgenome.org). Rund 2.500 Genome hatte das Konsortium im finalen Datensatz erfasst. In der Arbeit von 2012, die auf Platz 2 unserer Artikelliste steht, waren bereits 1.092 Genome berücksichtigt.

Auch bei der genetischen Charakterisierung von Tumorzellen (Plätze 3, 4, 7, 10) oder der Suche nach Loci, die mit Schizophrenie (Platz 5) oder anderen Erkrankungen in Zusammenhang stehen, wird man sich mit Fachkollegen austauschen und auf die Datenpools anderer Projekte zugreifen wollen. Schließlich will man ja auch seltenere Varianten finden und statistisch aussagekräftige Ergebnisse veröffentlichen. Humangenetik ist also nichts für Wissenschaftler, die allein im stillen Kämmerlein experimentieren.

Zwei Paper als Eintrittskarte

Es leuchtet ein, dass gerade in der Humangenetik Paper potenziell sehr oft zitiert werden. Nicht nur, wenn hunderte Autoren mitgeschrieben haben, die später in Folgeprojekten wieder auf diese Arbeit verweisen. Das Verständnis der Vererbung und der Struktur des menschlichen Genoms ist grundlegend für die klinische Forschung. Dort greift man dankbar auf Genomkarten und Variantenkataloge zurück.

Als Humangenetiker kann man auf diese Weise „schnell mal eben“ auf sehr viele Zitierungen kommen, selbst wenn man nur wenige Artikel mitverfasst hat. Matt­hi­as Lienhard vom Berliner Max-Planck-Institut (MPI) für Molekulare Genetik reichten seine acht Publikationen immerhin für Position 47 unter den meistzitierten Köpfen. Mehr als 95 Prozent seiner 5.126 Zitierungen verdankt er zwei Papern über genetische Variationen im menschlichen Genom (Platz 2 und 9 der Artikelliste). Diese beiden Koautorenschaften waren also seine Eintrittskarte in die Top 50.

Nun betonen wir regelmäßig, dass die Anzahl der Publikationen und deren Zitierhäufigkeiten nicht zwangsläufig ein Maßstab für gute Forschung sind. Das sollten wir insbesondere für die Humangenetik im Hinterkopf behalten, wo eine einzige Publikation über tausend Zitierungen mehr oder weniger entscheiden kann. Insbesondere lässt sich die Forscherleistung eines Humangenetikers anhand dieser Zahlen nicht mit denen eines Entwicklungsbiologen oder Parasitologen vergleichen.

Die Abgrenzung von anderen Disziplinen ergab sich ausnahmsweise beinahe von selbst: Wer nicht klar in der Humangenetik anzusiedeln ist, kommt meist gar nicht auf genügend Zitierungen für die Top 50. Nur gelegentlich kam ein Kandidat aus einer Grauzone auf so viele Erwähnungen, dass wir genauer hinschauen mussten. Wer beispielsweise untersucht, auf welchem Wege die Information auf der DNA in RNA oder Proteine übersetzt wird, und wie dadurch dann weitere Gene reguliert werden, den zählen wir zu den Molekulargenetikern, die ihre eigene Publikationsanalyse haben. Als Humangenetiker sehen wir vielmehr Forscher, die entweder die genomische Architektur des Menschen untersuchen oder Korrelationen zwischen genetischen Profilen und phänotypischen Merkmalen oder Krankheitsrisiken auf der Spur sind. Wegen dieser Eingrenzung ist ein Mitverfasser eines hochzitierten humangenetischen Artikels nicht automatisch für die Köpfe-Liste berücksichtigt.

Schnittmenge Epidemiologie

Werfen wir nun einen Blick auf die meist­zitierten Humangenetiker. Mit annähernd 16.000 Zitierungen ganz oben steht ­Markus­ Nöthen von der Uniklinik Bonn. Sein Schwerpunkt sind Assoziationen zwischen psychiatrischen Erkrankungen und genetischen Varianten. Auch andere „Köpfe“ dieses Vergleichs erforschen Krankheitsrisiken, womit es eine große Schnittmenge zur Epidemiologie gibt. Annette Peters (4) vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München ist eine von ihnen. Risiko-Loci zu Typ-2-Diabetes und Assoziationen zwischen genomischen Merkmalen und Body Mass Index oder Körpergröße sind ihre Forschungsfelder. Generell haben wir bei den epidemiologisch ausgerichteten Wissenschaftlern aber versucht, nur diejenigen zu berücksichtigen, die in hohem Maße an genetischen Zusammenhängen interessiert sind.

Gleiches gilt für die vielen Krebsforscher in der Liste, von denen einige Namen bereits aus der entsprechenden Publikationsanalyse im letzten Jahr bekannt sind. Beispielsweise Stefan Pfister (6.) vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, der Zellen aus kindlichen Hirntumoren sequenziert und wissen möchte, wie sich deren Genom mit der Tumorbildung verändert. Durch diese Überlappung mit der Humangenetik ist das DKFZ siebenmal durch Forscher der „Köpfe“-Liste repräsentiert.

Nur zwei Institute tauchen häufiger auf: Das MPI für Molekulare Genetik in Berlin ist achtmal vertreten, und neun Humangenetiker hatten irgendwann zwischen 2012 und 2016 am Helmholtz Zentrum München in Neuherberg ein Zuhause. Damit ist die Region um München führender Hotspot der Humangenetik im deutschsprachigen Raum; insgesamt 13-mal taucht dieser Städtename in der Liste auf. Gleich dahinter kommt Heidelberg mit zwölf Erwähnungen – denn am Neckar liegt nicht nur das DKFZ, sondern es gibt dort bekanntlich auch eine Uni und insbesondere das European Molecular Biology Laboratory (EMBL).

Thematisch zeigt sich die hochzitierte Humangenetik weniger bunt als zuletzt die Zellbiologie oder die Physiologie. Svante Pääbo vom MPI für Evolutionäre Anthropologie wäre etwa ein thematischer Sonderfall, denn er sucht nach den genetischen Ursprüngen des Menschen und sequenziert dazu auch Neanderthal-Genome. Die Top-50 hat Pääbo aber mit 4.875 Zitierungen für seine 57 Artikel knapp verfehlt. Dennoch eine stattliche Zahl für jemanden, der eher als Grundlagenforscher unterwegs ist.

Doch wie bereits erwähnt, sollte gerade die Publikationsanalyse zur Humangenetik nicht als qualitativ wertendes Ranking missverstanden werden.


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Letzte Änderungen: 04.04.2018