Editorial

Sanfte Hämmer

Publikationsanalyse 2006-2009: Anästhesiologie & Schmerzforschung
von Lara Winckler, Laborjournal 03/2012


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Notfallbeutel
(Foto: iStock/ivstiv)

Wenige Hotspots und keine Schweizer, dafür Sepsis als das Topthema – neben diversen Schmerzformen.

Schmerzfreie Operationen wollen alle – die Chirurgen, die in Ruhe ihre Arbeit machen wollen, ebenso wie die Patienten. Was im Mittelalter Fesseln oder die Betäubungsmittel Mohn, Alraunen und Bilsenkraut gewährleisteten, ist heute Hoheitsgebiet der Anästhesiologen.
Die Disziplin Anästhesiologie umfasst zum einen die Anästhesie, also das Herunterfahren bestimmter Körperfunktionen mit Medikamenten. Dazu gehören Opioide zur Schmerzausschaltung (Analgesie), Hypnotika, Sedativa oder Inhalationsanästhetika für den Bewusstseinsverlust, Barbiturate zur Dämpfung der Vitalfunktionen Herzschlag, Atmung, Blutdruck, Verdauung und Stoffwechsel sowie Relaxantien zur Muskelentspannung. Kombinationsmöglichkeiten gibt es mannigfach; die Weiterbildung zum Facharzt für Anästhesiologie hält unter anderem einen Katalog von 1.800 Anästhesieverfahren bereit, unter denen der Anästhesiologe wählen darf. Zu seinen Aufgaben gehören aber auch die Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen während Operation oder Diagnoseeingriff, die Intensiv- und Notfallmedizin sowie die Schmerztherapie akuter und chronischer Schmerzen. Aus naheliegenden Gründen findet man die Anästhesiologie oft mit der Intensivmedizin in einer Klinik vereint.

Diese Publikationsanalyse grenzen wir auf diejenigen Forscher ein, die sich mit der Anästhesiologie sowie der Entstehung und Ausschaltung von Schmerzen beschäftigen. Doch auch so gibt es immer noch genug Überschneidungen mit anderen Disziplinen – neben Kardio-, Neuro- und Pharmakologen finden sich zahlreiche Pneumologen, Nephrologen und Hämatologen sowie Chirurgen in den Autorenlisten.

Wie nicht anders zu erwarten war, liegen die Kliniker in diesem Vergleich vorne, unter den 50 bis heute meistzitierten Anästhesiologen und Schmerzforschern des deutschsprachigen Raumes ebenso wie unter den zehn bis heute meistzitierten Artikeln der Jahre 2006-2009. Gleich auf Platz 1 steht ein alter Bekannter aus der Publikationsanalyse „Klinische Chemie & Laboratoriumsmedizin“ (LJ 1-2/2012): Fünfzehn der Top 50 verdanken nicht zuletzt ihm ihre Platzierung, zwei von ihnen haben sogar nur diesen Artikel im Gepäck: Peter Kern (31.), Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt, und Martin Schäfer (31.), Städtisches Krankenhaus Brandenburg. Dieser Artikel sorgt auch für eine recht heterogene Verteilung der Hirsch-Faktoren, die diesmal nicht mit steigender Platzierung von 24 auf gemütliche 11 absinken. Kern und Schäfer gehören zu den wenigen, die es mit einem h-Index von 1 unter die Top 50 einer biologisch-medizinischen Disziplin schafften.

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Topthemen und Exoten

Der meistzitierte Artikel behandelt eines der intensivmedizinischen Topthemen in diesem Vergleich: Sepsis. Acht der 50 bis heute meistzitierten deutschsprachigen Anästhesiologen und Schmerzforscher arbeiteten 2006-2009 unter anderem über der sogenannten „Blutvergiftung“. Auch drei Top 10-Artikel gibt es zu diesem Thema, und an allen drei ist Konrad Reinhart (2.), Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie am Uniklinikum Jena und Initiator der Deutschen Sepsis-Gesellschaft, beteiligt. Reinhart ist nicht nur im deutschsprachigen Raum anerkannter Sepsis-Experte. Laut Web of Science steht Reinhart weltweit auf Platz 3 der bis heute meistzitierten Sepsis-Forscher. Mit etwas Abstand werden auch seine Kollegen Herwig Gerlach (41.), Vivantes-Klinikum Berlin-Neukölln, Andreas Meier-Hellmann (21.) vom Erfurter Helios-Klinikum sowie Frank Brunkhorst (8.), Uniklinikum Jena, gelistet. Jena ist mit fünf der Top 50 zudem die Nummer 1 im Städteranking, gefolgt von München und Mannheim mit jeweils vier Forschern.

Während die deutschen Institute recht gut übers Land verteilt sind, glänzen die Schweizer durch Abwesenheit. Österreich hat Volker Wenzel (39.), den stellvertretenden Direktor der Innsbrucker Klinik für Anästhesiologie, im Rennen, der zusammen mit seinem heutigen Chef Karl Lindner Ende des letzten Jahrhunderts mit dem Einsatz von Vasopressin bei Herzstillstand wissenschaftliche Erfolge feierte.

Weitere heiße Themen sind Infarkte, in erster Linie Schlaganfall und Herzinfarkt, sowie verschiedene Formen von Schmerz. Darunter der neuropathische Schmerz, Fachgebiet der Würzburger Neurologin Claudia Sommer (33.), und von Christian Maihöfner (46.), Physiologie und Pathophysiologie, Uni Erlangen. Außerdem Kopfschmerz und Migräne, Spezial­gebiet von Arne May (17.), Uniklinikum Hamburg-Eppendorf, sowie dem Essener Neurologen Hans-Christoph Diener (1.). Beide zählen zu den weltweit bis heute meist­zitierten Migräne-Forschern: Diener steht laut Web of Science auf Platz 3, und auch Arne May schaffte es unter die globalen Top 100-„Migränologen“.

Es gibt jedoch einige unter den Top 50-Anästhesiologen und Schmerzforschern, die nicht diese Superthemen bearbeiten, sondern ganz andere. Holger Eltzschig (3.) etwa, der 2007 von der Tübinger Anästhesiologie an das University of Colorado Health Sciences Center in Denver wechselte und seinen Kollegen Tobias Eckle (23.) gleich mitnahm. Sein Thema ist der Zusammenhang zwischen Sauerstoffminderversorgung (Hypoxie) und Entzündungen (Inflammationen). Auch wieder mit dabei ist Siegfried Labeit (35.), Uniklinik Mannheim, der unverdrossen weiter am Muskelprotein Titin forscht.

In der modernen Anästhesiologie sind keine Handlanger mehr nötig, um die Patienten ruhigzustellen, und auch keine gefährlichen Spaßdrogen – wie noch vor 200 Jahren Lachgas und Chloroform. Wenn sie nicht misstrauisch beäugt wird – immer noch wachen Patienten aus der Narkose nicht mehr auf – steht sie eher unauffällig im Hintergrund. Vielleicht würde ihr die verdiente Aufmerksamkeit durch die Einführung eines Fachgebiets-spezifischen Feiertags zuteil, wie man ihn in Boston jedes Jahr am 18. Oktober aus Anlass der ersten öffentlichen Operation unter Äthernarkose 1846 feiert.


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Letzte Änderungen: 13.03.2012