Editorial

Drosophila, Maus und Co.

Zitationsvergleich 2000 bis 2002: Entwicklungsbiologie
von Lara Winckler, Laborjournal 09/2005


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Die Mausforscher beherrschen weiterhin die Entwicklungsbiologenszene, doch hat sich der Horizont erweitert: Fliegen und Pflanzen befinden sich auf dem Vormarsch.

Mausforscher dominieren die Entwicklungsbiologie, gleich sechs landen unter den Top 10, doch werden sie nach und nach von anderen infiltriert: Mäuse besetzen mit Erwin F. Wagner (1.) vom Wiener IMP, dem einzigen aufgeführten Österreicher, und Reinhard Fässler (2.) vom MPI für Biochemie Martinsried "nur" die beiden ersten Plätze. Mücken und Pflanzen drängen in die erste Reihe.


Anopheles‘ Sprung

Der einzige Anopheles-Forscher im Vergleich, Fotis C. Kafatos, EMBL-Generaldirektor und seit Juni 2005 am Imperial College London, hat sich auf Platz 3 niedergelassen, nicht zuletzt Dank des Science-Papers zur Analyse der Genomsequenz von Anopheles gambiae. Die Gemeinschaft der Forscher honorierte es mit 378 Zitierungen. Tewis Bouwmeester (5.), ebenfalls am Heidelberger EMBL, hat das Kopfbildungs-Protein Cerberus entdeckt. Er erforscht Musterbildung in Zebrafischen, Entwicklung und Homöostase in Drosophila sowie neuroektodermale Spezifizierung in Xenopus. Doch mit diesen eher entwicklungsbiologisch orientierten Veröffentlichungen allein hätte er es nicht unter die Top 50 geschafft, dafür sorgte vor allem sein Beitrag zum Nature-Paper über das Hefe-Proteom mit 999 Zitaten.


Arabidopsis vorne mit dabei

Noch drei weitere Heidelberger befinden sich unter den Top 10, und zusammen mit dem Tübinger Arabidopsis-Forscher Gerd Jürgens (7.) haben sie nicht nur vier der fünf Hauptmodellorganismen der Entwicklungsbiologen - Arabidopsis, Drosophila, Maus, Xenopus, Zebrafisch - abgedeckt, sondern zeigen zudem eine deutliche Südwestlastigkeit der entwicklungsbiologischen Spitzenforschung. Mit Jürgens gesellt sich erstmals ein Pflanzenforscher zu den Top 10 der Entwicklungsbiologen. Er untersucht Musterbildung und Zytokinese in Arabidopsis thaliana, und erfreut die Community mit Proteinen wie WUSCHEL, FACKEL, KNOLLE und KEULE. Auch ein ehemaliger Mitarbeiter von Jürgens schaffte es mit diesen Artikeln als einer von insgesamt sieben Pflanzen-Entwicklungsbiologen unter die Top 50: Thomas Laux (48.) ist seit 2000 an der Freiburger Universität und dort Stellvertretender Sprecher des SFB "Signalmechanismen in Embryogenese und Organogenese".


Drosophilas Stammplatz

Die Drosophila-Forscher stammen ausnahmlos aus dem Süden, die Schweiz stellt vier der neun "Drosos" im Vergleich. Zwei von ihnen kommen aus Basel: Drosophila-Altmeister Walter J. Gehring (36.) vom Biozentrum entdeckte 1990 das "Augen-Gen" Pax 6 und dessen Kontrolle durch Notch. Er untersucht aktuell Entwicklung und Evolution des Auges in Fröschen, Fliegen und Quallen sowie ihre Rolle auf die Gehirnentwicklung.

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Einige der weiterhin unter den Top50 plazierten Entwicklungsbiologen haben ihre Karriere unter Gehrings Anleitung begonnen:

Ernst Hafen (11.), der damals seine Doktorarbeit bei Gehring verfasste, ist jetzt Direktor des Zoologischen Instituts an der Universität Zürich. Hafens erster Doktorand Konrad Basler (23.), nun selbst Professor in Zürich, erforscht wie Hafen Wachstumskontrolle und Zellkommunikation.

Christiane Nüsslein-Volhard (16.), ehemaliger Postdoc bei Gehring, ist eine von fünf Leibniz-Preisträgern im Vergleich und seit 1985 Direktorin am MPI für Entwicklungsbiologie Tübingen. Für die Durchführung der systematischen Mutanten-Screens an Drosophila und Zebrafisch in den 80er und 90er Jahren erhielt sie 1995 den Nobelpreis für Medizin. Nun arbeitet sie unter anderem an Larvenentwicklung bei Drosophila sowie Musterbildung und Somitogenese in Zebrafisch.

Unter ihrer "Schirmherrschaft" rückten auch einige ihrer Mitarbeiter ins Rampenlicht: Ihr ehemaliger Schützling Carl-Philipp Heisenberg (32.), seit 2000 am Dresdener MPI für Molekulare Zellbiologie und Genetik, schaffte diesmal den Sprung unter die Top 50. Er verfasste zusammen mit Robert Geisler (12.) und Gerd-Jörg Rauch (17.), die beide noch am MPI Tübingen in der Abteilung Genetik unter Nüsslein-Volhard arbeiten, das meistzitierte entwicklungsbiologische Paper. Ihre Ergebnisse zur Rolle von Silberblick/Wnt11 bei der Gastrulation in Zebrafisch wurden mit 229 Zitierungen honoriert. Ein anderer Postdoc Nüsslein-Volhards, Matthias Hammerschmidt (30.), ist heute Leiter einer Projektgruppe am MPI für Immunbiologie in Freiburg, die Signalmechanismen in der Embryogenese untersucht.

Stephen M. Cohen (10.), seit 1993 am EMBL in Heidelberg und Leiter der Abteilung Entwicklungsbiologie, hat seinen Platz unter den Top 10 behauptet. Vor allem sein Nature-Artikel über die enzymatische Modulation von Notch-Delta-Interaktionen fand Anerkennung bei den Kollegen. Mit der Erforschung von Wachstumskontrolle und Musterbildung begann er zusammen mit Gerd Jürgens (7.) als Postdoc im MPI für Entwicklungsbiologie Tübingen. Jürgens suchte damals noch unter Nüsslein-Volhard die Gene, die die Entwicklung von Tier und Mensch steuern, bevor er mit Arabidopsis-Mutantenscreens begann.


Mäuse sind Chefsache

Mäuse sind die ausgemachten Favoriten der Entwicklungsbiologen: Knapp die Hälfte der Top 50-Forscher haben die Maus zum Lieblings-Labortier erkoren, allen voran die Nr. 1 aus Wien, Erwin Friedrich Wagner. Berlin schickt gleich sechs Mausforscher ins Rennen, und liegt damit auf Platz drei der "Städtemeisterschaft" - nach Heidelberg (neun Forscher) und Tübingen (sieben). Doch legt man auch in Berlin Wert auf Qualität, nicht allein auf Masse: Da sind zum Beispiel die Birchmeiers - Walter Birchmeier (6.), Direktor des Max-Delbrück-Centers (MDC), und Carmen Birchmeier (15.), Abteilungsleiterin am MDC und Leibniz-Preisträgerin. Ihre Teams arbeiten unter anderem an Epithelentwicklung (Walter), Signaltransduktion (beide) und Entwicklung von Muskel- und Nerven (Carmen). Vor allem Walter Birchmeier schickte viele junge aufstrebende Wissenschaftler in die Welt, und einige sind angetreten, ihm den Platz unter den Top 50 vielleicht in der näheren Zukunft streitig zu machen: Bettina Erdmann (34.) und Joerg Huelsken (23.), der mittlerweile am Swiss Institute for Experimental Cancer Research (ISREC) ist, haben etwa einen Beta-Catenin-Steuerungsmechanismus für Hautstammzellen entdeckt.

MPG-Präsident Peter Gruss (4.) vom MPI für Biophysikalische Chemie in Göttingen ist ebenfalls Leibniz-Preiträger, genauso wie Gerd Jürgens (7.) vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMPB) in Tübingen und "Dickkopf"-Forscher Christof Niehrs (26.) vom DKFZ Heidelberg. Allein diese Ballung von Leibniz-Preisen auf Entwicklungsbiologen sollte die Unkenrufer verstummen lassen, die befürchten, dass die Entwicklungsbiologie von anderen Disziplinen zur Seite gedrängt wird.

Überhaupt sind die Mäuse vielerorts zur Chefsache erklärt worden. Zwölf der aufgeführten Entwicklungsbiologen haben Direktorenposten inne, darunter sind acht Mausforscher, fünf zählen gar zu den Top 10: Neben Peter Gruss, Erwin F. Wagner ("nur" Vize-Direktor am Wiener IMP (Research Institute of Molecular Biology)) und Walter Birchmeier stehen die Martinsrieder MPI-Direktoren Reinhard Fässler (2.) und Rüdiger Klein (9.) auf dem Treppchen.


Wer bleibt draußen?

Ein kleines Problem gab es bei den Neuro-Entwicklungsbiologen. Sie lassen sich jedoch nach ihrer Wunsch-Leserschaft unterteilen: In diesem Zitationsvergleich wurden diejenigen unter den Neuro-Entwicklungsbiologen außen vor gelassen, die in erster Linie in neurowissenschaftlichen Journals Veröffentlichungen haben. Sie werden dafür im Neurobiologen-Zitationsvergleich Aufnahme finden.


Wer kommt rein?

Reingenommen wurden dagegen die Forscher, die vor allem in entwicklungsbiologischen Zeitschriften ihre Artikel veröffentlicht haben.


Korrekturen (Stand 10/2005)

Michael Brand vom MPI für Molekulare Zellbiologie und Genetik Dresden wurden im Zitationsvergleich "Entwicklungsbiologen (Lj 9/2005) nur 296 Zitierungen angerechnet statt der richtigen 449 (Stand 26.9.2005), was Platz 27 entspricht. Dies geschah aufgrund eines Fehlers in der Datenbank ISI-Web of Science: Dort waren einige Artikel als Review gekennzeichnet, sie wurden daher nicht mitgerechnet.

Andreas Kispert von der Molekularbiologie Hannover wurde ebenfalls übersehen. Die am 26.9.2005 errechneten 447 Zitierungen seiner 17 Artikel bringen ihn auf Platz 28.

Die folgenden bestzitierten Artikel wurden im Zitationsvergleich "Entwicklungsbiologen" (Lj 9/2005) nicht erwähnt:

Bouwmeester T et al. Functional organization of the yeast proteome by systematic analysis of protein complexes. NATURE 415 (6868): 141-147 JAN 10 2002. 999 mal zitiert

Kafatos FC et al. The genome sequence of the malaria mosquito Anopheles gambiae. SCIENCE 298 (5591): 129 OCT 4 2002. 378 mal zitiert

Klein R et al. Role of brain insulin receptor in control of body weight and reproduction. SCIENCE 289 (5487): 2122 SEP 22 2000. 292 mal zitiert

Wir bitten, nicht erwähnte Artikel und falsche Platzierungen wegen fehlender Zitierungen zu entschuldigen.


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Letzte Änderungen: 30.10.2005