Editorial

DNA-Dechiffrierer
Produktübersicht: Next-Generation-Sequenzing-Plattformen

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Einzelmolekül- und Nanoporensequenzierer mausern sich immer mehr zu echten Rivalen „traditioneller“ NGS-Instrumente.

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Lösen Nanoporensequenzierer schon bald „klassische“ Next-Generation-Sequenzer ab?

Vier Jahre sind seit der letzten Produktübersicht zu Next-Generation-Sequenziergeräten vergangen. Höchste Zeit für ein Update. Wenig verändert hat sich an der marktbeherrschenden Position des Platzhirsches Illumina. Dessen Mini-, Mi,-Next-, sowie Hi-Seq-Instrumente, die allesamt auf einer Variante (Cyclic Reversible Termination, CRT) der „althergebrachten“ Sequenzierung-durch-Synthese-(SDS)-Strategie basieren, sind in biowissenschaftlichen Laboren praktisch omnipräsent. Auch Illuminas Rivalen Thermo Fisher, Roche sowie der NGS-Neueinsteiger Qiagen nutzen in ihren Ion Torrent, 454, beziehungsweise GeneReader-Geräten die traditionelle SDS-Technik. Wie die ebenfalls nicht mehr ganz taufrische Sequenzierung durch Ligation (SDL), die Thermo Fisher in den SOLiD-Sequenzierern einsetzt, besticht auch das SDS-Verfahren mit geringen Fehlerraten.

Das Hauptmanko, sowohl bei SDS als auch SDL, sind jedoch die kurzen Leselängen (Short Reads) von wenigen hundert Basepaaren (bp), die entsprechende Assemblierungsprogramme mühsam und zeitaufwändig zu längeren Sequenzen zusammenfügen müssen. Bei einfachen Sequenzen ist dies meist kein Problem. Ist die DNA aber mit langen repetitiven Abschnitten durchsetzt, sind die Analyseprogramme schnell überfordert.

Synthetische lange Reads

Zwar haben sich die Hersteller von „Short-Read-Sequenzierern“ auch hierzu ein Verfahren einfallen lassen. Mit Hilfe von barkodierten DNA-Fragmenten lassen sich mit diesem aus kurzen Reads synthetische lange Reads erzeugen, die für die Assemblierungsprogramme leichter auszuwerten sind. Viel einfacher erhält man lange Reads jedoch mit Einzelmolekül- sowie Nanoporen-Sequenzierern, die völlig andere Sequenzierungstechniken verwenden und mit diesen Leselängen bis über 200 Kb erreichen.

An der Einzelmolekül-Sequenzierung haben sich in der Vergangenheit schon verschiedene Firmen versucht. Von diesen ist mittlerweile nur noch Pacific Biosystems (Pac Bio) aus dem kalifornischen Menlo Park übriggeblieben. Neben ihrem ursprünglichen 700.000 Dollar teuren Einzelmolekülsequenzierer offerieren die Kalifornier inzwischen auch ein abgespecktes Modell, das mit 350.000 Dollar schon eher für kleinere Labore erschwinglich ist.

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Beide Instrumente fußen auf der sogenannten Zero-Mode-Waveguide-Technik, welche die Gruppe des Physikers Watt Webb an der amerikanische Cornell University vor 13 Jahren entwickelte. Zu Webbs Mannschaft gehörten damals auch Steven Turner, der Gründer von Pac Bio, sowie der aus Berlin stammende Jonas Korlach, der heute wissenschaftlicher Chef der Firma ist.

Um Zero-Mode-Waveguides (ZMW) herzustellen, überzieht man einen durchsichtigen Objektträger aus Glas mit einer hauchdünnen Aluminiumschicht, die von winzigen Nanolöchern durchzogen ist. Tritt sichtbares Licht von unten durch das Glasplättchen, können die Lichtwellen aufgrund ihrer zu großen Wellenlänge nicht in die Löcher der Aluminiumschicht eindringen. Am Boden der Löcher entsteht hierdurch eine exponentiell abklingende, dahinschwindende (evaneszente) Welle, die nur die unmittelbare Bodenoberfläche beleuchtet. Aufgrund dieses physikalischen Effekts heben sich auch sehr schwache ­Fluoreszenzsignale in den winzigen Vertiefungen vom Hintergrundrauschen ab und lassen sich detektieren.

Turner und Korlach erkannten sehr schnell, dass sich mit der ZMW-Technik nicht nur Enzymreaktionen auf Einzelmolekülebene untersuchen lassen, sondern auch der Einbau von fluoreszierenden Nukleotiden durch eine Polymerase in einen DNA-Einzelstrang – und zwar in Echtzeit.

Dahinschwindende Lichtwellen

Die beiden nannten dieses neue NGS-Konzept, das im Grunde eine weitere Variante des SDS-Prinzips ist, Single-Molecule Realtime Sequencing oder kurz ­SMRT-Sequenzierung. Für die ­SMRT-Sequenzierung fügt man an beide Enden der doppelsträngigen DNA-Vorlage zunächst einen einzelsträngigen Haarnadeladapter an und erhält so eine zirkuläre ­DNA-Sequenz mit einem langen linearen Doppelstrang zwischen den einzelsträngigen Haarnadeln. Gibt man entsprechende ­Primer sowie eine DNA-Polymerase zu diesen SMRT-Bell-Templates hinzu, so binden diese an den einzelsträngigen Abschnitten.

Pipettiert man die SMRT-Bell-Bibliothek schließlich auf die Zero-Mode-Waveguide-Zelle, so wird in jeder Nano-Vertiefung nur jeweils ein SMRT-Bell-Komplex über die DNA-Polymerase am Boden immobilisiert. Anschließend versetzt man die vorbereiteten Waveguides mit fluoreszenzmarkierten dNTPs und beobachtet deren Einbau in die SMRT-Bell-Template mit einer wissenschaftlichen Kamera. Diese registriert die Farbwechsel in sämtlichen Waveguides und ordnet sie den jeweiligen Nukleotiden zu.

Mit der SMRT-Technik sind Leselängen von bis zu 20 kB möglich. Allerdings fabriziert der SMRT-Sequenzierer bei nur einer Passage der SMRT-Bell-Template (Single Pass) haufenweise Fehler: im Schnitt sind in diesem Fall dreizehn von hundert detektierten Basen falsch. Diese grottenschlechte Fehlerrate lässt sich jedoch sehr einfach verbessern, indem man die Polymerase in mehreren Runden (Multiple Pass), um die zirkuläre DNA-Vorlage marschieren lässt. Mit der hieraus resultierenden durchschnittlichen Fehlerrate von unter einem Prozent dürften die meisten Forscher schon ganz gut leben können.

Endlose Leselängen

Noch weitaus größere Leselängen als SMRT-Sequenzierer erzielen die Nanoporensequenzierer der britischen Firma Oxford Nanopore Technologies (ONT), die nach einem gänzlich anderen, aber ebenso cleveren Prinzip arbeiten. Ähnlich wie bei den SMRT-Bell-Templates ist die Sequenziervorlage an beiden Enden mit Adaptermolekülen versehen: an einem Ende sind die Doppelstrangenden über eine einzelsträngige Haarnadel ­miteinander verknüpft, am anderen Ende sitzt ein ­doppelsträngiger Leader Adapter. Letzterer dirigiert das Template zu einem Motorprotein das gemeinsam mit dem Membranprotein CsgG aus E. coli eine Nanopore in einer nichtleitenden Polymermembran bildet. An der Membran liegt eine elektrische Spannung an, die einen Ionenfluss durch die Pore antreibt.

Dockt das DNA-Template an dem Motorprotein an, schiebt dieses zunächst den Vorwärtsstrang (1D-Read) der DNA peu à peu in die Pore und unterbricht hierdurch immer wieder den Ionenfluss. Anschließend folgt das kurze Adapter-Stück und schließlich der komplementäre Strang (2D-Read). Weil die Schwankungen des Stromflusses von den Nukleotiden abhängen, die sich gerade in der Pore befinden, erzeugt jedes dieser sogenannten K-mere ein spezifisches elektronisches Signal, mit dem sich die jeweilige Nukleotidsequenz bestimmen lässt.

ONTs tragbarer Minion-Sequenzierer ähnelt einem USB-Stick und ist mit einer Flusszelle ausgestattet, die 512 Nanoporen enthält. Gegenwärtig ist diese auf eine Sequenziergeschwindigkeit von 280 Basenpaare pro Sekunde eingestellt. Laut Ankündigung der Firma sollen demnächst aber bis zu 500 Bp möglich sein. Viel länger als drei Tage hält die Messzelle jedoch nicht durch und muss dann ersetzt werden.

Nach dem gleichen Prinzip funktionieren auch die Flusszellen in ONTs ­Promethion-Sequenzierern. Die Flaggschiffe der Briten sind mit bis zu 48 Zellen bestückt die zusammen 144.000 Kanäle enthalten. Bei einer maximalen Geschwindigkeit von 500 Bp sequenziert ein Promethion in zwei Tagen bis zu 4 Tb – bei Leselängen von bis zu 240 Kilobasen.

Etwas besser sieht es inzwischen beim größten Schwachpunkt der Minion und Promethion-Sequenzierer aus: der hohen Fehlerrate. Mit dem bis Anfang 2016 von Oxford Nanopore Technologies verwendeten Kanalprotein R7 (vermutlich steht R7 für das Porenprotein MspA aus M. smegmatis, auf das Illumina einen Patentanspruch erhebt) waren noch Fehlerraten von bis zu 30 Prozent an der Tagesordnung.

Weniger Fehler

Allem Anschein nach hat sich dies mit dem seit kurzem verwendeten CsgG (R9) deutlich gebessert. Zumindest hat ONT in der Produktübersichtstabelle unter „Fehlerrate“ eine Single-Read-Genauigkeit von 99 Prozent eingetragen. Ob diese Angabe tatsächlich der Realität entspricht, müssen letztlich die Nutzer der Minion-Geräte herausfinden, die das Instrument für 1000 Dollar (plus happiger Spesen für die Flusszellen) testen können.

Ob es sich allerdings lohnt, seine Zeit für ein Gerät zu opfern, bei dem man weder weiß, was sich hinter den ominösen ­Abkürzungen für die verwendeten Kanalproteine verbirgt, noch wie lange diese Bestand haben, muss jeder für sich selbst entscheiden. Im Grunde sind sämtliche Publikationen aus den letzten zwei Jahren, in denen Forscher ihre Sequenziererfahrungen mit den 2014 lancierten R7-Minions veröffentlichten, inzwischen Makulatur. Mal sehen, wie lange es geht, bis die Ergebnisse der R9-Minion-Testnutzer in den Papierkorb wandern.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 09/2016, Stand: August 2016, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 14.09.2016