Editorial

Die Welt ist keine Scheibe
Produktübersicht: 3D-Zellkultursysteme

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Ross Harrison bei der Arbeit in seinem Labor an der Universität Yale. Die von ihm gezüchteten Nervenzellen wuchsen in kleinen Mediumtropfen, die an der Unterseite von Objekträgern hingen.

Viele Zellforscher verabschieden sich von konventionellen, zweidimensionalen Zellkulturmodellen und steigen auf dreidimensionale um.

Anfang des 20. Jahrhunderts züchtete der amerikanische Anatom und Zoologe Ross Granville Harrison Nervenzellen in einem Tropfen aus Lymphflüssigkeit, der an der Unterseite eines Deckgläschens hing. Harrison war damit nicht nur einer der ersten Lebenswissenschaftler, der Zellen kultivierte – er war mit seiner Hanging-Drop-Methode auch der erste, der hierzu ein dreidimensionales (3D)-Zellkultursystem einsetzte. Die von Harrison verwendeten Nervenzellen konnten sich in dem über einer kleinen Vertiefung des Objektträgers hängenden Tropfen ungestört in alle drei Richtungen des Raumes ausbreiten.

Harrison hatte sich mit seiner Hanging-Drop-Technik aber auch einige Probleme eingehandelt, die nicht so einfach zu lösen waren. Wie sollte er zum Beispiel seinen Zellen frisches Medium zuführen, wenn das alte verbraucht und durch Stoffwechselprodukte der Zellen vergiftet war? Und wie konnte er das wachsende Zellkügelchen aufteilen, wenn es eine kritische Größe erreichte, um die Zellen kontinuierlich weiter zu kultivieren? Da weder Harrison noch einer seiner Zellforscherkollegen hierauf praktikable Antworten fanden, geriet sein 3D-Zellkultursystem wieder in Vergessenheit.

Billiger Abklatsch

Stattdessen entwickelten Zellforscher einfacher zu handhabende, zweidimensionale Kultursysteme. Bei diesen wachsen die Zellen als Schicht auf den Böden von Petrischalen oder schwimmen einzeln in mit Kulturmedium gefüllten Flaschen umher. Diese Adhäsions- beziehungsweise Supensionskulturen erleichtern die tägliche Arbeit mit Zellkulturen, sind aber nur ein billiger Abklatsch der natürlichen Umgebung der Zellen. In dieser sind sie in eine extrazelluläre Matrix (EZM) aus Proteoglykanen, Kollagen, Mikrofasern und anderen Biomolekülen eingebunden. Die EZM verleiht ihnen nicht nur Halt und eine dreidimensionale Struktur. Über Wachstumsfaktoren und andere sekretierte Botenstoffe ermöglicht sie auch die Kommunikation der Zellen untereinander.

Immer mehr Lebenswissenschaftler versuchen deshalb die natürliche Zellumgebung mit dreidimensionalen Zellkultursystemen nachzuahmen und diese als naturnahe Modelle für ihre Versuche einzusetzen. Als Trägersysteme für 3D-Zellkulturen verwenden sie meist Sphäroide, Scaffolds oder Gele.

Sphäroidkulturen sind nichts anderes als eine moderne Form der Hanging-Drop-Kultur die Harrison schon vor mehr als hundert Jahren einführte. Statt Deckglas und hohlgeschliffenen Objektträgern nutzt man heute meist spezielle Mikrotiterplatten aus Plastik, um kugelige Zellaggregate zu erzeugen, die in winzigen Tropfen des Zellkulturmediums heranwachsen.

Näpfchen mit Löchern

Die Näpfchen der Hanging-Drop-Platten haben häufig ein winziges Loch am Boden der Wells. Pipettiert man die Zellsuspension in diese hinein, sickert das Medium durch die kleine Öffnung und bleibt durch die Adhäsionskräfte als ­Minitropfen an der Unterseite der Vertiefung hängen.

Die Zellen in dem Tropfen breiten sich darin dreidimensional aus und formieren sich zu winzigen Zellkugeln oder Sphäroiden, die ihre eigene extrazelluläre Matrix ausbilden. Da die Zellkügelchen Tumoren ähneln bieten sie sich unter anderem als Modell für die Erforschung von krebshemmenden Substanzen an. Die extrazelluläre Matrix der Sphäroide ist aber nicht besonders stabil wodurch ihr Größe eingeschränkt ist. In der Regel bereitet der schleichende Zelltod dem Wachstum der Zellkugel ab einem Durchmesser von etwa 500 Mikrometern ein Ende.

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Auch mit Magnet und Eisenoxid-haltigem Hydrogel kann man eine dreidimensionale Zellkugel erzeugen. Die Methode nennt sich dann magnetisches Zellschweben.

Matrixersatz

Zu den beliebtesten 3D-Zellkultursystemen zählen sogenannte Scaffolds oder 3D-Matrizen, die die extrazelluläre Matrix der jeweils gezüchteten Zellen ersetzen sollen. Gleichzeitig geben Scaffolds dem wachsenden Zellverband eine räumliche Struktur vor. In der regenerativen Medizin kann dies zum Beispiel eine kleine Röhre sein, auf der die entsprechenden Zellen zu einem Gefäß heranwachsen oder etwa ein flächiges Gebilde auf dem man ein Stück Haut züchtet.

So vielfältig wie die Formen sind auch die Materialien, aus denen Scaffolds hergestellt werden. Bei Scaffold Implantaten für die regenerative Medizin sollte das Material nicht nur das Zellwachstum unterstützen und die passende Form haben. Der Körper muss es auch wieder abbauen können ohne schädliche Nebenprodukte zu erzeugen.

Aus unterschiedlichen Werkstoffen

Für in-vitro-Versuche im Labor spielt die Bioabbaubarkeit zumeist keine entscheidende Rolle. Zellforscher setzen hier fast alle Werkstoffe und Substanzen ein, auf denen Zellen wachsen und die einigermaßen in Form bleiben. Das Spektrum reicht von Metallen, Keramik- und Verbundwerkstoffen bis zu natürlichen und synthetischen Polymeren. Typisch für viele Scaffold-Materialien ist jedoch eine faserige, poröse oder schwammartige Struktur, auf deren großer Oberfläche Zellen gut anhaften können.

Ähnlich wie Scaffolds sollen auch die für die 3D-Zellkultur eingesetzten Gele die extrazelluläre Matrix ersetzen. Sie sind aber wesentlich weicher als typische Scaffold-Trägersysteme und ähneln eher weichem Gewebe. Ein Klassiker ist das schon seit 1972 verwendete Matrigel, das aus dem Engelbreth-Holm-Sarkom der Maus hergestellt wird und vor Proteinen der extrazellulären Matrix wie Laminin und Kollagen nur so strotzt.

Schwabbelige Hydrogele

Um vor Überraschungen durch undefinierte Substanzen in Gelen aus tierischen Quellen gefeit zu sein, verlassen sich viele Zellforscher lieber auf synthetische Gele mit definierter Zusammensetzung, etwa die auf Polyethlenglykol-Derivaten bestehenden Hydrogele. Die definierte Zusammensetzung ist aber nicht der einzige Vorteil von Hydrogelen. Durch die Kopolymerisation mit natürlichen oder synthetischen Polymeren kann man ihre chemischen und physikalischen Eigenschaften an den jeweiligen Zelltyp anpassen. Dafür nimmt man jedoch in Kauf, dass das Handling der mehr oder weniger schwabbeligen oder zähflüssigen Gele nicht immer einfach ist.

Welches dieser drei Systeme für den jeweiligen Zelltyp am geeignetsten ist, muss jeder Forscher für sich selbst entscheiden. Eine Zusammenstellung der derzeit erhältlichen 3D-Zellkultursysteme, die die Wahl erleichtern soll, finden Sie auf den nächsten Seiten.

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(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 03/2014, Stand: Februar 2014, alle Angaben ohne Gewähr)




Letzte Änderungen: 13.03.2014