Editorial

Gut verdaut ist halb gegessen

von Cornel Mülhardt



Aus der Reihe Bewährte Hausmittel neu entdeckt für die Spitzenforschung“: Ein kleiner Melissengeist hilft bei Verdauungsproblemen aller Art - am besten peroral.

Cornel Mülhardt ist wieder da! Nach monatelanger strenger Klausur hat er das Manuskript zur Neuauflage des "Experimentator Molekularbiologie“ beendet und wird nun wieder regelmäßig seine Weisheiten unter die deutsche Forscherschaft streuen. Diesmal widmet er sich den Forschern mit Verdauungsschwierigkeiten. Banale Probleme tischt er auf, die aber - Gott sei’s geklagt - auch den genialsten experimentellen Ansatz zum Scheitern bringen können. Was tun, wenn Bam nicht schneidet? Was tun wenn der Ansatz aus der Geltasche flutscht? Und was, außer beten, kann der Forscher gegen methylierte Erkennungssequenzen unternehmen? Banale Probleme, wie gesagt. Aber gerade die vermögen es, auf penetrante Weise des Forschers heiles Bild von sich und seinen Fähigkeiten zu zerknittern.

Summertime, Glück allein, ich möcht’ so gern im Urlaub sein. Geht es Ihnen auch so, lieber Leser? Sind Sie auch das eine arme Schwein, das diesen Sommer im Labor verbringen wird, während die anderen von Mallorca bis Guadeloupe jetten? Willkommen im Klub. Die einen müssen bleiben, weil sie aus finanziellen Gründen auf die Vor- oder Nachsaison beschränkt sind, wenn es kalt ist und regnet. Die anderen stecken mitten in der Doktorarbeit, nichts funktioniert, und man kann es sich beim besten Willen nicht leisten, Zeit zu verlieren. Oder es klappt gerade alles hervorragend, und man kann es sich beim besten Willen nicht leisten, gerade jetzt entscheidende Zeit zu verlieren, wo doch die Gelegenheit so günstig ist und der Chef so drängelt. Derweilen bricht das Labor langsam zusammen, weil die entscheidenden TAs (bzw. Laboranten - ein Grüezi in die Schweiz) sich wochenlang irgendwo fern der Heimat die Sonne auf den Pelz brennen lassen, während hier kein Mensch weiß, wo die Ersatzrollen mit dem Handtuchpapier sind.


Ein Grüezi in die Schweiz

Mein Schicksal ist es, bei strahlendem Wetter Laborjournal-Artikel schreiben zu müssen. Im dunklen Kämmerlein, wohlgemerkt, weil der moderne Mann solche Arbeiten natürlich gleich am Computer erledigt. Der aber funktioniert bekanntlich nur richtig, wenn er in einem wohltemperierten, mäßig beleuchteten Kellerraum aufgestellt wird. Glaubt man den Zeitungen, ist der große Renner der Zukunft ja sowieso das elektronische Buch und sicherlich auch die elektronische Zeitung. Die lädt man sich auf sein kleines Lesegerät, steckt es dann ganz bequem in die Sporttasche und fährt ins Freibad. Stellen Sie sich vor, Sie hätten das Laborjournal geladen (und der Form halber die letzte Nature-Ausgabe), dann könnten Sie ohne schlechtes Gewissen am Pool lümmeln und arbeiten“ - auf dem neuesten Stand der Forschung zu bleiben gehört schließlich zu unseren vornehmsten Aufgaben. Nicht ZU nah am Pool allerdings, der Wasserspritzer wegen. Vielleicht auch nicht gerade in der prallen Sonne, das mögen die LC-Displays nicht sonderlich. Außerdem heizt sich das Teil bedenklich auf, weil eine Laune der Hersteller es so will, dass die Geräte fast immer schwarz sind. Schwimmen gehen sollte man auch nur, wenn es einem wurscht ist, dass das High-Tech-Utensil bei der Rückkehr verschwunden sein könnte. Ideal wäre sicherlich ein abgelegener, abgedunkelter Ort mit indirekter Beleuchtung, an dem man nicht immer gestört wird. Ein Labor in der Urlaubszeit beispielsweise. Der Fortschritt ist schon was Feines!


Und jetzt endlich zum Thema

Thema? Welches Thema eigentlich? Wie könnt´ ich nur die Leute zur Ferienzeit erfreuen? Wie wär’s mit Restriktionsverdaus! Jeder kennt sie, jeder macht sie, jeder hasst sie. Lässt sich dazu substantiell Neues finden? Kaum, aber es ist immerhin einen Versuch wert. Man nehme 1 µl DNA, 2 µl Puffer, 16 µl Wasser und 1 µl Enzym, inkubiere 1 h bei 37 °C, trage das Ganze auf ein Agarosegel und fotografiere das Ergebnis. Zugegeben, klingt nicht gerade spannend, weder sprachlich noch inhaltlich. Das Dumme ist, dass es in der Praxis fast immer haargenau so abläuft. Die Puffer sind immer zehnfach konzentriert, die Menge an Enzym, die man einsetzt, ist seit Jahrzehnten die gleiche, obwohl die Enzyme immer sauberer und die Zahl der Units pro µl immer größer werden, und 20 µl entsprechen ziemlich genau dem Volumen, das man ohne Probleme in eine Geltasche laden kann.


Schwuppdiwupp, wie von Zauberhand

Manchmal kommt es zu kleineren Unfällen. Ist es Ihnen auch schon einmal passiert, dass Sie einen ganz wichtigen Verdau aufs Gel laden und plötzlich, schwuppdiwupp, wie von Zauberhand entweicht fast der ganze Ansatz aus der Tasche in den Puffer? Mit einer so affenartigen Geschwindigkeit, dass alles vorbei ist, bevor man überhaupt angefangen hat, sich zu ärgern? Zu dumm, dass ich dafür keinen Tip parat habe. Nicht nur ich nicht: So richtig erklären kann den Effekt keiner. Er soll angeblich mit Ethanolresten in der DNA-Lösung zusammenhängen. Ethanolreste bleiben, wenn man beispielsweise für seine Minipräps diese tollen Spin Column Kits verwendet und nach dem Waschen nicht ordentlich trockenzentrifugiert. Die Ethanolreste-Theorie klingt plausibel, scheint aber nur die halbe Wahrheit zu sein. Ich glaubte einmal festgestellt zu haben, dass dieser Tornado in der Geltasche auch von der Höhe des Pufferspiegels über der Tasche a bhängen könnte - üble Kapillarkräfte fernab jeder Kapillare. Leider war das Phänomen nicht zuverlässig reproduzierbar, was die Suche nach einer Ursache enorm erschwert. Wer eine gute Erklärung hat, möge sich bitte melden: cornel.muelhardt @web.de. Theorien hin, Theorien her - was soll der unglückliche Forscher tun? Sofern noch etwas Material übrig geblieben ist, hilft es meist, die Menge an Blaumarker drastisch zu erhöhen.


Eine geniale Klonierung

Hin und wieder kommt es auch zu größeren Überraschungen. Ulkigerweise nehmen diese mit zunehmender Praxis zu. Nach zehn Laborjahren geschah es mir beispielsweise, Verdaus ohne Restriktionsenzym anzusetzen, wobei ich noch ganz stolz darauf war, wie schnell mir die Arbeit von der Hand ging. Ein anderes Beispiel war eine geniale Klonierung mit Bcl I, die mich viele Tage gekostet hat: Erst bedurfte es etlicher Verdaus, um darauf zu kommen, dass das Enzym bei 50 °C arbeitet, nur um, etliche Versuche später, feststellen zu müssen, dass Bcl I empfindlich auf Methylierungen reagiert - eine lästige Eigenschaft angesichts der Tatsache, dass die Erkennungssequenz (TGATCA) gleichzeitig die Erkennungssequenz für die Dam-Methylase (GATC) enthält. Damit haben wir bereits die beiden wichtigsten Probleme des Verdaus benannt: ungewöhnliche Verdautemperaturen und Methylierung. Das mit der Temperatur ist meist gar nicht so schlimm. Bei 37 °C bleibt nämlich im allgemeinen eine Restaktivität von 25-50% erhalten, was angesichts der übertriebenen Enzymmengen im Ansatz vollkommen ausreicht. Problematischer ist da schon die Methylierung. Gegen die ist kurzfristig kein Kraut gewachsen. Ein Enzym, das methylierte Erkennungssequenzen nicht schneidet, schneidet nicht - nicht in einer Stunde, nicht in zehn, nicht heute und auch nicht morgen.


Der Haken an der Sache

Rein theoretisch müsste es möglich sein, methylierte Stellen durch eine vorherige Methylase-Behandlung zu demethylieren. Doch leider scheint die Sache einen Haken zu haben - ich habe in meiner langjährigen Praxis jedenfalls niemanden gesehen, der es versucht hätte. Aber vielleicht hat sich nur noch keiner getraut? Kary Mullis konnte es ja auch nicht glauben, dass vor ihm noch keiner auf die Idee mit der PCR gekommen war. Vorläufig aber gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die erste wäre, ein methylierungsunempfindliches Isoschizomer - also ein Restriktionsenzym anderen Namens, das die gleiche Erkennungssequenz in gleicher Weise schneidet - aufzutreiben, das nicht methylierungssensitiv ist. Ein Beispiel dafür wäre Sau3A I, die unsensible Variante von MboI. Weil aber solche Pärchen selten sind, muss man den meist mühseligen Weg gehen und neue, nicht methylierte Plasmid-DNA produzieren. Das bedeutet, dass man methylierungsdefiziente Bakterien bestellen muss, sofern sich kein Kollege findet, der irgendwo noch vergrabene Vorräte besitzt. Anschließend transformieren und DNA präparieren - bis zu eine Woche kann man dadurch verlieren. Noch dazu lässt die Ausbeute an DNA bei diesen speziellen Stämmen mitunter zu wünschen übrig, was die Arbeit auch nicht leichter macht.

Wir merken uns deshalb:

Eco, Xba, Bam und Hind,
die kennt und liebt heut jedes Kind,
Bbv I, Fnu4H I, BsrD und Tse
verknoten die Zunge - lass sie und geh.

Mehr zum Thema im Wonnemonat September.




Letzte Änderungen: 08.09.2004