Editorial

Ein Nachtrag zur Proteinbestimmung

Der Pilztest

Hubert Rehm


Post aus Down Under! Selbst australische Forscher lesen Laborjournal - besonders, wenn ihre Methoden darin gewürdigt werden. Nachfolgend einige Ergänzungen zum in Ausgabe 04/2005 geschilderten "Deep Purple"-Verfahren.

In Laborjournal 4/2005 hatte ich eine neue Färbemethode für SDS-Gele vorgestellt: Deep Purple. Zu meiner Überraschung erhielt ich daraufhin Post aus Australien. Duncan Veal aus Sydney schrieb, er habe sich den Artikel übersetzen lassen und müsse nun einige Kommentare loswerden.


Forscher Zufall

Deep Purple sei in seinem Labor gefunden worden und zwar durch einen Zufall. Ein gewisser Philipp Bell habe - aus Langeweile? - zusammen mit Jian Shen ein paar alte mit Pilzen infizierte Hefekulturen untersucht, die eigentlich hätten in den Autoklaven wandern sollen. Bell war aufgefallen, daß die Pilze fluoreszierende Substanzen produzierten. Diese Substanzen stellten sich zwar als wertlos heraus, ein bestimmter Pilz, Epicoccum nigrum, produzierte jedoch eine Substanz, die die umgebenden Hefen knallrot färbte. Bell und Jian extrahierten die Substanz und tauften sie in aller Bescheidenheit "Beljian Red".

Die Garage als Labor

Damit hätte es für die meisten Forscher sein Bewenden gehabt, nicht aber für Philipp Bell. Weil anscheinend die Universität oder sein Chef nicht genügend Interesse an der Substanz hatten, um Bell dafür Laborplatz zur Verfügung zu stellen, mühte er sich zwei Jahre lang in seiner Garage daran ab, eine größere Menge des Farbstoffs herzustellen. Als er genug davon hatte (zweideutig!), arbeiteten Peter Karuso und Hayley Brown eine Reinigungsmethode für den Farbstoff aus. Auch gelang es mittels NMR, seine Struktur aufzuklären. Er stellte sich als ein Polyketid vom Molekulargewicht 410 heraus.

Beljian Rot hatte eine Reihe brauchbarer Eigenschaften: Einen langen Stokes Shift und und eine rote Fluoreszenz bei 605 nm, wenn es mit blauem oder grünem Licht angeregt wurde.

Veal und seine Mitarbeiter kamen auf die Idee, mit Beljian Rot die Proteine eines SDS-Gels anzufärben. Sie nahmen an, daß sich Beljian Rot, analog zu anderen Fluoreszenzfarbstoffen, z.B. SYPRO Orange, in die SDS-Hülle der Proteine einlagere. Auch fiel ihnen auf, daß die Fluoreszenz intensiver wurde, wenn man die Gele mit Ammoniak entwickelte. Am Ende stand die in Laborjournal 04/2005 als Protokoll Nr. 2 bezeichnete Färbemethode für SDS-Gele. Veals Firma Fluorotechnics widmete sich ihrer Kommerzialisierung. Vermutlich aus marketingtechnischen Gründen gab man Färbung und Farbstoff den Namen "lightning fast".


Der Forscher irrt, so lange er lebt

Ein neues Produkt herzustellen ist eine Sache. Eine andere und in der Regel die schwierigere ist es, das Produkt zu verkaufen. Es gelang Fluorotechnics jedoch, das Unternehmen Amersham für Vertrieb und Entwicklung von "lightning fast" zu interessieren. In der weiteren Zusammenarbeit der beiden Firmen stellte sich heraus, daß der Wirkungsmechanismus des Farbstoffs anders ist als gedacht. Er lagert sich keineswegs nur in die SDS-Hülle ein, sondern geht mit den primären Aminogruppen der Lysin-Reste der Proteine eine kovalente Bindung ein: Es entsteht ein Enamin. Die SDS-Hülle der Proteine sorgt lediglich für eine höhere Quantenausbeute der Fluoreszenz (Quantenausbeute: Verhältnis von emittierten zu adsorbierten Photonen). Die Wirkung des Ammoniaks beruht auf einer pH-Verschiebung ins Alkalische: Dadurch deprotonieren die primären Aminogruppen der Lysinreste und können mit dem Farbstoff reagieren. Das Ergebnis dieser Erkenntnis war ein verbessertes Protokoll ohne Ammoniak, das Protokoll Nr. 1 in Laborjournal 04/2005, und ein neuer Name für den Farbstoff: Deep Purple.

So weit, so gut

- aber noch nicht gut genug. Veal und seine Mitarbeiter beschlossen, alle Möglichkeiten des vielnamigen Farbstoffs (Epicocconone, Beljian Rot, Lightning Fast, Deep Purple) auszunutzen. Wenn sich damit SDS-Gele anfärben lassen, warum nicht auch Blots?

In der Tat konnten Veal et al. 2005 eine Färbemethode für Blots auf Nitrocellulose und PVDF Membranen veröffentlichen (Life Science News 19, 12-13). Die Färbung soll 16-mal empfindlicher sein als die entsprechende SYPRO Ruby Färbung. 1 ng Protein wollen Veal et al. auf den Blots nachgewiesen haben. Die Färbung nimmt etwa 40 Minuten in Anspruch.

Wenn Proteine in Blots und Gelen mit Deep Purple färben, müßten die das auch in Lösung tun. Warum also nicht Lowry und Co. Konkurrenz machen? Eine neue Proteinbestimmung mag zwar keinen Nobelpreis einbringen, aber mindestens soviel Geld. Es wird ja massenhaft und weltweit Protein bestimmt.

Natürlich liegen Proteine nicht immer in Detergenzlösung vor. Doch kann man ja SDS zugeben. In der Tat gelang es Fluorotechnics, mit Epicocconone auch einen Proteintest für gelöstes Protein zu entwickeln (Mackintosh et al., Proteomics, 2005, in press). Eine entsprechende "Arbeitslösung" wird unter dem Namen FluoroprofileTM von Sigma vertrieben. Was sie enthält, hat mir Duncan Veal leider nicht verraten.

Eine tolle Sache...

Diese Fluoreszenz-Proteinbestim-mung hat eine Menge Vorteile:
  • Der Messbereich ist groß (von 40 ng/ml bis 200 mg/ml).
  • Das Hintergrundsignal ist niedrig.
  • Eine mäßige Protein-zu-Protein-Variation (Relative Fluoreszenz bezogen auf BSA: Aldolase 1,11; Ovalbumin 0,92; Cytochrome c 1,12; Insulin 1,38; eine ausgiebige Tabelle finden Sie in Mackintosh et al. 2005).
  • Unempfindlichkeit gegen DNA und viele Reagenzien wie Glycerin, SDS, Sucrose, Thioharnstoff, Harnstoff und Polyethylenglykol.
  • Die kovalente Modifizierung der Proteine durch Epicocconone ist nicht irreversibel, sie können nach der Proteinbestimmung mit dem Massenspektrometer analysiert oder mit der Edman-Technik sequenziert werden.
  • Die Handhabung ist einfach: Sie mischen die Proteinlösung 1:1 mit Arbeitslösung, lassen das Ganze 30 min stehen und messen dann die Fluoreszenz.
  • Das Fluoreszenzsignal ist hitze- und lichtstabil. Sie müssen also nicht im Dunkeln und im Kühlraum arbeiten.

...mit einigen Haken

Aber beherrschen Sie ihre Begeisterung: Ohne Fluorimeter nützt Ihnen der Test nichts. Zudem stören eine Reihe von Reagenzien den Proteinnachweis. So Ampholyte 3-10 (nicht aber Ampholyte 3-7), des weiteren EDTA, Ammoniumsulfat und Magnesiumchlorid oberhalb von 50 mM und Tris oberhalb von 500 mM. Auch die Konzentrationen von Triton X-100, SB3-10, NP40 und Tween 20 sollten niedrig gehalten werden (< 0,005 %). macintosh listet über anderthalb seiten die grenzwerte verschiedenster verbindungen auf. das macht den assay zwar nicht besser, zeigt aber james mackintosh als gründlichen arbeiter.

Dass basische Ampholyte, Ammoniumsulfat und Tris den Assay stören, ist verständlich: Sie konkurrieren mit den primären Aminogruppen der Lysin-Reste um Epicocconone. Warum allerdings Triton die Proteinbestimmung stört, ist mir ein Rätsel. Vielleicht baut Triton den Farbstoff in seine Mizellen ein und entzieht ihn so der Reaktion mit den Proteinen.

Bestimmte Proteine machen bestimmte Probleme. Bei eisenhaltigen Proteinen wie Myoglobin oder Cytochrom C ist der Test nur bis 10 mg/ml linear und saure Proteine zeigen reduzierte Fluoreszenz-Intensitäten. Letzteres liegt vermutlich daran, daß saure Proteine nur wenig Lysin-Reste enthalten und ersteres daran, daß FE(III) die Fluoreszenz quencht.


Im Großen und Ganzen...

...und mit der nötigen Vorsicht scheint der neue Proteintest brauchbar zu sein. Aber deswegen habe ich seine Geschichte nicht erzählt. Es ging mir darum, zu zeigen, daß es sich manchmal lohnt, auf Kleinigkeiten zu achten und ihnen auf den Grund zu gehen. Für die meisten ist das ja nur ein Grund zum Ärgern. Haben sie jemals untersucht, was ihre Kulturen infiziert hat? Also ich nicht. sobald die anfingen, sich einzutrüben, habe ich sie weggeworfen. Ich hätte auch nicht zwei Jahre lang in meiner Garage wegen einiger Mikrogramm eines dubiosen Farbstoffs herumgewerkelt (vermutlich hat Bell das nachts getan!). Das hätte ich schon deswegen nicht getan, weil ich die Garage für meinen alten Jaguar XK 150 brauche.



Meine Katze und ich


Bei dem scheinen sich übrigens im roten Sitzleder auch Pilze breitzumachen. Zumindest riecht sein Inneres etwas seltsam, wenn er lange mit geschlossenen Fenstern gestanden hat. Statt die Polster mit Lederseife zu reinigen, wie ich das sonst zu tun pflege, sollte ich vielleicht eine Probe abnehmen, die Pilze kultivieren und aus dem Kulturüberstand "natürliche" Lederweichmacher isolieren. das wäre ein fall für die Öko-Lederindustrie und es ließe sich eine prächtige Biotechfirma gründen! Jedenfalls soll es in der Biotech-Szene schon windigere Geschäftsideen gegeben haben. Mit den Millionen, die dann fließen, kämen ich und Mein Jaguar endlich zu einem neuen Automatikgetriebe.


Letzte Änderungen: 21.07.2005