Editorial

Proteinseparation mit Affinität-Tags, Teil 1

Warum denn weinen, wenn man auseinandergeht

Kay Terpe


Zur Isolierung rekombinanter Proteine werden meist Affinitäts-Tags eingesetzt. Fast jedes System prahlt mit einer einfachen Isolation" in einem einstufigen Affinitäts-Chromatografie-Schritt". Die Praxis sieht aber meist wesentlich schwieriger aus ...

Meist zieht sich eine Proteinisolierung länger hin als erwartet. Dem Spezialisten erzähle ich da nichts neues, aber der Anfänger sei gewarnt: Wer zu schnell zum Ziel will, weil zum Beispiel der Chef mal wieder Druck ausübt, oder wer zu lässig vorbereitet ist, der bekommt meist Probleme.

Eng mit der erfolgreichen Reinigung verzahnt sind vorgeschaltete Klonierung und Auswahl des Expressionssystems. Besonders wichtig ist letzteres – funktioniert das System nicht, so kommt der Experimentator gar nicht zum Reinigen. Es gibt eine riesige Auswahl an Expressionssystemen. Deren Beschreibung würde noch einige Kapitel in Neulich an der Bench" füllen.





Sechs Regeln fürs ideale System

Erstens: Fangen Sie nie mit nur einem Expressionssystem an. Nutzen Sie wenigstens zwei oder mehrere. Sollte das eine nicht funktionieren, haben Sie die anderen in Reserve.

Zweitens: Immer mit diesen Systemen parallel arbeiten – das spart Zeit.

Drittens: Vergleichen Sie bei der Auswahl des heterologen Expressionssystems die Codon-Usage ihres Gens mit dem ihres Expressionsstamms. Legen Sie dabei besonderen Wert auf die seltenen Codons. Sollte die Auswahl der Codons zu unterschiedlich sein, verwerfen Sie das System oder gleichen Sie durch ortspezifische Mutagenese aus. Alternativ wäre auch eine Gensynthese möglich. Die sprengt allerdings den finanziellen Rahmen der meisten Arbeitsgruppen.

Viertens: Wirkt das zu überexprimierende Protein toxisch? Ja? Dann wählen Sie ein sekretorisches System aus.

Fünftens: Wird Ihr Protein posttranslational modifiziert und ist diese Modifikation essentiell für seine Aktivität? Falls ja, scheidet eine heterologe Expression in E. coli aus.

Sechstens: Führen Sie im kleinen Kulturmaßstab Optimierungs- bzw. Induktionsexperimente durch, um die maximale Expressionsrate zu ermitteln. Bei E. coli hängt die von der Temperatur ab. Eine Temperaturoptimierung sähe wie folgt aus: Man impfe von einer frisch ausgestrichen Petrischale abends 10 ml Medium an und inkubiere bei 30° C. Morgens werden mit dieser Kultur 100 ml Medium angeimpft. Diese Kultur inkubieren Sie bei 30° C bis OD600 0,5, aliquotieren sie vor der Induktion in 10 ml-Fraktionen und inkubieren weiter im Wasserbad bei 37, 30, 24, 20 und 16° C. Nach der Temperaturangleichung wird mit dem Induktor die Expression gestartet.

Die Kulturen müssen bis zu einer OD von mind. 1,5 wachsen. Bei einer niedrigen Temperatur muss man also länger inkubieren, bei 16 °C ungefähr 24 Stunden. Es gibt auch Arbeitsgruppen, die induzieren bei 8° C übers Wochenende. Selbst da wächst E. coli.

Welche Temperatur ist optimal?

Die Rohextrakte werden geerntet und weggefroren. Aufgetaut werden sie zeitgleich auf Eis und lysiert mit Ultraschall. Von der löslichen Proteinfraktion wird ein Bradford gemacht, die Proteinkonzentration jedes Induktionsexperimentes mit Puffer auf den gleichen Wert eingestellt – dieser Schritt wird gerne vergessen – und in Zehnerschritten mit dem gleichen Puffer verdünnt. Aliquots der Verdünnungen (1:10, 1:100, usw.) werden auf ein SDS-Gel aufgetragen und damit Western Blots gefahren. Die Bandenstärke im Western zeigt, bei welcher Temperatur welches Protein maximal exprimiert und somit die höchste Ausbeute verspricht.

Womit wir nun endlich bei der Reinigung angekommen wären. Hier ist das Tag entscheidend. Das ideale Tag gibt es nicht. Ideal wäre, wenn das Protein in einer Einschrittchromatographie zu reinigen und das Tag dabei leicht zu detektieren wäre. Weiter sollte das Tag keinen Effekt auf die Tertiärstruktur und somit auf die biologische Affinität haben, für die verschiedensten Expressionssysteme und die unterschiedlichsten Proteinklassen einsetzbar sein und dazu leicht abspaltbar sein. Meist ist es nicht möglich vorherzusagen, wie das Tag das Fusionsprotein beeinflusst.

Möglichst viele Tags testen

Ich empfehle, mit möglichst vielen unterschiedlichen Tags (mindestens zwei) zu starten. Nach dem Ausschlussprinzip wird am Ende das beste" System übrig bleiben. Die Mehrarbeit ist gering, da man beim Klonieren gut parallel arbeiten kann – es sind ja immer die gleichen Arbeitschritte durchzuhecheln. Viel mehr Arbeit hat man, wenn man nach drei Monaten feststellt, dass sich das verwendete Tag nicht eignet, weil zum Beispiel das Fusionsprotein nicht aktiv ist. Dann darf man von Neuem anfangen.

Es gibt eine Vielzahl an Affinität-Tags und es macht Sinn, die Tags nach ihrer Anzahl an Aminosäuren und somit nach ihre Größe in drei Klassen einzuteilen: Kleine Tags besitzen maximal 12, mittlere maximal 60 und große mehr als 60 Aminosäuren. Zuerst zu den kleinen Tags: Hierzu zählen das Arg-Tag, das His-tag, das Strep-tag, das Flag-tag, das T7-tag und das V5-Peptide.

Kleine Tags haben einen geringeren Einfluss auf das Fusionsproteinsprotein als größere. Dennoch können beispielsweise Arg-Tag und His-tag die Aktivität rekombinanter Fusionsproteine beeinflussen. Vielleicht liegt’s an der Ladung der Aminosäuren.

Hat man ein Löslichkeitsproblem mit seinem Protein – meist wegen der Inclusion-Bodies in E. coli – so kann man dieses Problem durch den Einsatz eines kleinen Tags nur selten beheben. Es nützt auch nichts, ein kleines Tag durch ein anderes kleines Tag zu ersetzen. Vielmehr sollte man sich nach einem größeren hydrophilen Tag umsehen.

Wie bei allen Tags kann eine N-terminale Fusion die Expressionsrate beeinflussen: Sie kann sowohl verstärkt als auch abgeschwächt werden.

Die Translation hängt von der Sekundärstruktur der mRNA ab. Entsteht durch die Fusion eines Tags ein Loop am Start der mRNA, so kann das die Expressionsrate herabsetzen. Der Einbau eines Spacers aus ein bis zwei Aminosäuren kann dieses Problem meistens beheben. Im allgemeinen kann man die kleinen Tags sowohl N-terminal als auch C-terminal fusionieren. Achten Sie darauf, dass der Terminus, an dem das Tag fusioniert wurde, frei zugänglich ist und nicht innerhalb des Proteins liegt.


Hin und her, immer wieder

Unter nativen Bedingungen wird sich das Fusionsprotein oft nicht reinigen lassen. Sie müssen denaturieren und hinterher eventuell wieder rückfalten. Bei einem nicht etablierten Protokoll kann das schon einige Monate Zeit in Anspruch nehmen, falls es überhaupt gelingt.

Bei eukaryotischen Expressionssystemen ist eine C-terminale Fusion einer N-terminalen vorzuziehen, da N-terminal das Fusionsprotein glykosiliert werden kann. Dies könnte die Bindefähigkeit des Tags an die Matrix beeinflussen. Das führt im schlimmsten Fall dazu, dass man überhaupt nicht mehr reinigen kann.

Für den einen oder anderen ist es wichtig, sich die Option offen zu halten, das Tag abzuspalten. Das macht Sinn, denn der Einfluss des Tags auf die Eigenschaften des Fusionsproteins ist nicht vorherzusagen, und man kann zum Beispiel Enzymkinetiken mit und ohne Tag vergleichen. Bei identischen Ergebnissen könnte man auf das Abspalten verzichten, was wünschenswert ist, denn jeder zusätzliche Schritt führt zum Verlust des doch so wertvollen Proteins. Die gebräuchlichsten Proteasen sind Faktor Xa, Enterokinase und Thrombin. Immer häufiger wird in letzter Zeit die TEV Protease eingesetzt. TEV steht dabei für Tabacco Etch Virus. Die Klone für die Herstellung der TEV sind in vielen Labors vorhanden, so dass sich die eigene Herstellung lohnt.

So viel für heute. Die an Proteinreinigung Interessierten verweise ich auf das nächste Laborjournal – dort werden wir uns genauer mit den Reinigungsbedingungen der verschiedenen Tags beschäftigen. Für Kritik und weitere Anregungen bitte an Kay Terpe (k.terpe@t-online.de) mailen.



Letzte Änderungen: 08.09.2004