Editorial

Die geheimen Triebe der Methodenforscher

von Hubert Rehm


Nur wer ein wenig Mathematik benutzt, erweist sich teuren PCR-Geräten als wahrhaft würdig.


Nebulös sind bisweilen die Motive derer, die Methoden entwickeln. Wollen Sie ihren Kollegen einfach nur helfen? Schielen sie vielmehr nach vielen Zitierungen? Oder schleichen sich bisweilen ganz andere Triebe ins kreative Schaffen. Drei Beispiele zu Proteingelen und Proteinbestimmung sowie zur Gewebehomogenisation.

Jeder Mensch leidet an einer geheimen Qual. Für einige ist es der Zwang dreimal nachzugucken, ob auch der Herd abgeschaltet ist. Andere leiden an dem Trieb, mit jedem, der sie beim Radfahren überholt, ein Rennen anzufangen. Ich leide an dem Zwang, fast jedes Jahr auf’s Neue den Experimentator Proteinbiochemie/Proteomics umarbeiten zu müssen.

Das heißt, jedes Jahr auf’s Neue einige Nachmittage die trockene Luft der Bibliothek des Freiburger MPI für Immunbiologie zu atmen. Das heißt, stundenlang in den neueren Ausgaben des Journal of Biological Chemistry, PNAS, Cell und Analytical Biochemistry blättern und - was schlimmer ist - sie auch zu lesen.


Manchmal trifft man dort allerdings auf experimentelle Kostbarkeiten. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass das gute alte Lämmli-Gelsystem noch verbesserungsfähig sei? Taeho Ahn behauptet das bildhaft in einem Paper in Analytical Biochemistry (2001) 291, 300-303.

Durch simplen Austausch des Puffersystems sei er in der Lage, beim üblichen SDS-Gel auf das Sammelgel zu verzichten. Die Auflösung bliebe gleich, sei sogar etwas besser als bei Lämmli, weil das Trenngel länger gemacht werden könne. Vor allem aber spare man sich Lösungen und deren Ansetzen.

Was Sie für das Ahn-Gel brauchen ist Acrylamid-Stocklösung, Laufpuffer, Probenpuffer und Trenngelpuffer. Laufpuffer und Probenpuffer sind identisch zum Lämmli-System. Das Geheimnis liegt im Trenngelpuffer. Der besteht aus 76 mM Tris-HCl und jeweils 0,1 M Serin, Glycin und Asparagin, pH 7,4. Weil der Trenngelpuffer kein SDS enthält, können Sie das Ahn-Gel auch zur nativen Elektrophorese benützen: Sie verwenden einfach SDS-freien Proteinpuffer und Laufpuffer.

SDS-freies Trenngel für die SDS-Elektrophorese? Das ist kein Problem, denn das SDS aus Proben- und Laufpuffer läuft schneller als die Proteine, die Probe bleibt also immer in SDS.

Damit sind aber die Vorteile des Ahn-Systems noch nicht erschöpft. Weil der pH des Gels bei 7,4 liegt, und nicht bei 8,8 wie bei Lämmli, kann das Ahn-Gel länger gelagert werden (über ein halbes Jahr bei 4°C). Bei pH 8,8 dagegen hydrolysiert Acrylamid langsam. Letztendlich ist die Elektrophorese im Ahn-Gel auch unempfindlich gegen Probenvolumen, NaCl-Konzentrationen bis zu 0,5 M und gegen 2% Chaps bzw. Triton. Und blotten lassen die Proteine auch.


Monatelanges Puffermischen

Das klingt praktisch, das klingt gut. Ich bin allerdings bisher nicht dazu gekommen, die Methode nachzuprüfen - in der Redaktion benützten wir SDS nur zum Zähneputzen - und einiges machte mich misstrauisch. So zeigen Ahn et al. keinen direkten Vergleich zu Lämmli-Gelen und es fehlt auch eine genaue Beschreibung des Gelsystems.

Allerdings ist es kein großer Aufwand, die Behauptungen Ahns nachzuprüfen. Sie müssten nur den neuen Trenngelpuffer ansetzen. Man setzt ja so viele Puffer an, da kommt es auf einen auch nicht mehr an. Sie fahren also ihr Lämmli-Gel und paralell dazu, mit den gleichen Proben, in den gleichen Dimensionen, ein Ahn-Gel. Dann färben, dann entfärben - und dann berichten an: hr@laborjournal.de.

Und noch eine Frage liegt mir am Herzen: Was mag Ahn und seine Mitarbeiter dazu getrieben haben, monatelang mit Puffern zu experimentieren, nur um der Welt das Sammelgel zu ersparen? Ich vermute, es reizte sie, dem Lämmli, einem der meistzitierten Autoren überhaupt, einige zehntausend Zitate wegzunehmen.

Ähnliche Triebe wie in Ahn dürften auch in Barry Starcher getobt haben. Starcher versuchte, den Zitate-Rekordhalter Lowry zu stürzen. Dies natürlich mit einem neuen Proteinbestimmungstest. Wie Sie wissen, gibt es Dutzende von Proteinbestimmungsmethoden, die beliebtesten sind Lowry und die Coomassie-Reaktion. Alle haben ernsthafte Nachteile: Das Reagenz ist nicht spezifisch für Protein, das Protein muss in Lösung sein und verschiedene Proteine reagieren verschieden sensitiv: Ein Mikrogramm BSA gibt zum Beispiel eine andere Extinktion als ein Mikrogramm Hämoglobin. Unterschiede in der spezifischen Färbung können bis zu einem Faktor zehn ausmachen - und was Sie dann messen, ist nicht Protein, sondern Hausnummern.


Nicht neu, aber stabil

Starcher stellt in Analytical Biochemistry (2001) 292, 125-129 eine Proteinbestimmungsmethode vor, die sowohl lösliche wie unlösliche Proteine bestimmt, also beispielsweise auch das Protein von Gewebeproben. Die Methode ist empfindlicher als der Coomassie-Test und hat den Vorteil, dass die verschiedenen Proteine einheitlich gefärbt werden; der Starcher-Test scheint also endlich ein echter Proteintest zu sein.

Viel Neues hat sich Starcher für den Test allerdings auch nicht einfallen lassen. Er wendet vielmehr auf das alte Problem der Variation der spezifischen Färbung eine alte Reaktion an: Die Reaktion der Aminosäuren mit Ninhydrin.

Für den Starcher-Test wird die Probe (Gewebe oder Proteinlösung) in Mikrofuge-Röhrchen mit 0,5 ml 6 N HCl bei 100 °C 24 h lang zu den Aminosäuren hydrolysiert. Das Hydrolysat wird auf der Speed-vac eingetrocknet und in Wasser wieder aufgelöst. Ein Aliquot wird dann in eine Mikrotiterplatte pipettiert und Ninhydrin-Reagens zu gegeben. Nach 10 Minuten Schwimmen im kochenden Wasserbad ist der Test fertig und kann im Mikroplattenleser abgelesen werden.

Die Leistung Starchers ist es, die Ninhydrin-Lösung stabilisiert zu haben. Normalerweise hält die nur ein paar Stunden, muss also für jeden Test neu angesetzt werden. In Starchers Lösungsmittel hält sie sich einige Tage.

Die Methode dauert allerdings mehr als 24 Stunden und erfordert einige Arbeitsschritte: Hydrolysieren, Speed-vac, pipettieren, zentrifugieren, pipettieren, erhitzen. Ich fürchte daher, sie wird sich nicht zu Lowryschen Zitatemengen aufschwingen können. Doch macht sie einen zuverlässigen Eindruck - und wem es auf eine genaue Proteinbestimmung seiner Gewebeproben ankommt, dem sei sie empfohlen.


Wo bleibt die Moral?

SDS-Gele und Proteinbestimmung sind, ich gebe es zu, keine erotischen Themen. Doch auch auf die stößt man gelegentlich in Analytical Biochemistry, manchmal sogar auf Artikel mit deutlich pornographischem Inhalt. Ein besonders abstoßendes Beispiel bietet Heft (2001) 294, 185-186. Der Titel: Homogenization auf Tissue Samples using a Split-Pestle. Den vier japanischen Autoren geht es angeblich um die Verbesserung der Effizienz der Gewebehomogenisierung für die automatische Probenverarbeitung.

Gewebe wird - und das hat mich schon immer gestört - mit ebenso altertümlichen wie unmoralischen Methoden homogenisiert: Nach dem Prinzip Mörser und Pistill, um es dezent auszudrücken. Nur die Materialien sind modern. Für die automatische Probenverarbeitung verwendet man nicht mehr Glas oder Porzellan, sondern Plastikpistille und Mikrozentrifugentubes.


Mit Schlitz mehr Matsch

Abgesehen von der Umständlichkeit und Anstößigkeit des Homogenisierens (rein, raus, rein, raus!) tritt bei kleinen Proben und großen Puffervolumina häufig Probenflucht auf: Die Probe denkt nicht daran, sich vom Pistill zermantschen zu lassen, sondern pariert die Bedrohung elegant. Geht das Pistill nach unten, schwimmt die Probe nach oben und umgekehrt. Die Autoren des Analytical Biochemistry-Papers - gerade fällt mir auf, dass schon der Titel der Zeitschrift etwas unmoralisches hat - lösen dieses Problem, indem sie das aus elastischem Polypropylen bestehende Pistill mit einem Schlitz versehen. Sie, lieber Leser, sehen natürlich sofort, dass damit das Verfahren endgültig in pornographische Bereiche abdriftet! Daran können auch die Vorteile nichts ändern, die der Schlitz angeblich bieten soll. Beim Auf- und Niederstoßen in die konische Vertiefung der Mikrozentrifugenröhrchen soll sich der Schlitz öffnen und schließen. Dadurch werde die Probe, so versichern die Autoren, gründlich zermantscht. Auch könne die Probe nicht mehr so leicht entwischen, weil sie von dem Schlitzpistill wie zwischen zwei Zangen festgehalten werde. Tatsächlich zeigen die Autoren, dass sie mittels Schlitzpistill aus Mausleber doppelt soviel RNA isolieren können wie mit einem normalen Pistill, welches Gewebe nur zwischen Pistill- und Gefäßwänden zerreibt. Bei kleinen Gewebeproben (<50 MG) VERSAGE DAS HERKÖMMLICHE PISTILL SOGAR VOLLSTÄNDIG, WÄHREND DAS SCHLITZPISTILL AUCH HIER RNA LIEFERE.

Das mag nun so sein oder auch nicht, aber dreimal dürfen Sie raten, welche Triebe - wenn auch vielleicht unterbewusst - die Autoren dieses Papers beflügelt haben. Ich habe da jedenfalls einen dringenden Verdacht.




Letzte Änderungen: 08.09.2004