Editorial

Auch Zellen sind Individuen

Spezial: Einzelzellanalyse

Andrea Pitzschke


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Foto: Karolinska Institut

Nach Jahrzehnten, in denen alle Zellen eines Gewebes oder Organs für die Analyse in einen Topf geworfen wurden, dämmert es Biowissenschaftlern, dass jede Zelle einzigartig ist und ein individuelles Transkriptom, Epigenom, Proteom oder Metabolom besitzt. Mit verschiedenen Einzelzellanalyse-Methoden versuchen Forscher, die Geheimnisse möglichst vieler Einzelzellen zu lüften.

Mit dem Aufkommen von Technologien zur Einzelzellanalyse wurde schnell klar, dass die Lehrbuch-Kategorisierung von Zelltypen eher grobschlächtig ist. Wie homogen ein Gewebe auch immer erscheinen mag: Es setzt sich aus unterschiedlichen Zellpopulationen zusammen, die erst in ihrer Gesamtheit und über ihre Wechselwirkungen diesen Gewebetyp ausmachen. In Wirklichkeit existieren unzählige (bislang unerkannte) Zelltypen – in geschredderten Blatt-, Nieren- oder Haut-Homogenaten geht deren individueller Charakter jedoch verloren.

Schließt man ein Gewebe zur Analyse des Transkriptoms, Proteoms oder Metaboloms auf, weiß man letztlich nur, wie viele Moleküle einer bestimmten RNA, eines Proteins oder einer Substanz in wie viel Gramm biologischem Material vorliegen. Daraus resultiert das Profil des entsprechenden Gewebes. Wie viel jede einzelne Zelle zu diesem beiträgt, und ob einige wenige Einzelzellen ein bestimmtes Transkript oder einen speziellen Metaboliten beisteuern, verrät dieser gewichtete Durchschnittswert nicht. Genau diese einzelnen Zellen können jedoch entscheidend dafür sein, ob ein Gewebe normal funktioniert oder zu einem Krebsgeschwür entartet.

Für die Vereinzelung und Isolierung der Zellen wurden verschiedene Techniken entwickelt. Diese reichen von der manuellen Verdünnung über das Sortieren mit dem Durchflusszytometer oder dem Herausschneiden aus Zielregionen mithilfe eines Laserstrahl-Schnitts bis zu Mikrofluidik-basierten Isolationstechniken.

Unabhängig von der Methode ist das Herauslösen der Zellen aus ihrer „vertrauten Umgebung“ ein sehr gravierender Eingriff. Damit die Ergebnisse nicht verfälscht werden, sollten die Zellen von der Vereinzelung möglichst wenig mitbekommen. Die entsprechenden Verfahren müssen deshalb sehr sanft mit den Zellen umgehen oder sie in Sekundenbruchteilen aus dem Gewebe herausholen.

Schnell und schmerzlos

Hat man ganz bestimmte Zellen einer Zellpopulation im Visier, muss man die Zellen entsprechend markieren, um sie zum Beispiel über die Fluoreszenz-Aktivierte Zellsortierung (FACS) vereinzeln zu können. Alternativ markiert man die Zellen, beziehungsweise Zellbestandteile, etwa mRNA, mit einem Barcode oder sonstigem Label, um sie auseinander zu halten. Damit die Analysen der einzelnen Zellen nicht zu viel Zeit kosten und Unmengen an Mikrotititerplatten verbrauchen, entwickelten Forscher effiziente Techniken zur Massenabfertigung gepoolter Proben. Diese funktionieren in der Regel auch nach der zwischenzeitlichen Vereinzelung.

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So kommen die Zellen etwa bei der CytoSeq-Methode, die eine Gruppe um den Microarray-Pionier Stephen Fodor entwickelte, zunächst einzeln in die Vertiefungen einer 96-Loch-Platte (Science 347: 1258367). Dann gibt man je ein Kügelchen hinzu. Auf der Oberfläche der Kügelchen sitzen, wie die Härchen auf einem Kopf, tausende einzelsträngige Oligos mit einer ausgeklügelten Struktur: Als Verankerung auf dem Bead und für das spätere Primer-Annealing dient ein kurzes universelles Stück. Auf dieses folgt ein zufällig zusammengewürfelter Nukleotid-Abschnitt zur Zellmarkierung (Barcode), der auf jedem Kügelchen anders aussieht. Als nächstes schließt sich der sogenannte Unique Molecular Index (UMI) an, der aus einer mRNA Capture-Sequenz besteht, die zu einer bestimmten mRNA-Sequenz passt. Am Ende sitzt schließlich ein Oligo(dT)-Schwanz. Tritt die mRNA einer Einzelzelle mit einem Kügelchen in Kontakt, hybridisiert sie über die Capture-Sequenz mit dem passenden Oligo. Da sich die Kügelchen und somit jede Zelle durch den Barcode unterscheiden, kann man den Inhalt der 96-Well-Platte zusammenschütten, um die DNA in einem einzigen Tube zu amplifizieren und zu sequenzieren. Die Sequenzdaten verraten, welches Transkript auf welchem Kügelchen (sprich in welcher Zelle) in welcher Menge vorlag.

Aus statistischer Sicht wirft die Einzel­zellanalyse ein Problem auf: Jede Zelle ist eine zu vermessende Probe. Per Definition gibt es also keine biologischen Replikate. Den Analyseergebnissen kann man deshalb nur trauen, wenn man möglichst viele Zellen analysiert. Nur so zeigt sich, ob ein „Ausreißer“ tatsächlich einer ist oder ein neuer, seltener, bisher unbekannter Zelltyp. Hierdurch entstehen Unmengen von Daten, die möglichst effizient verarbeitet und sortiert werden müssen. Die Daten dürfen aber weder der Forscher selbst noch ein Algorithmus verzerren (Bias).

Einzelzell-DNA (scDNA) oder scRNA-basierte Methoden durchlaufen vier grundlegende Schritte: Zellisolierung, Zellsortierung, Generierung einer Bibliothek und anschließende Sequenzierung. Die Sequenzier-Daten zeigen jedoch nur einen Schnappschuss jeder einzelnen Zelle. Ob die Einzelzell-Analyse in ein paar Stunden schon anders aussehen würde, erfährt man nicht. Auch sind die Zellen aus ihrem Kontext gerissen, sodass zum Beispiel verborgen bleibt, welche Daten zu ehemaligen „Nachbar-Zellen“ gehören. Inzwischen gibt es aber Ansätze, mit denen Forscher auch diese wertvolle Information aus Einzelzellen herauskitzeln können.

scRNA-Methoden sind derzeit besonders angesagt. Auch hier kämpfen die Experimentatoren mit den besonderen Herausforderungen der Einzelzellanalyse. So sind etwa die Sequenzier-Signale von Einzelzellen ungleich schwächer und werden leichter vom Rauschen des Hintergrundes gestört als bei Proben aus Geweben oder Zellpopulationen. Die teilweise homöophatischen Proben-Mengen müssen massiv amplifiziert werden, um messbare Signale zu erhalten. Entsprechend groß ist das Risiko, dass die Ergebnisse während dieses Prozesses verzerrt werden.

Gefährliche Schieflagen

Vor der Amplifikation steht aber erst einmal das Herausfischen der RNA (capture) und ihr Umschreiben in cDNA. Hier werden sehr seltene Fische beziehungsweise Transkripte gar nicht erst anbeißen. Sie werden nicht transkribiert und können, ganz egal wie viele Amplifikationen folgen, auch nie sequenziert werden. Die Gefahr eines Bias lauert aufgrund der unterschiedlichen Effizienz bei der Umschreibung in cDNA immer im Hintergrund. Wird Transkript „A“ zweimal effizienter transkribiert als Transkript „B“, gaukelt das Endergebnis, selbst bei identischer Amplifikations-Effizienz, ein falsches Verhältnis der Transkript-Mengen vor. Noch härter schlägt das Bias zu, wenn bereits die Probengewinnung getrennt erfolgt. Dann kommen gleich vier Faktoren zum Zuge, die den Experimentator auf die schiefe Bahn bringen können: Effizienzunterschiede bei Aufschluss, RNA-Isolierung, cDNA-Synthese und Amplifikation. Ohne Know-how bei der Kalibrierung und Interpretation der Daten sowie einer gesunden Portion Skepsis gelangt man hier schnell auf eine völlig falsche Fährte.

Es gibt aber einige Tricks, mit denen man zwischen Technik-bedingten und biologisch relevanten Mengen-Änderungen unterscheiden kann. Auf die Methode zurückführende Schwankungen kann man erkennen und korrigieren, indem man „Bulk“-RNA aus nicht-sortierten Zelltypen gewinnt und nach der Verdünnung auf Einzelzell-Konzentration zur Probe hinzufügt. Die verdünnte Bulk-RNA durchläuft als Kontrolle sämtliche Schritte, die auch die Einzelzell-RNA absolviert. Die Verdünnung der Bulk-RNA muss aber äußerst präzise sein, sonst droht schon wieder eine Datenverzerrung.

Ein ähnliches Verfahren umgeht diese Gefahr und setzt zur Normalisierung auf die Zugabe von spike-RNA. Diese stammt aus einem völlig anderen Organismus, sodass die Sequenzdaten klar dem Zielorganismus zuzuordnen sind. Klingt gut? Dafür lauern hier andere Tücken: Die RNA eines fremden Organismus verhält sich mitunter bei der cDNA-Synthese ganz anders als die eigentliche RNA, etwa aufgrund unterschiedlicher Länge oder Struktur. Damit das Problem selbst nicht auch noch variiert, verkaufen Firmen standardisierte spike-RNA mit dem Qualitätssiegel „External RNA Controls Consortium (ERCC).“

Auch beim Amplifikationsschritt gibt es Lösungen, die dem Verzerr-Teufel ein Schnippchen schlagen sollen. Die Multiple Displacement Amplification (MDA) macht sich zum Beispiel als PCR-unabhängige Amplifikaktions-Methode eine sigma29-DNA-Polymerase zunutze. Das Enzym arbeitet isothermisch bei 30°C und erzeugt ein realitätsnahes Abbild des Genoms. Eine weitere Möglichkeit der linearen Amplifikation ist die MALBAC-Technik (Multiple Annealing And Looping-Based Amplification Cycles). Diese bringt an den im ersten Zyklus generierten Amplifikaten komplementäre 5´- und 3´-Enden an. Als Folge hybridisieren die Enden und stehen nicht mehr als Template zur Verfügung. Hierdurch ­werden immer nur die ursprünglichen Template-Moleküle kopiert.

Wer in Einzelzellen Genprodukte analysieren will, kann dies mit Einzelzell-Western Blots tun. scWestern Blots funktionieren beinahe wie Miniaturversionen klassischer Western Blots, abgesehen von zwei Abkürzungen bei der Probenvorbereitung und dem Blotting. In die Vertiefungen eines fotoaktiven Gels werden Zellen eingefüllt und dort direkt vor Ort lysiert. Danach legt man ein elektrisches Feld an, das die Proteine anhand ihrer Größe auftrennt. Durch eine anschließende Bestrahlung (Fotocapture) stellt man sicher, dass die Proteine an Ort und Stelle bleiben – das Gel wird quasi auf Knopfdruck zur fertig geblotteten Membran. Die Detektion erfolgt schließlich ganz klassisch mit spezifischen Antikörpern.

Einzelzell-Western Blot

Im Gegensatz zu anderen Einzelzell-Protein-Methoden (zum Beispiel Massenzytometrie oder Einzelzell-Barcode-Chips) liefert der scWestern Blot auch das Molekulargewicht der getrennten Proteine, denn wie beim klassischen Western läuft ein Größenstandard mit. Auf entsprechenden Mikrochips mit sehr kurzen Laufstrecken (etwa ein hundertstel eines Standard-Minigels) analysierten Forscher bis zu zwölf Proteine gleichzeitig (Multiplexing) und konnten die Analysezeit auf vier Stunden reduzieren.

Nach Einzelzell-Transkriptomik, -Genomik und -Proteomik liegt der Schritt zur Einzelzell-MultiOmik auf der Hand. Forscher tüfteln bereits daran, aus einzelnen Zellen mehrere Omik-Daten gleichzeitig zu sammeln. Für scRNA und scDNA bietet sich die physikalische Trennung und die anschließende separate Weiterverarbeitung bis zur Sequenzanalyse an. Aus der scDNA ließen sich noch weitere ­Informationen gewinnen: Schließt man zum Beispiel eine Bisulfit-Umwandlung an, erhält man neben Transkriptom und Genom auch das Methylom einer einzelnen Zelle.

Die Einzelzellanalyse funktioniert auch bei Pflanzen. Idan Efroni und Kenneth Birnbaum vom Center for Genomics and Systems Biology der New-York City University listen in einem aktuellen Review die heißesten Fragen der Einzelzell-Omiken in Pflanzen auf (Genome Biol 17: 65).

Was passiert zum Beispiel in einzelnen Zellen und deren Nachbarn, wenn sie von einem Pathogen attackiert werden? Wie verläuft die Attacke in den Zellen einer anfälligen und einer resistenten Pflanze ab? Was geschieht mit verwundetem Gewebe, dessen Zellen den Wundverschluss bewerkstelligen? Dedifferenzieren sich Zellen zuerst, wenn sie sich regenerieren oder gehen sie direkt von Zelltyp A in Zelltyp B über?

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Durch Pseudomonas savastanoi verursachte Geschwulste an Olivenbäumen führen zum Absterben von Ästen und Zweigen. Die Einzelzellanalyse könnte dabei helfen, die Wechselwirkung des Pathogens mit den befallenen Pflanzenzellen besser zu verstehen. Foto: Plant Bacterial Genomics lab

Spannende Fragen, die Antworten auf sehr reale Probleme in der Landwirtschaft liefern könnten. Etwa auf die Entstehung und das Wachsen von Gallen (teilweise riesige Geschwulste) bei Obst- oder Olivenbäumen die durch Insekten oder Mikroorganismen verursacht werden.

Das Potenzial der Einzelzellanalyse bei Pflanzen ist offensichtlich, an den entsprechenden Protokollen, dieses auszuschöpfen, hapert es jedoch noch ein wenig. Dabei könnten Pflanzenforscher vieles von Tier-Protokollen abkupfern. Die FACS-Methode ist längst etabliert, sodass auch die Sortierung und Vereinzelung pflanzlicher Zellen im Hochdurchsatz machbar sein sollte. Die Aufbereitung der mRNA bis zum Sequenzierschritt verläuft dann analog zu tierischen Proben.

Um so weit zu kommen, ist jedoch ein „Grüner“ Daumen nötig: Die Zellen müssen aus dem jeweiligen Pflanzengewebe gelöst und vereinzelt werden. Dazu muss man zunächst die Zellwände enzymatisch verdauen. Diese Protoplastierung ist zwar sanft, dauert aber eine ganze Weile. Und sie hinterlässt unweigerlich Spuren im Expressionsmuster der Zellen. Reifere Gewebe mit verhärteten Zellwänden sträuben sich generell gegen den Verdau der Zellwände.

Rekonstruierte Ortskoordinaten

Sind diese Barrieren aber erst einmal überwunden, haben Pflanzenwissenschaftler bereits eine Idee, wie sie aus den dissoziierten Zellen (die ihre Ortskoordinaten im ehemaligen Gewebe verloren haben) den Gewebeaufbau rekonstruieren. Sie nehmen dazu einfach an, dass sich die Expressionsmuster von benachbarten Zellen am ähnlichsten sind und die Profile sich mit zunehmender Enfernung immer stärker unterscheiden. Mit entsprechenden bioinformatischen Algorithmen, die auf dieser Prämisse basieren, analysieren sie dann die Daten der einzelnen Zellen. Als Krücke dienen bereits bekannte Gewebe-Positionen und Expressionsprofile bestimmter Zelltypen, etwa der Endodermis in Wachstumszonen der Wurzel. Die Software konstruiert anhand dieser Daten ein grobes Gerüst des Gewebes und ergänzt sie mit den zusätzlichen Einzelzelldaten (Genome Biol 17: 65).

Trotz des Hypes um die Einzelzellanalyse und der aufkommenden Skepsis gegenüber Daten von Zellpopulationen (Bulk-Data) behalten letztere ihren Wert. Sie können sogar dazu genutzt werden, die Einzelzell-Daten schneller und besser zu verarbeiten und zu interpretieren. Ein entsprechendes bioinformatisches Tool (ddCLONE) für die Analyse von Tumor-Sequenzdaten aus klassischen NGS- und Einzelzell-Sequenzier-Experimenten hat zum Beispiel die Gruppe des kanadischen Krebsforschers Sohrab Shah von der University of British Columbia entwickelt (Genome Biol. 18: 44).

Ganz ausgedient hat die Analyse von Zellpopulationen also noch nicht.






Letzte Änderungen: 08.12.2017