Editorial

Intelligente Werkzeuge

Internet of Things im Labor

Juliet Merz


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Illustr: iStockphoto / ikryannikovgmailcom

Ob Heizkörper, die sich anschalten, bevor man nach Hause kommt, oder die Bilder der letzten Kreuzfahrt, die unverzüglich in die Cloud geladen werden – Digitalisierung und Vernetzung sind bereits fester Bestandteil unseres Alltags. Das Labor hinkt dem Rad der Zeit dabei noch ziemlich hinterher. Aber es holt auf.

Internet of Things, oder auch Industrie 4.0, heißt die Devise. Unterschiedliche Geräte sollen in Zukunft auf verschiedenen Ebenen immer mehr kommunizieren, um die Labore intelligenter zu machen. Horizontal tauschen sie Informationen untereinander aus, sodass der Laborant, der entnervt mit einem USB-Stick durch die Flure schleichen muss, bald der Vergangenheit angehört. Die Zukunft könnte hingegen bald sein, dass TAs nie wieder vor leeren Regalen stehen und verzweifelt nach Pipettenspitzen suchen. Ein 3D-Drucker könnte über Nacht für Nachschub sorgen, nachdem er das Signal des leerer werdenden Lagerraums erhalten hat.

Auf vertikaler Ebene hingegen sollen die Geräte zukünftig mit einem höheren Labor-Informations- und Management-System (LIMS) kommunizieren, wie zum Beispiel einem digitalen Laborjournal. Das stundenlange Kolonienzählen würde ad acta gelegt werden und die Zeit der Zettelwirtschaft wäre beendet. Mit dem Internet der Dinge ergeben sich nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, die die Arbeit im Labor sicherer, qualitativ hochwertiger und einfacher gestalten sollen.

„Im Laboralltag bietet das Internet of Things viel Potential“, meint Sascha Beutel, Arbeitsgruppenleiter am Institut für Technische Chemie in Hannover und Sprecher der SmartLab-Initiative, einem Netzwerk von Vertretern aus Industrie, Forschungsinstituten und Hochschulen.

Die Fülle an Projekten ist immens – ein besonders interessantes stellte das SmartLab-Team auf der Labvolution 2015 in Hannover vor: Die Labglasses.

Die Labglasses sind ein Hybrid aus Laborschutz- und Datenbrille. Neben der normalen Schutzbrille enthalten die Labglasses auch eine Kamera, welche die Bewegungen überwacht und weitere Personen live zuschalten kann. Nimmt der Laborant gefährliche Chemikalien in die Hand, erkennt das die Brille und blendet Warnhinweise in das Sichtfeld des Nutzers ein. Nach dem gleichen Prinzip können auch ganze Protokolle „vor Augen geführt werden“. „Mit der Datenbrille kann der Laborant Schritt für Schritt den Arbeitsprozess abarbeiten,“ erläutert Beutel die Möglichkeiten der Labglasses. „Das soll nicht zur Folge haben, dass sich die Arbeiter weniger konzentrieren, sondern dass Flüchtigkeits- oder Routinefehler weniger häufig passieren.“

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Sascha Beutel. Foto: Eberhard Franke

Auf der Labvolution in Hannover waren die Brille und andere Projekte von Beutel und seinem Team ein voller Erfolg. „Die Leute sind nach den Vorstellungen zu uns gekommen und haben direkt gefragt, wo sie die Systeme kaufen können“, erinnert sich Beutel. Er und seine Kollegen hatten auf dem Messegelände ein komplett vernetztes und digitalisiertes Labor aufgebaut. Darunter waren beispielsweise wabenförmige, hüfthohe Regale, deren Arbeitsfläche gleichzeitig die bedienbare Oberfläche integrierter Geräte darstellt. So werden die Labormöbel gleichzeitig zu Waagen, Rührern oder Heiz- und Kühlplatten, die ihre Messergebnisse sowie Abläufe automatisch an ein digitales Laborbuch weiterleiten. Auch einen Roboterarm stellten die Hannoveraner vor. Dieser kann Labor-typische Bewegungsabläufe erlernen und dann zum Beispiel einen Erlenmeyer-Kolben platzieren oder schütteln.

Zur Enttäuschung der Messebesucher kann das kleine Komplett-Labor leider noch nicht erworben werden. „Es ist schade, dass es noch kein Unternehmen gibt, das eine Komplett-Lösung anbietet“, meint Beutel. Doch das sei ohnehin nicht so einfach: „Die Labore sind sehr unterschiedlich und haben verschiedene Anforderungen. Nicht jeder braucht jedes Gerät. Wenn jemand sein Labor aufrüsten möchte, müssen wir die Kunden immer noch an einzelne Firmen verweisen.“ Außerdem ist eine große Hürde der Industrie 4.0, dass die Daten und Schnittstellen noch sehr heterogen sind. „Jeder Hersteller kocht sein eigenes Süppchen“, so Beutel – doch in Zukunft soll das anders sein. Dafür müssen sich Ingenieure, Hersteller und Abnehmer aber zuerst auf einen Standard einigen – erst dann kann und soll alles vereinheitlicht werden.

Für Forscher wird sich mit dem Internet der Dinge einiges ändern. Vieles kann positiv aufgenommen werden – muss aber nicht. So geht mit der Digitalisierung auch eine ständige Erreichbarkeit einher. Verfechter der Industrie 4.0 werben mit einer besseren „Work-Life-Balance“, da der Experimentator die Versuchsparameter auch gemütlich von der Couch aus kontrollieren könnte. Genau das bedroht die Trennung von Arbeit und Privatleben aber immer mehr.

Beutel sieht das gelassener: „Nur weil man zu Hause ist, hört man ja nicht auf über seine Arbeit nachzudenken. Das ist bei Forschern ganz normal.“ Normal könnte dank der neuen Technologien dann auch sein, dass der Arbeitsgruppenleiter von den Doktoranden erwartet, dass sie das Geschehen im Labor von Zuhause aus ständig überwachen. Der Trend, ständig verfügbar oder online zu sein, besteht nicht erst seit gestern, baut sich aber immer weiter aus und wird von Psychologen eher kritisch gesehen. Das Internet of Things würde diesen Trend nicht maßgeblich beeinflussen, meint Beutel. Ob er da wohl Recht hat?

Die Forschungsgruppe SmartLab-Systeme an der Professur für Bioverfahrenstechnik des Instituts für Naturstofftechnik der Technischen Universität (TU) Dresden arbeitet derweil unter der Leitung von Felix Lenk gleich an mehreren Industrie 4.0-Projekten. Highlight ist eine erbsengroße Kugel namens Sens-o-Spheres, in die eine Antenne, ein Akku und ein kleiner Mikrokontroller integriert sind. „Mit den Sens-o-Spheres können wir die Temperatur in Nährmedien beliebig oft und in steriler Umgebung messen“, erläutert Lenk. Denn beim konventionellen Messen von Versuchsparametern schleichen sich gerne Kontaminationen ein.

Mit der Sensorkugel kann das nicht passieren: Der Laborant wirft sie einfach in das gewünschte Medium und autoklaviert alles. „Die Kugel und ihr Innenleben autoklavierbar zu machen, war technologisch gar nicht so einfach“, erinnert sich Lenk. Aber sie haben es geschafft – und wollen noch mehr: „Momentan können wir nur zuverlässig die Temperatur des Außenmediums messen. Das war für den Anfang am einfachsten, da das Medium nicht mit dem Sensor in Berührung kommen musste. In Zukunft wollen wir aber mindestens noch den gelösten Sauerstoff und den pH-Wert erfassen können.“ Theoretisch können sich beliebig viele Parameter messen lassen, denn jede Sensorkugel kann autonom einen externen Empfänger ansteuern.

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Felix Lenk. Foto: TU Dresden

Ein weiteres Gerät aus dem Hause der TU Dresden ist der NutriJet – eine Anlage, die vollautomatisch Lösungen herstellt. „Im Durchschnitt verschwenden Laboranten siebzig Prozent ihrer Zeit mit der Vorbereitung von Experimenten und der Suche nach Chemikalien“, weiß Lenk. „Diese Zeit lässt sich gewiss viel besser nutzen.“ Deshalb entschlossen sich Lenk und sein Team, einfache Routinearbeiten wie das Ansetzen von Nährmedien zu automatisieren. Auf einem Tablet oder Smartphone kann der Laborant bestimmte Lösungen auswählen, deren Komponenten das Gerät standardisiert zusammenmischt. Zum Schluss wird jede Flasche mit einem Etikett versehen. Jedoch kann nur derjenige mit der Maschine arbeiten, der vorher eingewiesen wurde und sich mittels Smartphone oder ähnlichem eingeloggt hat. Bei diesem Verfahren dürfte so manchem Chef ganz warm ums Herzen werden: „Institutionen kaufen ihre Chemikalien meist in großen Mengen ein und haben dann keinen Überblick mehr, wer, wann, wie viel und wofür verwendet hat“, so Lenk. Mit einer automatisierten Abfüllstation, die alles Personen-genau dokumentiert, haben Laborleiter wieder alles im Blick.

Wenn alle aufrüsten

Doch bei all der Automatisierung könnte sich ein böser Schelm vielleicht denken, dass die benötigten Qualifikationen der Mitarbeiter auf ein Minimum sinken werden. Beutel und Lenk weisen das klar zurück: „Beim Internet of Things geht es darum, den Laboranten eigentlich unnötige, aufhaltende und viel zu einfache Arbeit abzunehmen und ihnen dadurch Zeit zu sparen“, meint Lenk und Beutel ergänzt: „Das Handling durch qualifizierte Menschen ist bei komplexeren Aufgaben unausweichlich.“ Labglasses, NutriJet und Co. sollen Laboranten nur unterstützen – nicht ersetzen.

Während die Automation in der Industrie bereits fortgeschrittener ist, befindet sich die Digitalisierung noch in den Kinderschuhen. Größere Unternehmen scheinen sich noch etwas zu zieren. Aus gutem Grund: Geräten, die über WLAN angesteuert werden, drohen Hacker-Angriffe. „Es besteht definitiv ein Risiko, dass Daten manipuliert oder geklaut werden“, schätzt Lenk. „Die TU Dresden hat beispielsweise einen eigenen Cloud-Store, der über einen internen Server läuft.“ Eine hundertprozentige Sicherheit wird es vermutlich auch hier nicht geben. „Viele große Firmen lehnen gewisse Systeme von vornherein ab, weil es ihnen zu heikel ist“, erzählt Lenk aus eigener Erfahrung. „Ich vermute aber, dass die Unternehmen mit der Zeit mehr Vertrauen gewinnen werden. Dafür müsste jedoch einer anfangen – dann werden die anderen schon nachziehen.“

Denn der Bedarf am Internet der Dinge steigt immer weiter – gerade in der Qualitätssicherung. „Heutzutage werden immer mehr Parameter erfasst und es wird immer mehr kontrolliert“, sagt Lenk. Ein Beispiel sind die regelmäßigen Trinkwasserkontrollen. In den jeweiligen Routinelaboren müssen täglich tausende Wasserproben untersucht werden, die glücklicherweise nur in seltenen Fällen mikrobiologisch verunreinigt sind. Die TU Dresden arbeitet momentan daran, Bakterien im Trinkwasser vollautomatisch nachweisen zu können, denn die manuelle Probenauswertung ist mit hohen Kosten verbunden. „Von der Probenanlieferung bis zum fertigen Ergebnis sind es in etwa fünfzig Arbeitsschritte“, erläutert Lenk. Ein großes Routinelabor für Trinkwasseranalytik in Hamburg hat sich deshalb Unterstützung von der TU Dresden und Lenks Team geholt. Eine Hochdurchsatz-Hard- und Softwareplattform namens PetriJet-31X steht nun in der Hansestadt und sichtet Petrischalen, die mit Trinkwasser beimpft wurden, das unter Verdacht steht, mit dem Erreger Legionella pneumophila verunreinigt zu sein. Die grampositiven Stäbchen-Bakterien nisten sich gerne in Warmwasserkreisläufe ein und können bei geschwächten Personen das Pontiac-Fieber und Legionellose auslösen. Eine Kamera fotografiert jede mit der Trinkwasser-Probe inkubierte Petrischale – anschließend durchlaufen die Bilder eine Software, die mögliche Bakterien-Kolonien erkennt und zählt. Die Daten werden an das LIMS geschickt, wo sich der Laborleiter dann nur noch die verdächtigen Proben anschauen muss. Der PetriJet schafft circa 1.200 Platten in einer Acht-Stunden-Schicht – viel mehr als ein Arbeiter je zuverlässig bewältigen könnte. Und das könnte jedem einzelnen Bürger in Deutschland zugute kommen: Denn die regelmäßigen Trinkwasserkontrollen muss jeder Haushalt selbst bezahlen.

Angst um Arbeitsplätze?

Doch ein Wermutstropfen bleibt: Denn das Bestreben der Industrie 4.0 nach mehr Automatisierung, schürt unwillkürlich auch die Angst, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Genau wie in der Geschichte „Charlie und die Schokoladenfabrik“. In dieser arbeitet der Vater von Charlie in einer Zahnpasta-Fabrik, in der er tagtäglich die gefüllten Tuben mit einem Deckel zuschrauben muss. Doch eines Tages leistet sich der Chef der Firma einen neuen Roboterarm, der das Deckel-Zuschrauben übernimmt, und er muss Charlies Vater entlassen.

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Stiehlt die Automation den Laboranten die Arbeitsplätze? Foto: iStockphoto / Aleutie

Lenk sieht diesen Trend nicht: „Als Laborant braucht man keine Angst zu haben, dass man durch eine Maschine ersetzt wird.“ Denn laut Lenk seien gute Routinelabore ohnehin ständig auf der Suche nach guten Arbeitern. Der Trend zeige eher, dass es immer mehr Arbeit gibt, aber immer weniger Personal, das diese bewältigen könnte. Aus diesem Grund entscheiden sich viele Geschäftsführer, wie der des Trinkwasser-Routinelabors in Hamburg, maschinell aufzurüsten. Dabei sollen laut Lenk keine Stellen abgebaut oder ersetzt werden, in Zukunft würden sich die Arbeitsplätze wohl eher verlagern.

So wie beim Vater von Charlie, der nach kurzer Zeit in der Zahnpasta-Fabrik wieder eingestellt wird, weil er den Deckel-Roboter regelmäßig reparieren muss.






Letzte Änderungen: 29.03.2017