Editorial

Gene auf der Überholspur

Gene Drive

Mario Rembold


Die Idee, die Mendelschen Regeln mit "ferngesteuerten" Genen auszuhebeln, ist beinahe so alt wie die Molekular­biologie. Neue Genom ­Editing-Techniken helfen, sie in die Realität umzusetzen.

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Gene Drives wecken sowohl neue Hoffnung als auch Sorgen bei der Bekämpfung krankheitserregender Parasiten etwa Plasmodien, die von Stechmücken übertragen werden. Foto: Jill George, NIH

Listet die Naturdoku des Nachrichtensenders Ihres Vertrauens mal wieder die spektakulären Top Ten der tödlichsten Tiere auf, dann bleiben Haie, Raubkatzen und Giftschlangen weit abgeschlagen zurück. Auf Platz Eins der Charts stehen seit jeher die Stechmücken! Als Vektoren für diverse Krankheitserreger infizieren sie jährlich hunderte Millionen Menschen. Allein an Malaria starben laut WHO im letzten Jahr mehr als 400.000 Infizierte. Doch wie bekämpft man ein Insekt, dem selbst die Wasserlache im Untersetzer des Blumentopfs als Kinderstube genügt? Sümpfe trockenlegen? Ganze Landstriche mit Insektiziden einnebeln? Die Einwohner mit Autan besprühen?

Genetiker wollen den Plagegeistern eleganter zu Leibe rücken und ihnen Genkonstrukte verpassen, die sie entweder unfruchtbar machen oder zumindest das Übertragen der Erreger verhindern. Nun weiß manch ein Leser aus dem eigenen Forscheralltag, dass es schon im Labor nicht leicht ist, ein neues Allel in einem Laborstamm zu verbreiten und reinerbige Tiere zu etablieren. Hat man die gewünschte Genvariante in die Keimbahn eingeschleust, muss man die Nachkommen unter die Lupe nehmen. Und wer das Konstrukt trägt, ist bloß heterozygot. Also muss man die Träger dann noch untereinander kreuzen, bis ein paar homozygote Individuen herauskommen.

Mendel austricksen

Eine genetisch präparierte Mücke im Freiland in der Hoffnung auszusetzen, dass sich ihr Genotyp ausbreitet, genügt also nicht. Hierzu sind ein paar weitere Kniffe nötig. Am besten wäre es, wenn sich das Wunsch-Allel in heterozygoten Tieren von selbst auf das Schwesterchromosom kopieren würde. Dann wären alle Nachkommen mit diesem DNA-Stück ausgestattet und würden sich in homozygote Individuen verwandeln. Das Konstrukt würde sich auf diese Weise sehr schnell in der gesamten Population verbreiten. Diese Strategie, mit der Genetiker die Mendelschen Regeln austricksen wollen, wird als Gene Drive bezeichnet.

Vor nicht langer Zeit hätte man vielleicht an Transposons gedacht, um Genmaterial innerhalb des Genoms zu duplizieren. Doch wohin das Transposon springt und wie oft es sich kopiert, ist schwer zu kontrollieren. Zum Glück brachten die letzten zehn Jahre viele Neuerungen beim Gene-Engineering. So kamen Forscher auf die Idee, Homing-Endonukleasen als Werkzeug für den Gene Drive einzusetzen. Diese Proteine erkennen jeweils eine eindeutige, 14 bis 40 Basenpaare lange Zielsequenz und zerschneiden beide Stränge der Helix. Hierauf aktiviert die Zelle einen Rekombinations-basierten Reparaturmechanismus, dem ein homologer Abschnitt des Genoms als Template dient. Homology-Directed Repair nennt sich diese Rekonstruktion des DNA-Strangs.

HEG als Lückenfüller

Der homologe Abschnitt des Schwesterchromosoms dient als Abgleich, mit dem der Reparaturmechanismus der Zelle Fehler nach Doppelstrangbrüchen per homologer Rekombination ausbügelt. Das Gen der Homing-Endonuklease, HEG, wird aber von Sequenzen flankiert, die links und rechts der Schnittstelle liegen. Folglich stellt die Zelle bei der Reparatur nicht den Originalzustand des geschnittenen Strangs her, sondern füllt die Lücke mit der Homing-Endonuklease-kodierenden Information auf. Dadurch kopiert sich das Gen selbst. In Richard Dawkins Worten gesprochen ist ein HE-Gen also eine eigennützige DNA.

Weil in dem reparierten Abschnitt die Erkennungssequenz durch das eingesetzte HEG unterbrochen ist, wird die Homing-Endonuklease diese Region nicht erneut schneiden. Das sogenannte Homing findet also an der passenden Stelle nur ein einziges Mal statt. Kommt jedoch irgendwo im Genom eine weitere Zielsequenz vor, dann kann das neu generierte HEG wieder als Reparaturvorlage dienen, weil es ja von den passenden Basenfolgen flankiert wird. Homing ist spezifisch für DNA-Abschnitte, die länger sind als ein Dutzend Basenpaare. Es ist daher statistisch unwahrscheinlich, dass mehrere HEG-Zielsequenzen in ein und demselben Genom vorkommen. Ein unkontrolliertes Umherspringen ist somit ausgeschlossen.

Homing nur in Keimbahn

Nikolai Windbichler et al. vom Imperial College in London, nutzten ein HEG für einen Gene Drive in Anopheles gambiae. Das Ziel der Gruppe war, DNA in der Mücke zielgerichtet zu duplizieren und hierdurch homozygote Tiere zu erzeugen (Nature, 473, 212-5). Hierzu präparierten die Forscher zunächst ein HEG namens I-SceI mit einem Promotor für 2-Tubulin, das die Mücken in den männlichen Gonaden exprimieren. Das Homing kann daher nur in der Keimbahn der Männchen stattfinden. Anschließend stellten sie Konstrukte mit verschiedenen geno- und phänotypischen Markern her. Donor-Konstrukte enthielten 2-I-SceI, in Akzeptor-Konstrukten fehlte das HEG. Letztere beherbergten stattdessen die Erkennungssequenz für die Endonuklease. Außerdem exprimierte der jungfräuliche Akzeptor GFP. Die Idee dahinter: Kopiert sich durch ein Homing-Ereignis die 2-I-SceI-Sequenz in den Akzeptor, so verschiebt sich das GFP-Leseraster und das Fluoreszenzprotein wird nicht mehr gebildet.

Kreuzte die Gruppe weibliche Tiere mit Donor/Akzeptor-Genotyp mit Wildtyp-Männchen, so resultierte eine F1-Generation die den Mendelschen Regeln gehorchte: Die Hälfte der Nachkommen fluoreszierte grün. Anders bei Mücken mit Wildtyp-Mutter und Donor/Akzeptor-Vater: Hier verschob sich das Verhältnis zwischen GFP-positiven und -negativen Tieren zu Ungunsten der GFP-positiven Fliegen und lag nur noch bei 14:86. Offensichtlich exprimierten die Mücken-Väter I-SceI. Und tatsächlich bestätigten PCRs und Kontrollexperimente, dass sich das HEG der Väter bei den GFP-negativen Nachkommen erfolgreich in den Akzeptor hineinkopiert hatte.

In weiteren Versuchen demonstrierte die Gruppe, dass sich ein Donor-Allel innerhalb der Akzeptor-Population ausbreitet und das Mendel-Verhältnis zu seinen Gunsten verschiebt. Im Grundsatz funktioniert also der Gene Drive mit Hilfe von Homing Endonukleasen. Für den Einsatz in freier Wildbahn müsste man lediglich ein HEG finden oder designen, das eine Basenfolge erkennt, die natürlicherweise in den Mücken vorkommt.

Mittlerweile sind wir aber fünf Jahre weiter und die Forscher können den Gene Drive viel einfacher auslösen. Das Zauberwort lautet CRISPR/Cas9. Als Endonuklease verwendet man in diesem Fall Cas9. Dieses bakterielle Protein findet sein Nukleinsäure-Ziel nicht über eine spezifische Wechselwirkung zwischen Aminosäuren und DNA, sondern mithilfe einer Guide-RNA (gRNA). Eigentlich nutzen Prokaryoten CRISPR/Cas zur Pathogenabwehr (siehe auch Stichwort vom Dezember 2012: http://laborjournal.de/rubric/archiv/stichwort/w_12_12.lasso). Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna haben das CRISPR/Cas-System jedoch zu einem Gen-Editing-Werkzeug weiterentwickelt, das wie geschaffen ist für Gene Drive-Anwendungen.

CRISPR Gene Drive

Hierzu muss man die gRNA lediglich so entwerfen, dass sie eine Zielsequenz erkennt, die in jedem Mückengenom vorkommt. Der Teil der gRNA, der an Cas9 bindet bleibt hierbei konstant. Die gRNA führt das Cas9-Protein zu seinem Ziel, das Cas9 auf die Base genau an der zuvor festgelegten Stelle schneidet. Alles Weitere verläuft wie beim HEG-Gene Drive über den Homology-Directed Repair-Mechanismus.

Konkret könnte man folgendermaßen vorgehen, um mit der CRISPR-Technik einen Gene Drive zu etablieren: Man konstruiert ein Plasmid, das ein Gen für Cas9 und für die passende gRNA beherbergt. Zu diesen packt man optional noch weitere Gene, die später in den transgenen Lebewesen exprimiert werden sollen. Dies können zum Beispiel Marker sein, mit deren Hilfe die Forscher verfolgen können, wie sich die Population phänotypisch entwickelt. Flankiert wird diese cas9/gRNA-Kassette von zwei Homologie-Armen mit DNA-Abschnitten, die homolog sind zu den rechts und links der Schnittstelle liegenden Sequenzen.

Im ersten Schritt injiziert man das Plasmid in den gewünschten Organismus, so dass es in die Keimbahn gelangt. Steht Cas9 mit seiner gRNA unter der Kontrolle eines konstitutiven Promotors, der immer und überall aktiv ist, muss man nichts weiter tun. Der Promotor sorgt dafür, dass Cas9 und die gRNA permanent produziert werden und sich das Konstrukt in jeder Zelle auf das jeweilige Schwesterchromosom kopiert. Es entstehen immer homozygote Nachkommen. Andernfalls gibt man einmalig Cas9-Protein samt gRNA zu, damit das Konstrukt aus dem Plasmid herauskopiert und an der gewünschten Stelle im Genom eingesetzt wird.

Fast nur homozygote Nachkommen

Valentino Gantz und Ethan Bier von der University of California in La Jolla, haben diese Mutagenic Chain Reaction (MCR) vor einem Jahr in Drosophila getestet (Science, 348, 442-4). Ihr Konstrukt unterbricht den yellow-Lokus auf dem X-Chromosom der Fliegen. Eigentlich sollten die Männchen mit yellow-Phänotyp bei der Kreuzung mit Wildtyp-Weibchen nur Nachkommen mit Wildtyp-Phänotyp produzieren, weil das Merkmal rezessiv ist. Mehr als 95 Prozent der Nachkommen waren aber homozygot: die MCR begünstigt also das modifizierte Allel und sorgt für eine schnelle Ausbreitung in der Population.

Forscher um den Molekularbiologen Anthony James von der University of California in Irvine brachten unlängst ein 17 Kilobasenpaar großes Konstrukt via MCR in Anopheles stephensi ein, das die Tiere gegen Plasmodien immunisiert (Gantz et al., Proc Natl Acad Sci U S A., 112(49), 6736-43). Dadurch produzieren die Mücken Antikörper gegen die Parasiten und können keine Malaria übertragen.

Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass der Gene Drive in ihren Experimenten nur dann zuverlässig und effektiv funktionierte, wenn sie die Cas9-Expression mit einem geeigneten Promotor auf die Keimbahn beschränkten. War dies nicht der Fall, so kam es zu ungewollten Mutationen und die Konstrukte wurden nicht immer korrekt kopiert.

Was passiert im Freiland?

Bisher setzten Forscher die hier vorgestellten Gene Drive-Konzepte nur im Labor ein. Ob Gene Drive-Experimente auch unter realistischen Bedingungen funktionieren und wie sie sich auf ­Freilandpopulationen tatsächlich auswirken ist bisher offen. Stechmücken werden ihre Spitzenposition in Infotainment-Dokus also vorerst noch einige Zeit verteidigen.






Letzte Änderungen: 29.03.2016