Editorial

Planspiele für Biologen

Praktika für das (Biologen)Leben

Gerd Glöck


Botanikpraktikum

Biologie-Praktika vermitteln oft nur Inhalte, die für eine Forschungstätigkeit wichtig sind. Vieles, was Biologen darüber hinaus für die Ausübung ihres Berufes wissen müssen, bleibt auf der Strecke. Gerd Glöck mit einem Appell an Lehrende, die Studenten nicht nur auf die Forschung, sondern auch auf den Beruf vorzubereiten.

Wenn wir uns an unser Studium zurück erinnern, haben die verschiedenen Praktika vermutlich die prägendsten Eindrücke hinterlassen: der erste Tag in der organischen Chemie, die mühevollen Versuche, SDS-Gele selbst zu gießen, und das gute Gefühl, wenn alles so geklappt hat, wie die Kursleiterin es sich vorgestellt hat. Zu Beginn des Studiums haben wir in Praktika noch ausgearbeitete Vorschriften abgearbeitet, später durfte man dann selbst kleine Forschungsthemen angehen. Kurzum, in den Praktika hatte man das Gefühl, wirklich auf die Tätigkeit als Biologe vorbereitet zu werden.

Im Grunde hat sich daran bis heute nichts geändert. Praktika sind im Biologiestudium der wesentliche Teil der Vorbereitung auf die spätere Berufspraxis.

Aber ist das wirklich so? Was ist denn der Beruf des Biologen? Mit welchen Aufgaben werden sie in der Praxis konfrontiert? Betrachten wir dabei nicht nur die akademische Forschung in staatlichen Instituten, oder die Arbeit in der öffentlichen Verwaltung. Nach wenigen Ausbildungs- und Wanderjahren als Student und Postdok wird kaum ein Biologe in diesen Feldern sein Auskommen finden. Bei jährlich rund 10.000 Studienanfängern und weniger als 1000 frei werdenden Stellen kann man sich das selbst leicht ausrechnen. Die meisten Biologen finden seit jeher ihr Auskommen in der Wirtschaft und sind dort überwiegend mit Tätigkeiten betraut, die nicht im Labor angesiedelt sind.

Viele neue Studienprogramme bieten daher angehenden Biologen an, sich auf eine Tätigkeit außerhalb der Hochschule durch Kurse in Soft Skills vorzubereiten. Aber können eine verbesserte Präsenta­­t­ions­technik oder eine ausgefeilte Bewerbungsstrategie tatsächlich dazu beitragen, sich auf eine andere berufliche Umgebung einzustellen? Was unterscheidet das Arbeiten in der akademischen Wissenschaft von der Tätigkeit in der Industrie?

Ein Beispiel: Während man in der Universität an einem Institut meist über viele Jahre ein bestimmtes Thema von allen Seiten beleuchtet und dabei stets der Wissenserwerb im Vordergrund steht, bestimmen in der Wirtschaft die Faktoren Zeit und Geld die Vorgehensweise. Dies erfordert ein völlig anderes Herangehen an wissenschaftliche Fragestellungen, „einfach mal losforschen“ geht nicht. Die verfügbare Zeit ist meist knapp bemessen, Erfolg muss sich rasch einstellen, und um Mittel wird auch innerhalb der Firma hart konkurriert. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl von Randbedingungen für die Arbeit in einem Unternehmen, die den Forscher an einem Forschungsinstitut meist nicht interessieren, etwa Marketingstrategie, Qualitätssicherung, Produkthaftung, Patente oder Lizenzrechte.

Möglicherweise wird es Ihnen jetzt grauslich schaudern: Wie kann man denn kreative Forschung machen, wenn man sich in das Korsett betriebswirtschaftlicher Arbeitsweisen und Organisationsstrukturen zwängen muss?

Probieren über Studieren

Meine Antwort darauf ist pragmatisch: Man muss es ausprobieren. Studierenden werden zu diesem Zweck Praktika in der Industrie empfohlen, die in vielen Fällen durchaus nützlich sind. Aber nicht immer findet man ein Praktikum, das sich in den Studienverlauf integrieren lässt. Auch die Qualität der Praktika ist nicht immer so, wie es sich die Praktikanten wünschen, und nicht selten ist der Praktikant nur die billige Arbeitskraft, die umfangreiche Aufgaben zu erledigen hat.

Sollten moderne Biologie-Studiengänge künftige Biologen daher über die abstrakten Softs Skills hinaus nicht auch auf die mögliche Praxis einer Tätigkeit in der Wirtschaft vorbereiten? Wirtschaftswissenschaftler werden schon in ihrer universitären Ausbildung mit Planspielen auf die Praxis vorbereitet. Dabei wird ein alltägliches Problem im Kontext eines Unternehmens simuliert, für das die angehenden Ökonomen eine möglichst realistische Lösung finden sollen.

Wir haben in der Bioverfahrenstechnik an der Universität Bremen vor einigen Jahren dieses Konzept aufgegriffen und in die Ausbildung von Biologen integriert. Wie unsere mittlerweile langjährige Erfahrung zeigt, ist die Umsetzung wesentlich einfacher als es zunächst scheinen mag. Ich möchte hier beispielhaft ein einfaches Planspiel vorstellen, bei dem die Tätigkeit von Biologen in der Entwicklungsabteilung einer kleinen Firma simuliert wird.

Dies sind die wesentlichen Zutaten für das Planspiel:

  • Teilen Sie den Praktikanten zu Beginn mit, dass sie die Rolle von Mitarbeitern Ihrer Firma annehmen sollen.
  • Geben Sie eine praxisnahe, realistische Aufgabenstellung, ohne diese aber bereits im Detail zu weit zu strukturieren. Wechseln Sie dabei von der Rolle des „allwissenden“ Hochschullehrers in die Rolle des Firmenchefs, der zum Beispiel mit folgender Ansprache an die Mitarbeiter herantritt: „Liebe Mitarbeiter, wir haben auf der letzten Messe gehört, dass xyz ein interessantes neues Produkt für uns sein könnte. Ihre Aufgabe als Entwicklungsabteilung ist es, der Geschäftsführung in zehn Wochen eine Machbarkeitsstudie dazu vorzulegen, auf deren Basis die Geschäftführung entscheiden kann, diese Entwicklung weiter zu verfolgen oder auch nicht. Beachten Sie dabei die technische Machbarkeit, aber auch die ökonomische Tragbarkeit und die relevanten rechtlichen Aspekte.“
  • Das Produkt xyz kann dabei je nach Schwerpunkt des Studiengangs ein dia­gnostischer Schnelltest sein, ein technisches Enzym, eine Bioinformatiksoftware, ein bestimmter Hefestamm usw..
  • Machen Sie deutlich, dass die gestellte Aufgabe in der kurzen verfügbaren Zeit nur im Team zu bewältigen ist. Die ideale Gruppengröße beträgt etwa sieben bis zehn Personen.
  • Machen Sie feste Zeitvorgaben für das Erreichen von Meilensteinen, die Sie zu Beginn des Planspiels festlegen, zum Beispiel vier Wochen für Literatur-, Markt- und Patentrecherche, vier Wochen für Vorversuche und Methodenoptimierung, acht Wochen für die eigentliche Laborarbeit. Um die Ernsthaftigkeit der Zeitvorgaben zu unterstreichen, könnten diese Meilensteine mit Prüfungen verbunden sein.

Rolle als Firmenchef

  • Überlassen Sie Strukturierung und Organisation des Themas den Studierenden. Machen Sie aber die strikte Vorgabe, dass im Planspiel die Planungs- und Organisationswerkzeuge des Projektmanagements eingesetzt werden müssen.
  • Lassen Sie sich mindestens wöchentlich in einer formalen Sitzung strukturiert über den Projektfortschritt berichten. In dieser ist Zeit und Raum für kritische Diskussion und hilfreiche Anregungen. Bleiben Sie dabei unbedingt in der Rolle des kritisch fragenden Firmenchefs. In einem Unternehmen hat der Geschäftsführer nicht immer das Detailwissen eines Hochschullehrers. Die Studierenden sollen die Erfahrung machen, dass sie sich im Berufsalltag um wesentliche Informationen meist selbstständig kümmern müssen und nicht mehr einfach beim Prof nachfragen können.
  • Lassen Sie die Studierenden ruhig auf dem Weg zur Lösung Fehler machen und Irrwege beschreiten. Korrigieren Sie erst, wenn die Studierenden im Team diese Fehler nicht erkennen können.


Selbstorganisiertes Team

  • Machen Sie klar, dass in der Abschlusspräsentation der Machbarkeitsstudie eine inhaltlich, rechtlich und ökonomisch begründete Empfehlung an die Geschäftsführung darüber erwartet wird, ob das Projekt fortgesetzt werden sollte.
  • Im Planspiel müssen die Studierenden sich als Team selbst organisieren und Aufgaben festlegen: So wird es jemand geben, der sich um Testentwicklungen oder die HPLC kümmert, aber auch jemand, der für Qualitätssicherung, Marketing oder Patente zuständig sein kann.
  • Die Studierenden werden im Folgenden das Thema genauer strukturieren, Informationen recherchieren und dabei auch das wirtschaftliche Umfeld analysieren. Am Ende dieser Arbeitsphase sollten die Studierenden verstehen, wie eine Problemlösung aussehen könnte, und das weitere Vorgehen nun detailliert planen. In der Sprache des Projektmanagements bedeutet dies zunächst eine formale Auftragsklärung mit der Geschäftsführung, und anschließend die Projektfeinplanung mit Erstellung eines Projektstrukturplans, detaillierten Beschreibungen der einzelnen Arbeitspakete, Feinplanung der benötigten Ressourcen, Entwurf eines Projektablaufplans sowie der formalen Beschreibung der Projektorganisation und der inhaltlichen Ziele für die Meilensteine.

    Details zum Einsatz des Projektmanagements in der Praxis findet man in zahlreichen Lehrbüchern und Leitfäden. In der Phase der eigentlichen Projektrealisierung ist eine vertiefende Marktrecherche erforderlich, Methoden sind zu erproben, und die eigentlichen Experimente zur Produkt- oder Verfahrensentwicklung müssen durchgeführt werden.
  • Der Fortschritt der Arbeiten soll von den Studierenden mindestens wöchentlich in formal gehaltenen Meetings strukturiert vorgetragen werden (was war die Aufgabe/das Ziel, was hatten wir dazu geplant, was wurde davon erreicht, wie geht es weiter). Das Projekt kann schließlich mit einem gemeinsamen Abschlussbericht des ganzen Teams enden, der zum Beispiel die von der Geschäftsführung gewünschte Machbarkeitsstudie darstellt. Die Studierenden werden dabei erstmals mit der Situation konfrontiert, dass sie auch Aspekte ihrer Forschung verantwortlich berücksichtigen müssen, die abseits der reinen Wissenschaft liegen, wie Geld, Normen und Gesetze.

    Was lernen die Studierenden von dem Planspiel? Zunächst einmal, sich selbstständig in eine neue Problematik einzuarbeiten und sich dabei in ein Team zu integrieren. Weiterhin erkennen sie, dass die fachliche Komponente der Wissenschaft in der Wirtschaft nur eine Facette der Tätigkeit ist und sich diese immer im Spannungsfeld von Ressourcen, organisatorischen Rahmenbedingungen und dem Markt bewegt. Schließlich werden sie die Erfahrung machen, dass ein einzelner Geistesblitz nicht die Lösung für die gestellte Aufgabe bringen wird, diese erfordert teils auch mühsame Detailarbeit und Kooperation in einem Team mit verteilten Aufgaben und möglicherweise auch unterschiedlichen Interessen.


Lehrreich für Lehrende

Viele Elemente des Planspiels werden Sie aus Ihrer Arbeit in der akademischen Forschung wieder erkennen, schließlich forscht man im Labor in der Regel nicht zufällig, sondern zielgerichtet. Und für Forschungsanträge muss man eine ähnliche Planung vorlegen wie für Entwicklungsprojekte in der Wirtschaft. Der Unterschied zur Praxis in Firmen ist die dort meist viel kürzere Projektdauer, die angewandte Fragestellung und die damit verbundenen logistischen, rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Fragen.

In unserem Institut führen wir entsprechende Planspiele schon seit vielen Jahren durch. Sie dienen unseren Studierenden einerseits zur Vorbereitung auf den Job in der Wirtschaft und führen andererseits bei Einzelnen auch zu einer bewusster getroffenen Entscheidung, doch vorerst in der Wissenschaft zu bleiben und eine Promotion anzustreben.

Als Unterrichtende erleben wir diese Form der Hochschullehre als Gewinn. So erleichtern es unsere Planspiele mit Kollegen aus anderen Disziplinen, in der Lehre zu kooperieren oder sie münden sogar in „echte“ Industrieaufträge, die durch die „studentische Entwicklungsabteilung“ bearbeitet werden.




Letzte Änderungen: 23.12.2010