Editorial

Camembert-Arrays

Partikel-basierte Peptidsynthese

Frank Breitling


Wie könnte man trockene Wissenschaft besser vermitteln als mit lebensnahen Experimenten? Frank Breitling erklärt die partikel-basierte Peptidsynthese mithilfe von gefärbten und angebrannten Camemberts.

In früheren Zeiten soll es Rittersleute gegeben haben, die nur dann beruhigt auf längeren Reisen ihren verantwortungsvollen Aufgaben nachgehen konnten, wenn sie die sensiblen Teile ihrer Gattin von einer Schutzschicht ummantelt wussten. Nun sage man nicht, dass dieses Kontrollfreak-Verhalten nur im finsteren Mittelalter vorkam.

Teile davon haben sich bis heute erhalten, so in der Ausbildung zum Chemiker woran ja auch jeder Biologiestudent in seinem Chemiepraktikum teilhaben darf. Ich jedenfalls erinnere mich noch genau an den grimmigen Gesichtsausdruck meines Praktikumsbetreuers, der mir mürrisch erklärte, dass meine chemische Analyse 2% neben dem Sollwert läge und noch mal gekocht werden müsse. Wie? Die Verbindung Keuschheitsgürtel – chemische Analyse sei an den Haaren herbeigezogen? Gut, dann eben anders: Der Keuschheitsgürtel diente bekanntlich dazu, die Jungfer (die eigentlich keine war, denn die Dame war ja verheiratet) vor den biologischen Konsequenzen emotionaler Abstürze zu bewahren.

Nun hat je nach Verfügbarkeit eines Reaktionspartners auch manch sensible Chemikalie einen fatalen Hang zum überstürzten Abreagieren. Daher stellt sich dem traditionsbewussten Chemiker die Frage, ob man nicht auch diese mit einer Schutzschicht vor schlechten Umwelteinflüssen und selbst-zerstörerischen Aktionen bewahren kann.

Schön verwirklicht wurde dieses Grundprinzip im überbackenen Camembert, dem im christlich geprägten Europa zu Recht eine wichtige Rolle als Träger sittlicher Traditionen zugewiesen wird. Der überbackene Camembert wird durch eine Panadeschicht geschützt, die verhindert, dass er vor der Zeit mit der Luft abreagiert. Es ist erstaunlich, was diese dünne Schutzschicht aus Semmelbröseln bewirkt: Immer wieder kann man hungrige Biologen beobachten, die im Sozialbereich ihrer Institution den Kühlschrank der Nachbargruppe öffnen, sich mit einer Hand die Nase zuhalten, mit der anderen den sechs Monate über dem Verfallsdatum liegenden, zu überbackenden Camembert ergreifen, um ihn bedenkenlos zu verzehren.


Kovalente Käsebindung

Derart geistig vorbereitet können wir zum Thema kommen: der Partikel-basierten Peptidsynthese. Um deren Prinzip zu verstehen, muss man den Camembert in der heißen Pfanne vergessen. Schon nach einem Viertelstündchen kann man einen klar umrissenen Reaktionsraum zwischen Käse und Pfannenboden erkennen in dem der Camembert kovalent an den Träger, respektive die Pfanne koppelt. Dasselbe geschieht bei der Partikel-basierten Peptidsynthese! Nur wird die Pfanne durch einen Träger mit freien Aminogruppen und der Camembert durch einen am C-Terminus aktivierten Baustein für die Peptidsynthese ersetzt. Durch die innige Reaktion der beiden bildet sich eine Peptidbindung aus. Die Rolle der Panade übernimmt ein Polymer. Dieses Polymer, das die aktivierten Bausteine für die Peptidsynthese panadenartig umhüllt, ist auch der Hauptbestandteil der Farbtonerpartikel, die aus dem neben Ihnen stehenden Laserdrucker rieseln. Vorsicht: Nicht essbar! Herdplatte dagegen bleibt Herdplatte: So wie ein Camembert erst in der Pfanne erhitzt werden muss, bevor er an den Pfannenboden klebt, müssen bei der Partikel-basierten Peptidsynthese die Partikel durch Hitzeeinwirkung geschmolzen werden. Erst dann diffundieren die reaktiven Chemikalien zur Trägeroberfläche und reagieren mit den dort auf sie wartenden Aminogruppen. Für den Fachmann: Bei der Partikel-basierten Peptidsynthese werden Aminosäurenderivate verwendet, deren Aminogruppen mit einer Fmoc-Schutzgruppe geschützt sind und deren Carboxylgruppen durch einen OPfP-Ester aktiviert wurden.

Basislinie 1
Ob Andy Warhol ahnte, dass sein "Array of Camemberts" zur Illustration der partikel-basierten Peptidsynthese taugt?


Beim Untersuchen eines in die Pfanne eingebrannten Camemberts wird sofort klar, wo der Vorteil gegenüber den Flüssigkeits-basierten Synthesen liegt: Der Camembert bleibt an der Brennstelle liegen. Sie müssen Gewalt und in Extremfällen einen Meißel anwenden. Genau das hilft, die Synthese eines Peptides (oder was auch immer) auf einen möglichst kleinen Syntheseort zu begrenzen. Hilfreich dabei ist das segensreiche physikalische Prinzip der Oberflächenspannung, das sowohl schmelzenden Camemberts wie auch Tonerpartikeln ihre gemütlich-runde Form verleiht und sie davon abhält, mit ihren Nachbarn zusammenzulaufen. Wer möglichst viele Synthesen nebeneinander machen will, muss den Camembert beziehungsweise die Aminosäurepartikel möglichst klein machen und sie möglichst eng nebeneinander drucken. Bloß wie? Mit dem oben erwähnten Farblaserdrucker!

Aktivieren Sie nun ihre, vielleicht lästigen, Erinnerungen an die Merrifieldsynthese aus dem Chemiepraktikum. Schon haben sie fast alle Teile der Partikel-basierten Peptidsynthese beisammen. Ein 20-Farben-Laserdrucker verdruckt die 20 verschiedenen aktivierten Aminosäurenbausteine, jeweils eingehüllt in feste Partikel, in einem frei wählbaren Muster auf die Trägeroberfläche, wo sie jedoch sittsam den Avancen der Aminogruppen des Trägers widerstehen. Wird der Träger aber erhitzt, diffundieren die reaktiven Aminosäurebausteine in dem nun geschmolzenen öligen Partikeltröpfchen zur Trägeroberfläche und reagieren dort mit den Aminogruppen des Trägers ab.

Basierend auf diesem Prinzip, können Sie mit den Kindern der Oma ein schönes Geburtstagsgeschenk basteln und gleichzeitig dem hoffnungsfrohen Nachwuchs pädagogisch wertvoll die Grundprinzipien der Naturwissenschaften vor Augen führen. Sie benötigen dazu eine große Pfanne und zwei Viererpackungen Camemberts. Zunächst färben Sie die Camemberts mit unterschiedlichen schmackhaften Lebensmittelfarben ein (das symbolisiert die Partikel mit den unterschiedlichen Aminosäuren), dann legen Sie sie zu einem lustigen Muster nebeneinander in die Pfanne und schließlich brennen Sie die gefärbten Camemberts an dem Boden der Pfanne fest. Entfernen Sie die nicht fest gebrannten Reste mit dem Fleischwender und bewundern Sie das schöne Muster auf dem Pfannenboden. Das können Sie samt Pfanne der Oma schenken. Die wird sich freuen!


Lego-Schutzgruppe

Noch haben wir kein Peptidarray, sondern nur eine erste Schicht von Bausteinen an den Träger gekoppelt. Diese Bausteine müssen jeder für sich verlängert werden auf das die für ein Peptid charakteristische Abfolge von verschiedenen Aminosäuren entstehe. Auch dies kann man sich mit einer abendländischen Tradition veranschaulichen, nämlich dem Bau von bunten Türmchen mit Legosteinen. Die Abfolge der verschieden farbigen Legosteine ist die Peptidsequenz, wobei die Noppen die freien Aminogruppen und die Vertiefungen die Carboxygruppen der Aminosäurenbausteine darstellen. Sogar eine entfernbare Schutzgruppe gab es in meinem Legokasten: Glatte Plättchen, die man auf die Noppen der darunter liegenden Klötzchen aufstecken konnte. Diese Schutzgruppen verhindern, dass die Monomere mit sich selbst abreagieren. Bei der Peptidsynthese wird der N-Terminus der Aminosäurenbausteine meist mit einer Fmoc-Schutzgruppe maskiert. Entfernt man diese, entsteht eine freie Aminogruppe, die mit der nächsten Schicht von aufgedruckten aktivierten Aminosäuren abreagieren kann. Wenn man das – sagen wir – zehn mal wiederholt, entsteht ein Array mit Peptiden von 10 Aminosäuren Länge.

Fragt sich: Wozu das Ganze? Ein Farblaserdrucker adressiert etwa 100 Millionen Pixel pro DinA4-Seite, prinzipiell – jedes Pixel ein Peptid – müsste man also eine ähnlich große Zahl von Peptiden herstellen können (zur Zeit liegt der Rekord bei etwa 160.000 Peptiden pro 20x20 cm2). Braucht man das? Betrachten wir ein anderes Traditionselement aus alten Zeiten, das Schlüssel-Schloß-Prinzip, das ja auch beim Jungferngürtel Anwendung findet. Noch Jahrhunderte, nachdem dieser aus der Mode kam, wird das Schlüssel-Schloß-Prinzip dem Biologiestudenten im Grundstudium eingebleut. Er soll verstehen, wie Biomoleküle kontrolliert und reversibel aneinander binden. Denn den Biologen interessiert, welches Protein passt an welches andere Biomolekül und bekanntlich ist ein Peptid nichts anderes als ein kurzes Proteinfragment.

Wer also die Technik beherrscht, unzählige Peptid-Schlüssel herzustellen, kann fragen: Welche dieser Schlüssel passen an die Antikörper eines Malaria-infizierten Patienten, oder welche aus dem Hepatitis C Virus abgeleiteten Peptide lassen sich auf MHC-Proteine laden, oder auch, welche D-Peptide lassen sich finden, die an ein Targetprotein binden? D-Peptide deswegen, weil diese Spiegelbilder der natürlichen L-Peptide nicht von Proteasen verdaut werden, also im Körper zum Beispiel eines Krebspatienten nicht gleich zerhackt werden. Die Idee ist, spezifisch an ein Targetprotein auf einer Tumorzelle bindende D-Peptide mit einem Gift zu beladen in der Hoffnung, dass das Peptid danach immer noch bindet und die Tumorzellen umbringt.

Welche Targets? Das fragt sich auch die Pharmaindustrie. Meiner Katze schwebt als Target ein Morphinrezeptor vor und ein D-Peptid, das daran bindet würde sie als Nahrungsergänzungsmittel vermarkten. Dann würde sie Whiskas kaufen und Frauchen auch. Vielleicht gewinnen wir damit einen Businessplanwettbewerb, meine Katze und ich.




Letzte Änderungen: 22.12.2009