Editorial

Überdenken

Genome Editing –
Die Revolution der Biotechnologie

Von Jörg Hacker, Halle (Saale)


Essays
Illustr.: iStock / Akindo

(12.07.2017) Genchirurgische Techniken mittels CRISPR-Cas und Co. erlauben Eingriffe in das Genom von enormer Präzision. Die Chancen, die sich damit in Medizin und Pflanzenzucht bieten, sind groß – genauso wie die Herausforderungen und Risiken. Aufgabe der Wissenschaft und ihrer Organisationen ist es, daran mitzuarbeiten, dass beides mit differenziertem Blick gegeneinander abgewogen wird.

Wir erleben seit einigen Jahren eine rasante, Technologie-getriebene Revolution in der molekularbiologischen Forschung durch die Anwendung einer neuen Präzisions-Gentechnik – häufig als Genome Editing oder auch Genom-Chirurgie bezeichnet. Diese Revolution wird weitreichende Konsequenzen für unsere Gesellschaft haben. Einerseits machen wir enorme Fortschritte in unserem stetig wachsenden Verständnis der hochkomplexen Grundlagen des Lebens, andererseits wird unsere Verantwortung bei der immer gezielteren Einflussnahme auf den Bauplan und die Vorgänge des Lebens ständig herausfordernder.

Genome Editing basiert auf den großen Fortschritten, welche die Lebenswissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten gemacht haben. Die Biologie hat sich schon immer für den Ursprung und die Mechanismen von dem, was wir als Leben bezeichnen, interessiert. James Watson und Francis Crick konnten 1953 zeigen, wie die stoffliche Grundlage der Vererbung, die DNA, als Doppel-Helix aufgebaut ist. Sie legten damit die Grundlagen zur Entschlüsselung des Codes für den Bauplan des Lebens. Werner Arber und seine Mitstreiter fanden dann in den 1970er Jahren heraus, dass es Genscheren, Restriktionsendonukleasen, gibt, welche die DNA an bestimmten Stellen schneiden.

Neben diesen Genscheren, deren Einsatz damals noch recht limitiert war, wurden weitere Enzyme entdeckt, die die Enden der geschnittenen DNA wieder zusammenfügen, sodass es erstmals möglich wurde, gezielt Gene zu verändern oder von einer Spezies in eine andere zu übertragen. So konnte schon sehr früh das Gen für menschliches Insulin in Escherichia coli vermehrt werden, um dieses Hormon für die Diabetes-Behandlung zu produzieren.

Die damals entstandene „klassische“ Gentechnik hat sich als sehr sicheres Werkzeug für die biologische Grundlagenforschung und für die Anwendung erwiesen. Neben gentechnisch hergestelltem Insulin sind die Produkte der klassischen Gentechnik längst mannigfach in unserem Alltag angekommen – man denke etwa an Waschmittel und Nahrungsergänzungsstoffe.

Insbesondere die sogenannte „Rote Gentechnik“ mit der Stoßrichtung medizinischer Anwendung hat eine große Zahl von Medikamenten hervorgebracht. Beispielsweise kann man mit ihrer Hilfe Infektionen verhindern – wie geschehen bei der Hepatitis-Schutzimpfung. Auch in der Krebstherapie werden gentechnisch hergestellte Wirkstoffe angewendet. In Deutschland sind momentan mehr als 150 unterschiedliche Wirkstoffe in über 200 Medikamenten zugelassen, die mittels gentechnischer Verfahren hergestellt werden. Die „Rote Gentechnik“ erfreut sich in der Bevölkerung großer Zustimmung.

Dies gilt für die „Grüne Gentechnik“, also der Anwendung in der Pflanzenzüchtung, nicht. In Deutschland und in anderen Staaten der Europäischen Union wird sehr kritisch hinterfragt, warum es eigentlich nötig sei, in unseren Regionen Gentechnik einzusetzen. Gezielte menschgemachte genetische Veränderungen bei Nutzpflanzen, beispielsweise die Übertragung von Genen aus einer Spezies in eine andere, werden hier mehrheitlich abgelehnt, da sie als „unnatürlich“ und besonders risikoreich empfunden werden. In anderen Teilen der Welt aber ist die Grüne Gentechnik seit vielen Jahren weit verbreitet und akzeptiert. Dort wurde etwa die Resistenz von Pflanzen gegenüber Schädlingen, wie etwa Fraßinsekten, Mehltau oder bestimmten Bodenbakterien, erhöht. Oder es wurde die Zusammensetzung von Vitaminen, wie dem Provitamin A im sogenannten Goldenen Reis, und Speicherprodukten, wie Fettsäuren und Stärke in Kartoffeln, angepasst.

Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) wurden 2015 auf circa 13 Prozent des weltweit bearbeiteten Ackerlandes (180 Millionen Hektar) angebaut. Wissenschaftlich erhobene Daten zeigen, dass bei passenden Standortbedingungen und richtigen Anbaumethoden der Einsatz von diesen GVO in Ertragssteigerungen, höheren Einkommen für die Landwirte und einem verringerten Einsatz von Insektiziden resultieren kann. Spezifische Risiken von GVO für Mensch und Umwelt konnten bisher nicht wissenschaftlich bestätigt werden. Der internationale Trend zu vermehrtem GVO-Anbau ist klar erkennbar; er steht jedoch im Gegensatz zur politisch-rechtlichen Situation in vielen Ländern, insbesondere in Deutschland, wo inzwischen weder Feldversuche noch kommerzieller Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen stattfinden.

Was ist aber nun das Besondere der neuen Werkzeuge der Präzisions-Gentechnik, allen voran CRISPR-Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats/CRISPR associated)? Die Antwort ist leicht: die neuen Genscheren sind nahezu beliebig auf bestimmte Zielsequenzen programmierbar und zudem universell, also bei sehr vielen Organismen, einsetzbar. Sie arbeiten weitaus präziser als konventionelle Techniken, sie können vollständig wieder aus dem Genom entfernt werden, ohne Spuren zu hinterlassen, und sie sind in der Lage, eine große Zahl von Genen zeitsparend und sehr effizient zu verändern.

Seit langem ist bekannt, dass Bakterien von Bakteriophagen abgetötet werden können. Allerdings werden einige Bakterien unter bestimmten Bedingungen resistent gegen diese Viren. Wie sich später herausgestellt hat, ist die Resistenz durch das Wirken des CRISPR-Cas-Systems bedingt, welches die Erbsubstanz der Viren erkennen, gezielt zerschneiden und damit neutralisieren kann. Somit fungiert das CRISPR-Cas-System als bakterielles Immunsystem.

Die beiden Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna konnten 2012 zeigen, dass der Krankheitserreger Streptococcus pyogenes eine besonders effiziente Variante mit dem Namen „CRISPR-Cas9“ bildet. Den beiden Pionierinnen des Genome Editing gelang es erstmals, CRISPR-Cas9 als molekulares Werkzeug in vitro einzusetzen. Dies ist ein besonders beeindruckendes Beispiel dafür, wie aus neugiergetriebener Grundlagenforschung in kurzer Zeit eine der bedeutendsten biotechnologischen Anwendungen des Jahrhunderts hervorgehen kann. Neben CRISPR-Cas9 waren allerdings seit einigen Jahren auch weitere programmierbare Genscheren bekannt, wie etwa TALENs sowie Zinkfingernukleasen, deren Anwendung allerdings kosten- und zeitintensiver ist.

Es ist eine der zentralen Aufgaben der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Politik und Öffentlichkeit zu gesellschaftlichen Herausforderungen, die durch wissenschaftliche Entwicklungen hervorgerufen werden, möglichst neutral und wissenschaftsbasiert zu beraten. Die Leopoldina beschäftigt sich daher auch seit längerem mit Fortschritten der Biotechnologie und veröffentlicht regelmäßig Stellungnahmen mit konkretem Bezug zum Thema. So haben die deutschen Wissenschaftsakademien unter Federführung der Leopoldina in ihrer Stellungnahme zu den neuen molekularen Züchtungsmethoden im März 2015 erstmals über die neuen Methoden des Genome Editing informiert und Empfehlungen ausgesprochen. Im September 2015 haben die Akademien dann zusammen mit der DFG in der Stellungnahme „Chancen und Grenzen des genome editing“ ausführlich über die aussichtsreichen Potentiale des Genome Editing, insbesondere erste Fortschritte bei der Anwendung an menschlichen Zellen, informiert.

Genom-editierte Agrarprodukte sind heute bereits bis zur Marktreife entwickelt worden. Im Ergebnis ist dabei häufig nicht mehr nachvollziehbar, ob die Veränderung in den neuen Sorten die Folge einer natürlichen Mutation, einer konventionellen Züchtungsmethode oder eines gezielten molekularbiologischen Eingriffs ist. So werden in den USA bereits Genom-editierte Champignons und Maispflanzen wie konventionell gezüchtete Sorten reguliert und angebaut. Für das deutsche und europäische Gentechnikrecht ist aber gerade die Unterscheidbarkeit von „natürlichen“ Veränderungen und solchen, die auf „nicht-natürlichem“ Wege erreicht werden können, ein zentrales Element. Es ist daher fraglich, ob der vorrangig an bestimmte Verfahren der genetischen Veränderung anknüpfende Regelungsansatz des deutschen und europäischen Gentechnikrechts überhaupt noch praktikabel und zweckmäßig ist. In vielerlei Hinsicht erscheint eine Bewertung und entsprechende Regelung der spezifischen Eigenschaften der Produkte einer molekularen Züchtung beziehungsweise der konkreten Inhaltstoffe von resultierenden Nahrungsmitteln weitaus sinnvoller.

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Die Wissenschaftsakademien haben sich im März 2015 auch zur neuen Opt-Out-Klausel in Richtlinie 2001/18/EG der Europäischen Union geäußert. Diese Richtlinie stellt es den Mitgliedstaaten seit April 2015 frei, nationale Anbauverbote oder -beschränkungen für bestimmte GVO zu erlassen, selbst wenn diese naturwissenschaftlich als unbedenklich eingestuft und in der EU zugelassen sind. In Deutschland werden von mehreren Seiten seit Jahren pauschale und bundesweite Anbauverbote für GVO gefordert. Im Oktober 2016 wurde nun von der Bundesregierung ein dementsprechender Gesetzentwurf zur Umsetzung der Opt-Out-Klausel vorgelegt, der die Zuständigkeit für derartige Anbauverbote auf die Bundesebene legt, wenn die Mehrheit der Bundesländer zugestimmt hat.

Die Wissenschaftsakademien weisen ausdrücklich darauf hin, dass sie durch pauschale, insbesondere naturwissenschaftlich unbegründete Anbauverbote in Deutschland die Forschungs- und Berufsfreiheit, den Schutz des Eigentums sowie die allgemeine Handlungsfreiheit und damit die Chancen der Erforschung, Weiterentwicklung und kommerziellen Nutzung der Grünen Gentechnik akut bedroht sehen. Es sollte in diesem Zusammenhang auch betont werden, dass der europäische Gesetzgeber vor Jahren unter anderem die Ausnahmeregelung getroffen hat, dass Organismen, deren Erbgut mithilfe radioaktiver Bestrahlung oder chemischer Substanzen verändert wird, nicht als gentechnisch verändert gelten. Bei diesen seit Jahrzehnten praktizierten, als konventionelle oder sogar natürliche Züchtung eingeordneten zeitaufwändigen Verfahren entstehen häufig viele Tausend über das gesamte Erbgut der Kulturpflanzen verteilte zufällige Mutationen, von denen in der Regel nur ein verschwindend geringer Anteil letztlich für die erwünschten Züchtungserfolge verantwortlich ist. Eine Vielzahl der heute allgemein akzeptierten Kulturpflanzen, wie etwa Gerste, Weizen oder auch Pflanzen wie der Grapefruit-Baum, wurde auf diese Weise gezüchtet, so dass Verbraucher tagtäglich umfassend erbgutverändertes Getreide, Obst und Gemüse konsumieren; Produkte also, die im Sinne des Gentechnikgesetzes jedoch nicht als gentechnisch verändert gelten.

Hier bieten die Methoden des Genome Editing weitaus kontrollierbarere und effizientere Möglichkeiten der Züchtung. Deren Forschungs- und Anwendungsperspektive ist allerdings in Anbetracht aktueller Entwicklungen in Deutschland stark in Frage gestellt ist. Ob damit auch die Chancen vertan werden, den zukünftigen verantwortungsvollen Umgang mit diesen Technologien in Deutschland maßgeblich mitzugestalten, sollte vorurteilsfrei und kritisch abgewogen werden.

Im Zusammenhang mit dem Genome Editing gibt es einen Aspekt, der gesondert betrachtet werden muss: sogenannte Gene Drives, die nun mithilfe des Genome Editing erstmals in den Bereich des Möglichen rücken. Hier wird Erbmaterial auf der Basis von CRISPR-Cas9 in das Genom von sich geschlechtlich vermehrenden Tieren oder Pflanzen eingefügt. Dieses Erbmaterial kann sich – zumindest unter Laborbedingungen – mit hoher Effizienz unter den Nachkommen einer bestimmten Art und damit in den folgenden Generationen über eine gesamte Population dieser Spezies verbreiten. Eine der praktischen Ideen hierbei ist, die Überträger von Infektionserregern, sogenannte Vektoren, gegen ebenjene Erreger resistent zu machen oder ganz auszuschalten.

Ein solcher Vektor könnte die Aedes-Mücke, auch Gelbfiebermücke genannt, sein, die Zika-Viren auf den Menschen überträgt. Die Viren werden unter anderem in Zusammenhang mit weltweit auftretenden Missbildungen bei Neugeborenen gebracht. Auch eine Anwendung des Gene Drive bei der Anopheles-Mücke, dem Überträger des Malaria-Erregers, wird intensiv erforscht. So könnte es zu einer Reduktion der momentan durch die Malaria jährlich verursachten 430.000 Todesfälle kommen. Allerdings zeigen neuere Ergebnisse auch, dass die genetische Vielfalt sowie Evolutionsprozesse in Wildtierpopulationen auch schnell zu einer Anreicherung von Individuen führen können, die resistent gegenüber Gene Drives sind.

Auch die ökologischen Auswirkungen der Freisetzung derart genetisch veränderter Insekten ist bisher kaum abschätzbar. Die für eine Freisetzung erforderliche biologische Sicherheitsforschung und Risikoabschätzung stellen eine große Herausforderung dar. Zudem ist auch die Entwicklung entsprechender Rückholmaßnahmen geboten. Hier sollte neben klassischen Risikobewertungen für die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen unbedingt auch der potentielle Nutzen solch innovativer Möglichkeiten der Infektionsprophylaxe bedacht werden. Die Leopoldina wird Fragen wie diese auf ihrer Jahresversammlung im September unter dem Titel: „Veränderbarkeit des Genoms – Herausforderungen für die Zukunft“ intensiv behandeln und diskutieren.

Wie bereits erwähnt, betrifft die Revolution durch das Genome Editing auch die Biomedizin, denn sie birgt ein großes wissenschaftliches Potential für die Erforschung von genetisch bedingten Erkrankungen und die Entwicklung ganz neuer Therapieansätze. Hinsichtlich der anspruchsvollen ethisch-juristischen und sozialpolitischen Abwägungen des Genome Editing beim Menschen möchte ich hiermit auf die ausführliche Stellungnahme „Genomchirurgie beim Menschen – zur verantwortlichen Bewertung einer neuen Technologie“ (2015) der interdisziplinären Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht der Berlin-Bran-­ denburgischen Akademie der Wissenschaften hinweisen.

Für die Behandlung von monogenen Erkrankungen, das heißt solchen, die auf einem Defekt in einem einzelnen Gen beruhen, werden durch die neuen Methoden große Fortschritte erwartet – so wie es einst im Zuge der ersten klinischen Versuche zur Gentherapie beim Menschen in den 1980er Jahren der Fall war. Damals verwendete man noch recht unspezifisch genverändernde Virusvektoren. Die großen, teils überzogenen Hoffnungen, die Wissenschaftler damals bei Patienten weckten, wurden leider bisher kaum erfüllt, und es zeigten sich unvorhergesehene Nebenwirkungen. Ein ähnliches Bild bietet bisher die Anwendung von Stammzellen in der regenerativen Therapie.

Man sollte daher mit Heilversprechen weiterhin zurückhaltend sein. Die Anwendung von CRISPR-Cas9 ist zwar einfach, zielgenau und vergleichsweise kostengünstig. Dennoch ist die Voraussetzung für sichere genchirurgische Eingriffe beim Menschen zunächst auch ein hinreichendes Verständnis von den Wechselbeziehungen in sehr komplexen Systemen. Dafür bedarf es zunächst noch weiterer sorgfältiger Grundlagenforschung und umfassender klinischer Studien.

Bei der somatischen Gentherapie mittels Genome Editing sind die Veränderungen wegen der Beschränkung auf Körperzellen in der Regel nicht erblich, und wir sind der therapeutischen Anwendung beim Menschen schon recht nahe. Beim Einsatz des Genome Editing direkt im Menschen besteht derzeit eine große Herausforderung allerdings noch darin, wie man das gesamte betroffene Körpergewebe, beispielsweise Nerven-, Muskelgewebe oder Tumore, effizient und hochspezifisch mit den Genscheren erreicht. Gleichzeitig will man aber auch die Veränderung von Keimbahnzellen (also Eizellen, Spermien und ihre direkten Vorläuferzellen) im Rahmen einer solchen Therapie vermeiden, da diese erblich wären und somit an folgende Generationen weitergegeben werden können.

Gute Ergebnisse gibt es bei der genchirurgischen Behandlung von Immunzellen in vitro. So laufen in den USA bereits fortgeschrittene klinische Studien zur Behandlung von HIV-Patienten, denen zuvor entnommene, Genom-editierte Immunzellen (T-Zellen) reimplantiert wurden. In China und in den USA haben kürzlich klinische Studien zur Behandlung unterschiedlicher Krebserkrankungen mittels CRISPR-Cas9 modifizierter Immunzellen begonnen.

Aktuell werden häufig ethische Aspekte der Keimbahntherapie bis hin zu dem in Medien oft angeführten „Designerbaby“ diskutiert. Das ist allerdings unrealistisch, da wir für solche generationsübergreifenden Eingriffe das komplexe Zusammenspiel unserer Gene untereinander und mit den einwirkenden Umweltfaktoren noch unzureichend verstehen. Jede gezielte Keimbahnveränderung mit Auswirkungen auf einen später geborenen Menschen sollte beim derzeitigen Stand der Forschung unterbleiben. Besondere Relevanz für die Forschung zur somatischen Gentherapie haben allerdings auch genetische Veränderungen an Keimbahnzellen und frühen Embryonen. Dies wird bereits in mehreren international angesehenen Forschungsinstitutionen, wie dem Karolinska-Institut in Schweden und dem Francis-Crick-Institut in London, praktiziert. Dabei können die Ursachen von Erbkrankheiten, die etwa zu Stoffwechselstörungen, Unfruchtbarkeit oder hohen Risiken für Fehlgeburten führen, mittels CRISPR-Cas an diesen Zellen weitaus besser erforscht werden als mit den konventionellen Methoden der klassischen Gentechnik.

Die Forschung an menschlichen Embryonen, selbst in sehr frühen Stadien wie der einzelligen Zygote, ist in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz von 1990 verboten. Das Gesetz deckt jedoch nicht alle Fragen ab, die die neuen Methoden des Genome Editing aufwerfen. So ist zum Beispiel fraglich, ob hinreichend sichere genetische Eingriffe an Embryonen, die ihrem Erhalt, also ihrer Gesundheit dienen, überhaupt verboten wären. In dem engen gesetzlichen Rahmen des Embryonenschutzgesetzes ist die klinische Entwicklung und Anwendung von Keimbahntherapien in Deutschland nicht möglich.

Eine Expertengruppe der Leopoldina hat im März 2017 in diesem Zusammenhang das Diskussionspapier „Ethische und rechtliche Beurteilung des Genome Editing in der Forschung an humanen Zellen“ veröffentlicht. Die Autorengruppe möchte mit der Veröffentlichung darauf hinweisen, dass ein kontinuierlicher, breiter öffentlicher Diskurs über das Genome Editing an humanen Zellen, wie er international bereits intensiv geführt wird, auch in Deutschland geboten ist.

Abschließend möchte ich mich im Lichte der „Revolution der Biotechnologie“ noch einmal explizit gegen eine pauschale Ablehnung und Anbauverbote für Genom-editierte Organismen, aber für Einzelfallbetrachtungen der spezifischen Eigenschaften dieser Organismen aussprechen. Deutschland und Europa tragen in einer globalisierten Welt mit knappen natürlichen Ressourcen und einer wachsenden Nachfrage eine internationale Verantwortung, die Produktivität der Landwirtschaft unter anderem durch nachhaltige neue Züchtungsmethoden weiter zu steigern. Gerade die Fortschritte beim Genome Editing können zukünftig auch eine gezielte Ausrichtung der Pflanzenzüchtung auf die ökologisch-orientierte, nachhaltige Landwirtschaft ermöglichen.

Auch das politische Signal, das eine wissenschaftlich unbegründete generelle Ablehnung von GVO und ein komplettes Anbauverbot in Deutschland an andere, etwa afrikanische Länder, vermittelt, in denen Produktionssteigerungen zur Bekämpfung von Hunger und Fehlernährung zwingend erforderlich sind, sollte nicht unterschätzt werden. Natürlich werden GV-Pflanzen, wie etwa der viel diskutierte Goldene Reis, bei solch komplexen globalen Problemen nur einer von vielen Lösungsansätzen sein, und es mag in der allgemeinen GVO-Debatte auch diverse bedeutsame Nebenschauplätze, wie den gesteigerten Einsatz von Herbiziden oder patentrechtliche Fragen, geben.

Neben diesen Aspekten, welche für die nachhaltige Entwicklung der Weltgemeinschaft von wesentlicher Bedeutung sind, werden uns selbstverständlich ebenfalls die biomedizinischen Facetten des Genome Editing intensiv beschäftigen. Auch hier sollte man sich unbedingt einen differenzierten Blick bezüglich der Chancen und Risiken dieser Technologie bewahren.



Zum Autor

Jörg Hacker ist Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaft in Halle (Saale).


Letzte Änderungen: 12.07.2017