Editorial

Buchbesprechung

Patrick Marcinek




Hanns-Rüdiger Graack:
Gentechnik – Wahn und Wirklichkeit.

Taschenbuch: 342 Seiten
Verlag: Pro Business; Auflage: 1 (21. Mai 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 386386896X
ISBN-13: 978-3863868963
Preis: 19,00 Euro (Softcover)

Wie MAN etwas gut nicht erklärt

Ein Sachbuch, nach dessen Lektüre man das Gefühl hat, man wisse weniger als zuvor.

Der Wolpertinger ist ein bayrisches Fabelwesen, das die Merkmale unterschiedlicher Tiere in sich vereint, so wie zum Beispiel einen Hasenkörper mit Entenflügeln und Hirschgeweih. Einzeln durchaus sinnvoll, ist die Kombination dieser Merkmale jedoch eher lächerlich. Womit wir beim Sachbuch Gentechnik: Wahn und Wirklichkeit von Hanns-Rüdiger Graack wären. Graack ist Diplom-Biochemiker, arbeitete knapp zehn Jahre bei einem Unternehmen in der proteinanalytischen Auftragsforschung, und ist Erst- beziehungsweise Koautor von 21 auf Pubmed geführten Veröffentlichungen. Diese beschäftigen sich vor allem mit den ribosomalen Proteinen von Hefe-Mitochondrien. Es haben sich schon weniger qualifizierte Leute zum Thema Gentechnik zu Wort gemeldet.


Ein sorgfältiges Lektorat hätte diesem Buch gut getan. Leider verzichtete Hanns-Rüdiger Graack darauf und veröffentlichte ein unausgegorenes Werk, das gut gemeint, aber miserabel ausgeführt ist.

Das Problem fängt jedoch schon beim Handwerklichen an. Selbst wenn man die zahlreichen Rechtschreibfehler außer Acht lässt, krankt der Inhalt an fortgeschrittener Wolpertingerisierung: Das Inhaltsverzeichnis ist nur eine Liste der Kapitelüberschriften, enthält jedoch keine Seitenangaben. Im Buchinneren folgen eben diese Kapitelüberschriften dann teilweise direkt aufeinander, ohne jeden Text dazwischen. Absätze bestehen teilweise nur aus einem Satz, der sich über zwei Zeilen erstreckt. Häufig sind Worte im Text durchgestrichen (Arier-Nachweise Genteste oder Die deutschen Medien berichten einzelne [...] Todesfälle, bei denen Menschen und kranke Vögel zu Versuchszwecken aus purer Not aus Gewohnheit und kulturellen Gründen in einem Raum zusammengelebt haben, bis erst die Vögel und dann die Menschen zusammenklappten.). Beim Leser soll diese unkonventionelle, an Blogs erinnernde Art der Textgestaltung wohl ein Schmunzeln auslösen; beim Rezensenten klappte dies jedoch nicht. Der war eher genervt.

Dem Autor besonders wichtige Begriffe werden entweder fett geschrieben oder unterstrichen; was jeweils verwendet wird, hat Graack offenbar per Münzwurf entschieden. Und mittendrin stößt der Leser, wenn er bis dahin noch nicht aufgegeben hat, auf eine sechsseitige Liste gebräuchlicher Pflanzennamen – ohne Vorwarnung, beziehungsweise Ahnung, was das soll (des Rätsels Lösung: Es handelt sich offenbar um eine Auflistung von Pflanzen, die bis 2014 weltweit gentechnischen Veränderungen unterworfen wurden).

Die beschriebene Kombination aus handwerklichen Fehlern und nicht nachvollziehbaren Stilelementen macht „Gentechnik: Wahn und Wirklichkeit“ also zu einer im Wortsinn anstrengenden Lektüre. Taugt das Buch denn wenigstens als informatives „Sachbuch“ – ein Prädikat, das Graack direkt auf das Titelblatt drucken ließ? Kurze Antwort: Nein.

Handwerkliche Fehler, strapaziöser Stil

Für den Laien ist das Buch nur schwer zu schlucken; Fachbegriffe wie RNA oder µl werden unzureichend oder gar nicht erklärt. Oder sie werden schlicht falsch verwendet. Graack schreibt zum Beispiel fast durchgängig von der Krankheit „AIDS“, wenn er eigentlich das verursachende Virus „HIV“ meint. So weist er darauf hin, dass es nichts brächte, Menschen „mit hunderten verschiedener AIDS-Varianten zu impfen“. Dies ist natürlich doppelter bis dreifacher Unsinn. Man impft nicht mit einer oder mehreren „AIDS-Varianten“ – AIDS ist bekanntlich das Syndrom – sondern mit einem oder mehreren Virus-Partikeln. Und natürlich auch nicht mit der pathogenen, sondern mit einer abgeschwächten, abgetöteten oder gar nur mehr in Bruckstücken vorhandenen Variante des Erregers – bis hin zur nackten Teil-DNA. Graack dürfte dies bekannt sein, der Zielgruppe seines Sachbuchs hingegen nicht – und genau dies ist das Problem. Immerhin schreibt er gelegentlich vom „AIDS-Virus“, was strenggenommen auch nicht ganz korrekt, aber immerhin weniger falsch ist.

Zum Thema Biotechbranche äußert sich Graack in Kapitel 9 überraschenderweise recht kompetent. Er gibt eine gute Zusammenfassung der Börsenblase der frühen Zweitausender Jahre und führt an deren Entstehung heran. Schade, dass auch dieser Lichtblick durch seine verkrampft-flapsige Schreibweise getrübt wird.

Jenseits des wissenschaftlichen Blickwinkels könnte man Gentechnik: Wahn und Wirklichkeit noch am ehesten als aus dem Ruder gelaufenen Facebook-Kommentar sehen. Graack ist mit allem und jedem unzufrieden: Politiker kochen ihr Süppchen, Unternehmen wollen Geld verdienen, Aktivisten sind scheinheilig und wollen anderen ihre Ideologie aufdrücken. Und Wissenschaftler sind ohnehin zu inkompetent, um etwas Gefährliches zu Stande zu bringen. Graack möchte, wohl stellvertretend für seine Leser, allein entscheiden, ob und wie viel Gentechnik er in seinem Leben haben will, und andere sollten sich da gefälligst heraushalten:

Ob ich [einen Vertrauensvorschuss] gewähre, ist [...] meine Sache und nicht die irgendwelcher Öko-Aktivisten oder Saatgut-Vorstände oder gar inkompetenter Politiker.

Feldzug gegen die Inkompetenz

Er scheint die Reglementierung der Gentechnik geradezu als persönlichen Affront aufzufassen, gegen den er in seinem Buch anschreibt. Zudem streut er das „Cui bono?“ so häufig ein, dass man annehmen könnte, er habe eine Quote zu erfüllen.

Die Liste der Schwächen von Gentechnik: Wahn und Wirklichkeit ließe sich verlängern, man kann es aber auch kurz machen: Ein Buch zur differenzierten Einordnung der Gentechnik im gesellschaftlichen Kontext ist eine gute Idee. Graack scheitert damit.




Letzte Änderungen: 09.12.2016