Editorial

Buchbesprechung

Florian Fisch




Adrian Heus (Text) & Siegfried Süßbier (Illustrationen):
Tricksen, Tränen, Tod. 20 illustrierte Wissenschaftsskandale.

Taschenbuch: 151 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2015 (8. Mai 2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3662452677
ISBN-13: 978-3662452677
Preis: 14,99 Euro (Taschenbuch)

Wissenschaftler sind auch nur Menschen!

Zwanzig bunt illustrierte Forscherkarrieren – bestimmt von Größenwahn, Grausamkeit und krankhaftem Ehrgeiz.

Das entsetzliche Leben des Bruce Reimer begann mit einer glühenden Drahtschlinge, die ihm den Penis wegbrannte – und endete 39 Jahre später auf einem Parkplatz, eigenhändig durch eine abgesägte Schrotflinte. Dazwischen war mehr Qual, als ein normaler Mensch aushalten kann. Denn Reimer diente einem ehrgeizigen Psychiater als menschliches Versuchsobjekt – um dessen abseitige These zu beweisen, die Erbanlagen wären für das Geschlecht eines Menschen irrelevant. Man könne also zum Beispiel, so die Schlussfolgerung, einen genetisch als Jungen geborenen Menschen problemlos zu einer Frau umerziehen.



Dass der als Kleinkind bei einer routinemäßigen Penisbeschneidung verunfallte Knabe nicht ahnte, was ihm widerfuhr – sei’s drum! Dass seine ungebildeten Eltern glaubten, ihrem verstümmelten Jungen mit der Geschlechtsneuzuweisung etwas Gutes zu tun – geschenkt! Und so erlebte der junge Bruce ein jahrelanges Martyrium – man entfernte ihm die noch funktionstüchtigen Hoden, bastelte den Hodensack zu Schamlippen um, verabreichte ihm jahrelang Mädchenspielzeug, weibliche Hormone und eine permanente Gehirnwäsche („Du bist ein Mädchen, Brenda!“) – und verschwieg dem seelische Qualen leidenden Heranwachsenden konsequent, dass er in Wahrheit weder Brenda hieß noch ein Mädchen war.

Erst als der pubertierende, mit seiner Identität nicht klarkommende 15-Jährige die verhassten Kontrollbesuche bei dem behandelnden Therapeuten verweigerte und mit Selbstmord drohte, konfrontierten die Eltern „Brenda“ mit der Wahrheit – und dieser unternahm fortan alles nur Mögliche, um seine aufgestülpte Zwangsidentität loszuwerden und endlich, wie von der Natur vorgesehen, als Mann zu leben. Operationen verhalfen ihm zu einem neuen Penis, er ehelichte eine Frau und versuchte fortan, das schreckliche, 13 Jahre dauernde Experiment zu vergessen. Letztlich erfolglos, wie wir heute aus seinen eigenen Schilderungen wissen. Das unglückliche Leben von Bruce/Brenda endete, wie eingangs erwähnt, vorzeitig und selbstmörderisch.

Einfach das Gegenteil behaupten!

Der Name des Psychiaters ist John Money – ein autoritärer Charakter, der Widerspruch nicht duldete, Gruppensex und „Fucking Games“ von Kindern propagierte, Lustmord als „abweichende Vorliebe“ respektierte und sich für inzestuöse Handlungen an Kindern aussprach. Sein grausames Experiment machte ihn zu einer bewunderten Legende – zumindest in jenen Kreisen, die von Empirie, Falsifizierbarkeit und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, eine Hypothese kritisch zu überprüfen, nichts halten. Money wurde nicht müde zu verkünden, wie eindeutig er an „Brenda“ bewiesen habe, dass Geschlechts­identität nur durch Erziehung konstruiert sei und jederzeit umgekehrt werden könne. Der erwachsene Bruce war vermutlich anderer Ansicht, aber den fragte keiner.

Speziell in den soziologisch dominierten Gender-Studies gilt Money nach wie vor als graue Eminenz der Geschlechterforschung. Dort weigert man sich bis heute – 18 Jahre, nachdem Bruce Reimers Schicksal durch eine schockierende Reportage bekannt wurde – zu akzeptieren, dass Moneys Theorien und angeblichen Erkenntnisse längst widerlegt sind. Die Deutsche Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung verlieh, man glaubt es nicht, dem Hochstapler, Faktenverdreher und Kinderquäler Money noch 2002 die Magnus-Hirschfeld-Medaille „für seine besonderen Verdienste um die Sexualwissenschaft“. Sein schwer depressiv gewordenes Versuchsobjekt Bruce/Brenda hatte da noch knapp zwei Jahre zu leben.

Bizarre Karrieren

In Tricksen, Tränen, Tod wird die Tragödie um Reimer und Money, neben 19 weiteren, auf rund zehn Seiten in Form einer Graphic Novel erzählt. Der Schweizer Molekularbiologe Adrian Heuss und der Berliner Illustrator Siegfried Süßbier haben für ihr Buch einige skurrile wissenschaftliche Skandale der letzten hundert Jahre in farbige Bildergeschichten übersetzt. Da gruselt es den Leser angesichts der Experimente des russischen Chirurgen Demikow, der einem Hund einen zweiten Kopf aufpflanzte (das entstandene Doppelwesen überlebte 29 Tage). Nicht minder drakonisch agierte Demikows Kollege White, der Affenkörpern fremde Köpfe aufsetzte. Beide wurden zu Legenden der Transplantationschirurgie. Der Immunologe William Summerlin, der seinen Labormäusen per Filzstift zur experimentell gewünschten Fellfarbe verhalf, schaffte es ebenfalls ins Panoptikum skurriler Wissenschaftler, wie auch der japanische Archäologe Fujimura, der über zwanzig Jahre hinweg seine Fundstücke im Voraus heimlich vergrub und so die Frühgeschichte seines Heimatlands sensationell umschrieb (zumindest bis man ihm auf die Schliche kam).

Die Auswahl der Fallbeispiele erscheint allerdings willkürlich. Neben „echten“ Skandalen um betrügerische, gewissenlose oder geldgierige Forscher enthält das Buch auch Vorkommnisse über Parawissenschaftler und deren üblichen Blödsinn – etwa über die Astrologin Elizabeth Teissier und die Rael-Sektenjünger. Auf diese Weise jedoch ziehen die Autoren keine Grenze zu purem Humbug – und bringen Esoterik auf Augenhöhe mit seriöser Wissenschaft.




Letzte Änderungen: 12.10.2016