Editorial

Filmbesprechung

Kai Krämer




The Revenant – Der Rückkehrer.
USA, 2015/16.
Von Alejandro Iñárritu (Buch/Regie) und Mark Smith (Buch).
Mit Leonardo DiCaprio, Tom Hardy & Domhnall Gleeson.
156 Minuten,
FSK: ab 16 Jahre.

Eisige Kälte

Trotz einer müden Story verankert sich der Kinobesuch im Gedächtnis. Kälte, Hunger und übermenschliche Leistungen des Filmhelden beeindrucken. Wie plausibel sind die dargestellten Szenen aus biochemisch-physiologischer Sicht?

Wohlige Wärme war es nicht, die im mäßig gefüllten Kinosaal herrschte. The Revenant – Der Rückkehrer des mexikanischen Regisseurs Alejandro González Iñárritu begeisterte mit gewaltigen Naturbildern sowie der einprägsamen Vorstellung von immerwährender Kälte, Hunger und Feuchtigkeit. Um diesen Effekt zu verstärken, hatte der Kinobetreiber scheinbar die Temperatur herunter gedreht, so dass die im Film vermittelte Stimmung sehr gut im Kinosessel ankam. Das Verlangen nach einer heißen Suppe war groß, als der Filmheld hastig das rohe Fleisch eines von Wölfen erlegten Büffels verschlang.

Die Story von The Revenant ist in zwei Sätzen erzählt, nicht vergleichbar mit den komplexen Meisterwerken aus Iñárritus früheren Jahren. Wer vielschichtige Handlungsstränge und unerwartete Zusammenhänge mag, sollte sich besser das Spielfilmdebüt des Mexikaners, Amores Perros, anschauen. Für The Revenant wurde dafür mit Leonardo DiCaprio ein Weltstar verpflichtet, der als Hugh Glass eine Gruppe Pelzjäger im frühen 19. Jahrhundert durch Nordamerika führt. Die Dreharbeiten in Eis und Schnee brachten DiCaprio laut eigener Aussage „unzählige Male“ an sein körperliches und seelisches Limit. Andere Teammitglieder sollen die Arbeit wegen Überanstrengung gar abgebrochen haben.


Nicht ohne meine ökologisch korrekt gegerbte Bärenfellkutte: Leonardo DiCaprio sorgt für Gerechtigkeit und kalte Zehen. Foto: 20th Century Fox

Im Film beginnt die ganze Misere, als eine Grizzlybärin, die ihre Jungen beschützen möchte, dem erfahrenen Trapper Glass die Tour vermasselt. Ein Gewehrschuss macht die Bärin noch aggressiver, sie schleudert Glass wie eine Puppe herum; schließlich schafft er es aber, das riesige Tier mit einem Messer zu töten. Seine Kumpane finden ihn schwer verletzt unter der toten Bärin begraben. In der nächsten Szene lohnt ein genauer Blick, denn hier kann man im Hintergrund den großen, hellrosafarbenen Bärenkörper erkennen, dem das Fell über die Ohren gezogen wurde. So etwas sieht man nicht alle Tage. Das Fell wird fortan zum schützenden Begleiter des Verletzten.

Fettreiches Hirngewebe ins Fell gerieben

Es ist anzunehmen, dass die Männer das Bärenfell mittels einer kombinierten Fett- und Rauchgerbung vor Fäulnis geschützt haben. Um aus dem Fell einen kuscheligen Umhang zu machen, musste es zunächst mit Fett vorbehandelt werden, sonst wäre es bretthart geworden. Noch heute ist es bei Survival-Experten üblich, hierfür das fettreiche Hirngewebe des toten Tieres gewissenhaft in die Haut einzumassieren. Das Fett verdrängt Wasser, verhindert das Austrocknen und macht das Leder weich. Dauerhafte Haltbarkeit wird durch die anschließende Rauchgerbung erreicht: Das im Rauch enthaltene Formaldehyd vernetzt die Kollagenfasern. Möglicherweise waren es auch Formaldehyd und andere Gerbstoffe im Bärenpelz, die verhinderten, dass sich die Wunden des verletzten Trappers entzündeten und er bei lebendigem Leib verfaulte.

Seiner Rückkehr, die dem Film den Titel bescherte, ging voraus, dass Glass lebendig begraben wurde. Der Übeltäter ist jener üble Geselle (gespielt von Tom Hardy), der kurz zuvor auch noch den Sohn des Helden abmurkste. Glass mobilisiert daraufhin unmenschliche Kräfte, buddelt sich frei und beginnt durch die Landschaft kriechend seinen Rachefeldzug. Dabei lässt er sich auf der Flucht vor Indianern in einem eisigen Fluss treiben.

Irgendwie ist es ihm aber möglich, einer Unterkühlung zu entgehen und sogar pitschnass die Nacht unter freiem Winterhimmel zu überstehen. Wie geht das?

Das kleine Feuer nützte sicher wenig. Vielmehr produzierte Glass, vermutlich durch unwillkürliches Kältezittern, Wärme. Der Hypothalamus im Zwischenhirn gab dabei als Regelzentrum der Körpertemperatur den Takt vor: Wenn beim unterkühlten Trapper die Thermorezeptoren Alarm schlagen, dann erregt der Hypothalamus das sympathische Nervensystem, was zu Muskelzittern und Gefäßkontraktion führt. Außerdem wird in der Schilddrüse Thyroxin ausgeschüttet, wodurch Grundumsatz und Herzfrequenz angekurbelt werden. Geschlafen hat Glass in diesem Erregungszustand sicher nicht, und so manchen Zeh hat er sich wohl trotzdem abgefroren. So wie 157 Jahre später Reinhold Messner am Nanga Parbat. Um sich in der unwirtlichen Natur endlich einmal wieder richtig aufzuwärmen, kroch Glass zudem nackt in den ausgenommenen Körper seines toten, aber noch warmen Pferdes.

Aus dem bei öffentlichen Auftritten brav und geschniegelt aussehenden DiCaprio wird in The Revenant ein nach Blutrache gierendes, unaufhaltsames Tier von einem Mann. Die Andeutung eines tieferen Sinns erhält der Film erst im Finale, als Glass seinen Widersacher töten möchte, dieser aber entgegnet, dass ihm das kleine bisschen Rache seinen Sohn auch nicht zurückbringt.

Dem vom bloßen Zuschauen unterkühl­ten Kinobesucher wurde im Anschluss mit einer heißen Erbsensuppe wieder Leben eingehaucht. Weibliche Mitzuschauer verspürten die Kälte des Filmes weniger stark, kritisierten aber, es sei ein reiner Männerfilm ohne die kleinsten Anflüge von Romantik oder Sentimentalität. Vielleicht war er deshalb so beeindruckend.




Letzte Änderungen: 02.03.2016