Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle




Helmut König & Heinz Decker (Hrg.):
Kulturgut Rebe und Wein.

Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2012 (7. Dezember 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3827428866
ISBN-13: 978-3827428868
Preis: 24,99 EUR

Kulturgut Rebe und Wein - Weinland Pfalz

Die Wissenschaft von Weinanbau und Rebsaftgenuss umgibt etwas Geheimnisvolles. Höchste Zeit, dass ein Fachbuch harte Fakten liefert!

Der Konsum von Wein scheint stark mit ökonomischem Wohlstand zu korrelieren. So etwa wird in den wirtschaftlich schwachen Weltregionen Afrika, Asien und Mittelamerika so gut wie kein Wein getrunken, in der prosperierenden Europäischen Union hingegen eine Unmenge. Die fleißigsten Weintrinker finden sich in den europäischen Mittelmeerländern und in der Schweiz, wo sie im Schnitt die durchaus beeindruckende Menge von über 30 Litern Wein pro Jahr konsumieren.


Foto: Deutsches Weininstitut

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Doch auch in Bier- und Brezelland finden sich Zentren des intensiven Weingenusses. Etwa im badischen Freiburg, und zwar vor dem EDEKA-„Markt am Gleis“ in der Bahnhofsunterführung, sowie in abgelegenen Winkeln des ebenfalls bahnhofsnahen Colombi­parks. Der Laborjournal-Redakteur wohnt ganz in der Nähe und weiß daher, dass der quantitative Weinkonsum an diesen Orten die Werte in Italien oder Spanien locker übertrifft. Qualitativ allerdings haben die europäischen Nachbarn die Nase vorne.

Um herauszufinden, warum die Menschheit seit Jahrtausenden so ein Gewese um Vitis vinifera und deren Produkte macht, scheint das 2013 erschienene Spektrum-Springer-Fachbuch Kulturgut Rebe und Wein hervorragend geeignet. Dort findet sich zwar auch keine Antwort auf die Frage, weshalb man 28,90 Euro für einen läppischen dreiviertel Liter Brunello di Montalcino Il Poggione abdrücken soll, wo doch das verbraucherfreundliche 1,5-Liter-Tetrapack-Gebinde im Freiburger Bahnhofsmarkt nur preiswerte 59 Cent kostet. Dafür aber erfährt man laut Verlagswerbung „neueste Forschungsergebnisse, die das Thema in einer bisher noch nicht dagewesenen Breite beleuchten“. Bei Wein nämlich handele es sich „um ein Kulturgut, das im Abendland seit mehr als 2000 Jahren“ gepflegt werde und sich im Nahen und Fernen Osten sogar mehr als 8000 Jahre zurückverfolgen lasse. Wein habe „stets unterschiedliche Funktionen in der Gesellschaft, Religion, Medizin sowie Literatur und Musik erfüllt“ – und dennoch seien „die biochemischen und mikrobiellen Hintergründe [...] erst vor etwa 150 Jahren durch Louis Pasteur bekannt geworden“.

Mainz, Mainz, immer nur Mainz...

Klingt interessant. Und da das Herz des deutschen Weinanbaus in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt Mainz liegt (dort befinden sich nicht nur Weltklasse-Winzer, sondern auch das Deutsche Weininstitut, die Deutsche Weinakademie und das Institut für Mikro­biologie und Weinforschung der Johannes-Gutenberg-Universität), lag es nahe, die beiden Mainzer Professoren Helmut König und Heinz Decker mit der Herausgeberschaft zu beauftragen.

Dass das resultierende Werk jedoch fast ausschließlich Texte von Mainzern enthält, wirkt provinziell. Auch die sehr willkürlich wirkende Themenwahl verwundert: Sind geschichtliche und biologische Kapitel, etwa über die mutmaßliche Herkunft des Weinbaus aus Georgien, das Genom der Rebe sowie den Einfluss klimatologischer Faktoren absolut berechtigt und auch einigermaßen interessant zu lesen, so fragt man sich schon, was ein abstruses Kapitel wie „Weinbaugebiet Rheinhessen“ in diesem Buch zu suchen hat, das sich liest wie ein Elaborat des Marketingbeauftragten des örtlichen Winzervereins.

Gänzlich in tiefe Ratlosigkeit stürzt den Leser schließlich Kapitel 10, in dem ein dem Rezensenten unbekannter Speisekammerphilosoph namens Reinhard Löwenstein auf dreieinhalb Seiten zusammenhanglose Wörter und Sätze aneinander reiht, die absolut keinen Sinn ergeben.

Die Kapitel zu Önologie, Sensorik und Gesundheit sind dann wieder verständlicher und auch interessanter, ehe das Buch mit „Marketing für deutsche Weine“ und „Netzwerk Great Wine Capitals“ erneut in dröge und langweilige Tiefen der Lebenszeitverschwendung abdriftet (wen bitte interessieren die Vermarktungsprobleme der deutschen Weinwirtschaft, die Ehrenurkunden von Winzerbetrieben oder die Image­arbeit des Deutschen Weininstituts!?). Haben die Werbestrategen dafür bezahlt, mit ihrem überflüssigem Gewäsch in diesem Buch auftauchen zu dürfen?

Als Fazit bleibt festzuhalten: Das Buch ist ein wildes Sammelsurium passender, aber auch völlig unpassender Beiträge zum Thema Wein. Es wirkt wie ein von Marketinggesülze durchsetzter Kongressband. Immer wieder tauchen Orte und Begriffe auf, die kein Mensch kennt und man erst nachschlagen müsste (aber wo? – ein Register ist ja nicht vorhanden!). Die Texte sind gelegentlich spannend, meist aber unnötig kompliziert geschrieben. Schade – man hätte so viel mehr aus dem interessanten Thema machen können!




Letzte Änderungen: 07.04.2014