Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle




Helga Heilmann (Fotos) und Rebecca Basile (Texte):
Honigbienen. Immerwährender Wandkalender.

Kalender: 15 Seiten Verlag: BEE Photos of Science & Art (16. Oktober 2013) Sprache: Deutsch ISBN-10: 3000431098 ISBN-13: 978-3000431098 Preis: 25,95 EUR

Maja im Großformat

Eine Würzburger Bienenforscherin und Amateurfotografin hat in ihrer Freizeit einen famosen Wandkalender fabriziert.

Neulich, im Niemandsland kurz vor der tschechischen Grenze: Ein orientierungsloser Wissenschaftsredakteur auf Verwandtenbesuch irrt über abseitige Überlandstraßen und frisch gepflanzte Kreisverkehre. Die 93-jährige Großmutter wartet, doch weit und breit keine Menschenseele, die man nach dem Weg fragen könnte. Die digitale GPS-Krücke verweigert stur den Kontakt zum Satelliten, und gedruckte Straßenkarten sind heutzutage ja nicht mehr an Bord. Homo sapiens, Großhirnwunder und Krönung der Evolution, ist mitsamt seinem neumodischen Technikkram verloren in der ostbayerischen Agrarwüste.


Nahrungsweitergabe (Trophallaxis) bei Honigbienen. Foto: Helga Heilmann

Schon eine einzige von Helga Heilmanns Honigbienen könnte helfen. Denn die neunzig Milligramm leichten und 11 bis 13 Millimeter kleinen Insekten sind wahre Orientierungskünstler: Mit stecknadelkopfgroßer CPU navigieren sie zielsicher zum angepeilten Bestimmungsort, mag dieser auch bis zu zehn Kilometer entfernt sein. Auf menschliche Körper­dimensionen umgerechnet heisst das: Der Redakteur müsste den kürzesten Rückweg von einem 1500 Kilometer entfernten Urlaubsort finden – in fremdem Gelände, alleine ohne Navigationssystem, Landkarte und Wegweiser.

Die letztlich dann doch erfolgreich beendete Irrfahrt zu Oma und Tortenbuffet war dagegen geradezu ein Klacks.

Nicht nur Orientierungskünstler

Die 960.000 Nervenzellen von Apis mellifera bewerkstelligen aber nicht nur die perfekte Orientierung in fremdem Gelände. Bienen besitzen auch olfaktorische Spezialkenntnisse; sie können so gut zählen wie Singvögel und Waschbären, betätigen sich im Stock unter anderem als Klimaanlage, Kindermädchen, Heizkraftwerk und Speisekammer – und sie sind Meister der Brutpflege, Hygiene und Bakterienbekämpfung.

Auch volkswirtschaftlich gesehen sind die winzigen Hautflügler wahre Giganten: Bienen sind – direkt oder indirekt – für ein Drittel der weltweiten Nahrungsmittelproduktion verantwortlich und leisten so jährlich eine Wertschöpfung von 135 Milliarden Euro. Ein Bienenvolk vermag täglich mehrere Millionen Blüten zu bestäuben; als komplexer Superorganismus („Bien“) ähnelt es in seinen Entscheidungsprozessen dem menschlichen Gehirn. Künftig soll die Honigbiene gar als Modellorganismus in der Forschung etabliert werden, zur Entwicklung und Prüfung neuer antiviraler Wirkstoffe und als Alternative zu Ratten und Mäusen.


Helga Heilmann. Foto: privat

Trotz der enormen Bedeutung der Honigbiene führt die Grundlagenforschung an Apis mellifera ein stiefmütterlich behandeltes, unterfinanziertes Nischendasein, klagt der Würzburger Bienenexperte Jürgen Tautz. Forschungsgelder seien nur schwer und in ungenügendem Ausmaß zu bekommen – trotz der enormen Bedeutung des Insekts für den Menschen. Tautz’ Mitarbeiterin Helga Heilmann, die seit 1975 an der Julius-Maximilians-Universität beschäftigt ist und deren Fotos bereits im Standardwerk Phänomen Honigbiene (Spektrum Springer, 2007) zu bewundern sind, hat sich in den letzten Jahren zu einer profunden Tierfotografin entwickelt. Seit einigen Jahren ist sie nebenher freiberuflich tätig und hat ihre Bilder seither in diversen wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Buchprojekten, Informationsbroschüren, Fachzeitschriften und Multimediaproduktionen untergebracht.

Im unlängst erschienenen Wandkalender Honigbienen hat Heilmann die vielfältigen Erscheinungsweisen dieses faszinierenden Insekts auf dreizehn großformatigen Bildern der Größe 54 x 48 Zentimeter abgebildet. Die großzügigen Infotexte zu den einzelnen Fotos stammen von der Biologin Rebecca Basile, die ebenfalls lange Jahre am Würzburger Bienenzentrum forschte und sich neuerdings der Bildungsarbeit an Jugendlichen widmet.

Momentaufnahmen des Bienenlebens

Seit 65 Jahren Imker und noch längst nicht im Ruhestand: Johann L. weiß alles über Bienenhonig. wk

Heilmann hat, zumeist mit dem Makroobjektiv, Augenblicke aus dem Leben der Bienen abgelichtet: Eine Königin wird da von ihrem „Hofstaat“ mit eiweißreicher Nahrung versorgt, während sie ihre Tages­ration von bis zu 2.000 Eiern produziert; eine Wächterin ist in einem tödlichen Ringkampf dabei, einer feindlich gesinnten Wespe den finalen Todesstich in die Taille zu verpassen (während die offenbar ins Hintertreffen geratene Wespe dasselbe mit ihrer Gegnerin versucht). Wir erfahren Interessantes über die „Winterbienen“ und ihren jahreszeitbedingt abweichenden Hormonhaushalt (Winterbienen werden nicht 25 bis 35 Tage alt wie ihre im Sommer lebenden Kolleginnen, sondern bis zu acht Monate und haben die Aufgabe, im Stock eine Kerntemperatur von 30 Grad Celsius zum Überleben ihrer Gemeinschaft zu erzeugen). Wir beobachten die „Trophallaxis“, den kommunikativ bedeutsamen Austausch von Nektar und Zuckersaft zwischen den Bienen, aus nächster Nähe; diese Nahrungsweitergabe macht das komplexe Zusammenleben der überaus sozialen Insekten (und damit deren wirtschaftliche Nutzung durch den Menschen) erst möglich.

Heilmann hat einen geschmackvollen Wandkalender für Natur- und Bienenliebhaber geschaffen, dessen gestochen scharfe Bilder locker mit denen hauptberuflicher Naturfotografen mithalten können. Letztere haben jedoch weit weniger Ahnung von den biologischen Hintergründen als das fachlich kompetente Autorenteam Heilmann/Basile.

Der Rezensent wird sein Gratisexemplar schweren Herzens dem links unten abgebildeten, knapp 80-jährigen Herrn zum Geschenk machen. Dieser, wohnhaft in der ostbayerischen Gemeinde Tiefenbach in Nachbarschaft zur eingangs erwähnten Großmutter, ist seit 65 Jahren Imker und beliefert den Rezensenten seit beinahe zwei Jahrzehnten mit Honig höchster Güte.




Letzte Änderungen: 09.11.2013