Editorial

Buchbesprechung

Winfried Köppelle



STERNZEIT 2013: Die Zeitreise der modernen Astronomie - Kalender

Spiralbindung: 14 Seiten
Verlag: PALAZZI VERLAG GmbH (1. Juli 2012)
Sprache: Deutsch, Englisch
ISBN-10: 3942231239
ISBN-13: 978-3942231237
Preis: 40,95 EUR





Kosmos 2013

Kalender: 14 Seiten
Verlag: Heye (30. April 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3840115418
ISBN-13: 978-3840115417
Preis: 49,00 EUR





STARKE TYPEN 2013: Wild Life Photo - Kalender

Spiralbindung: 14 Seiten
Verlag: PALAZZI VERLAG GmbH (1. Juli 2012)
Sprache: Englisch, Deutsch, Französisch
ISBN-10: 394223114X
ISBN-13: 978-3942231145
Preis: 34,95 EUR





Welt in Zahlen 2013: Wissenskalender. Spannende Statistiken für jeden Tag

Kalender: 160 Seiten
Verlag: Harenberg (18. Juni 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3840002338
ISBN-13: 978-3840002335
Preis: 18,99 EUR





Cédric Pollet: Die Wunderwelt der Bäume 2013

Kalender: 14 Seiten
Verlag: Weingarten (30. April 2012)
Sprache: Deutsch, Englisch, Französisch
ISBN-10: 3840056667
ISBN-13: 978-3840056666
Preis: 29,95 EUR



Unendliche Weiten

Nachfolgend ein paar Vorschläge, was man sich als Naturwissenschaftler 2013 an die Wand hängen oder auf den Tisch stellen kann.

Überraschend wenige Biologen haben Verständnis für ihresgleichen, sobald diese sich mit möglichem Leben außerhalb unserer unbedeutenden Erdkugel beschäftigen. Dabei sind die gern als UFO-Spinner herab­gewürdigten Kollegen nicht verrückter als diejenigen, die in der Tiefsee, der Wüste oder der Antarktis nach Leben suchen. Überhaupt: So manch geachtete Größe der Biologenzunft beschäftigte sich eingehend mit der Möglichkeit außerirdischen Lebens. Etwa der vor vier Jahren verstorbene Joshua Lederberg, der nicht nur für seine Erforschung genetischer Rekombinationsmechanismen den Nobelpreis erhielt (übrigens mit erst 33 Jahren!), sondern auch den Begriff Exobiologie erfand.

Lederberg thematisierte schon 1958 in einem Science-Artikel mit dem vielsagenden Titel „Moondust“ das künftige Problem, Raummissionen könnten biologische Kontaminationen ins All tragen und so die Suche nach fremden Lebensformen behindern oder gar unmöglich machen: „Unless specific precautions are taken, such space craft are likely to carry terrestrial organisms to the moon or other targets.“ (Science 127, 3313: 1473-1475).

Bereits ein halbes Jahrhundert früher hatte sich der schwedische Chemie-Nobel­preisträger Svante Arrhenius ausführlich mit der Möglichkeit auseinandergesetzt, dass lebensfähige Sporen einst von anderen Planeten durch Meteoriten auf die Erde gelangt sein könnten (die sogenannte Panspermie-Hypothese). Dass man ihm zu Ehren posthum einen Mond- und einen Marskrater sowie einen Asteroiden nach ihm benannte, hätte den leidenschaftlichen Exobiologen aus Stockholm bestimmt gefreut – noch mehr allerdings, dass so prominente nachgeborene Kollegen wie Francis Crick und Leslie Orgel ebenfalls Anhänger der (gerichteten) Panspermie waren. Ebenfalls der Spinnerei unverdächtig ist der belgische Zellbiologe und Entdecker der Lysosomen und Peroxisomen, Christian de Duve, der Leben sogar als „kosmische Zwangsläufigkeit“ bezeichnet.

Objektfreie Wissenschaft?

Dennoch lästern Spötter, die Exobiologie sei eine Wissenschaft, „die erst noch zeigen muss, dass ihr Forschungsobjekt überhaupt existiert“.

Schlimm? Als Exobiologe sollte man sich nicht grämen, sondern eher geehrt fühlen – immerhin galt dies für beinahe jede neue Forschungsrichtung – angefangen mit Aristarch von Samos, den man für verrückt erklärte, als er vor 2.300 Jahren behauptete, die Erde drehe sich um die Sonne, und längst nicht beendet mit dem Freiburger Evolutionstheoretiker August Weismann, den die Kollegen 1885 auslachten, als er vorhersagte, dass die Vererbung von Eigenschaften durch lernunfähige Keimzellen vonstatten ginge.

Extraterrestrische Keimzellen sind auf dem Wandkalender Sternzeit 2013 nicht auszumachen. Dafür aber zwölf atemberaubende Großansichten des Weltalls (plus zwölf Postkarten zum Abtrennen), geknipst von den bedeutendsten Teleskopen weltweit. Der im Februar 2010 gestartete, geosynchrone Sonnenerforschungssatellit SDO etwa hat einen koronalen Massenauswurf abgelichtet – in sattem Gelborange auf 70 mal 50 Zentimetern zu bestaunen auf dem Monatsblatt Juni. Auf der nächsten Kalenderseite ist vor purpur-bläulich leuchtendem Gas der Pandora-Galaxienhaufen abgebildet, der Billionen von Sternen sowie eine Unmenge dunkler Materie enthalten soll. Und auf dem Augustblatt darf der Betrachter unsere heimische Milchstraße mit ihren rund 200 Milliarden Sternen von der Seite bewundern, als ein sternenübersätes, aus aus 24 Einzelaufnahmen mehrerer Observatorien zusammengesetztes Mosaik (quasi eine Mini-Version der oben abgebildeten, brandneuen Gigapixel-Aufnahme). Das Sonnensystem oder gar unsere Erde sind nicht zu erkennen. Viel zu klein, viel zu unbedeutend.

Ebenfalls das Weltall in seiner ganzen Pracht zeigt Kosmos 2013 aus der Edition Humboldt des Heye-Verlags. Auf 78 x 58 Zentimetern entfalte sich „die volle Schönheit des Sternenhimmels“, preist der Verlag sein großformatiges Werk an. Jeden Monat werde man aufs neue „staunen über die faszinierenden Facetten unseres Planetensystems“, über all die „Spiralgalaxien, Meteorströme, natürliche Satelliten und Zwergplaneten, die Lichtjahre von uns entfernt durch unser Sonnensystem kreisen“.

Nun ja, staunenswert sind die abgedruckten Fotos in der Tat. Erstens staunte der Rezensent darüber, dass Heye den kitschig-computer­animierten Photoshop-Bearbeitungen mehrerer Bildagenturen den Vorzug gab, obwohl bei NASA und ESA zigtausende viel beeindruckendere Weltraumfotos zu haben wären. Und zweitens kann keine Rede davon sein, dass „Spiralgalaxien durch unser Sonnensystem kreisen“, und das auch noch „Lichtjahre entfernt“. Der zuständige Textredakteur bei Heye scheint wirklich ein starkes Kraut geraucht zu haben, ehe er einen solch astronomisch unsinnigen Stiefel zusammendichtete.

Vielzeller ganz nah

Lebendige Vielzeller bekommt man als moderner Laborbiologe ja eher selten zu Gesicht – die Kollegen, den Pizzaboten und die Hauskatze mal ausgenommen. Stattdessen beschäftigt man sich tagaus, tagein mit Plastik-Utensilien und Gerätschaften aus Edelstahl und Glas. Die Wissenschaft vom Leben? Schon, aber wohl eher im abstrakten Sinn. Ein Grund mehr, sich den Palazzi-Wandkalender Star­ke Typen 2013 über die Ultrazentrifuge zu pinnen. Die Motive – der sich im Schnee wälzende Eisbär, die über die Savanne wackelnden Kehrseiten einer Zebrafamilie, der mit baumelnden Armen abhängende Kapuzineraffe und so weiter – sind zwar etwas ausgelutscht, aber immer wieder hübsch anzusehen. Und wenn für ein paar Augenblicke doch so etwas wie Urlaubsstimmung aufkommt, Freitag abends um halb sieben beim Warten auf die richtige Zellzahl im Hefekolben, dann hat sich die Anschaffung des Kalenders bereits gelohnt.

Milchmädchenstatistiker am Werk

Liebhaber der angewandten Milchmädchenstatistik kommen mit dem Harenberg-Aufstellkalender Unsere Welt in Zahlen auf ihre Kosten. Täglich liefert dieser ein neues Häppchen zur individuellen Scheinbildung, etwa wie viele Kilogramm Kreide nötig sind, um ein Fußballfeld zu markieren (fünfundzwanzig) und wie viele Deutsche an Wunder glauben (29 Prozent der Bevölkerung laut Allensbach). Man erfährt, dass 73 Prozent der Beamten ihresgleichen für unbestechlich halten (Quelle: Deutscher Beamtenbund); dass sich das Durchschnittsalter der weiblichen Hochschulabsolventen in den letzten zehn Jahren von 27,8 auf 26,8 Jahre verringert hat (Quelle: Statistisches Bundesamt); und dass die Pro-Kopf-Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland seit 2000 um satte 48 Prozent gestiegen sind. Sowie dass das Durchschnittsalter der TV-Gucker bei der „Sendung mit der Maus“ laut Media-Control immerhin 48 Jahre beträgt und bei den „Heute“-Nachrichten sogar 65.

Interessant ist auch, dass die (prozentual) meisten weiblichen Unternehmensgründer in Australien und Island sitzen, während die deutschen Damen ihren Hintern eher selten hoch bekommen. Ebenfalls aufschlussreich ist die Tatsache, dass im Bundestag 24 Prozent der FDP-Abgeordneten laut FAZ promoviert sind, hingegen nur 10 Prozent bei den Grünen (leider enthält der Kalender keine nach Parteien aufgeschlüsselte Zahlen zu aktuellen Promotions-Aberkennungs-Verfahren).

Die Mehrheit unserer Leser dürfte bestimmt die Nachricht erfreuen, dass sie zu einer hochexklusiven Elite gehören: Nur sieben Prozent der Weltbevölkerung haben laut einer Studie der Harvard University einen akademischen Abschluss; und auch das Leseverhalten des Mainstream-Deutschen spricht eine klare Sprache: Die drei hierzulande verbreitetsten Zeitschriften sind laut Zeitschriftenverlegerverband die ADAC Motorwelt (Auflage: 13,6 Millionen), die Apotheken-Umschau (9,9 Mio.) sowie das TV-Blättchen rtv (8,9 Mio.). Da forscht es sich doch gleich viel beschwingter, wenn man dazu weiß, dass Laborjournal nicht von Otto Normalverbraucher, sondern von einer exklusiven Leserschaft konsumiert wird (Auflage: 0,03 Mio.; das steht allerdings nicht im Harenberg-Kalender!).

Das Meiste von dem, was uns dieser famose Tischschmuck weismachen möchte, fällt natürlich unter die Kategorie Scheinwissen. Wie soll man es zum Beispiel verstehen, dass laut einem Marktforschungsinstitut „49 Prozent der deutschen Männer eher ihrem Verstand vertrauen“ und nur 10 Prozent ihrem Gefühl? Wobei denn – beim Autofahren, beim Ringetausch oder beim Nudelkauf? Wie wurde das gemessen, wie differenziert und vor allem: wie verifiziert man eine solch enorm wichtige Erkenntnis?

Für den Chef-Schreibtisch

Weniger Trivialitäten, dafür mehr dezente Sachlichkeit erhält der Käufer des in Leinen gebundenen, mit Einmerkbändchen sowie exquisitem Silberschnitt versehenen Edition-Humboldt-Kalenderbuches 2013. Dieser wertig daherkommende Wochenkalender enthält 52 Doppelseiten zum Eintragen von Terminen sowie allmonatlich eine herrliche doppelseitige Farbfotografie eines Nationalparks oder einer ähnlichen naturgeschützten Traumgegend (ein langzeitbelichteter Wasserfall in der idyllisch-wilden Felsenschlucht des Columbia-Rivers in Oregon etwa). Als Anhang gibt’s Taschenkalender-typische Gimmicks wie ein Verzeichnis der 60 größten deutschen Städte, eine Europakarte mit den EU-Mitgliedsländern, willkürlich ausgewählte geografische Angaben wie Äquatorumfang und Tropo­sphärenhöhe, eine Weltzeitzonen-Karte, die wichtigsten Eckdaten der Menschheitsgeschichte zwischen Jungsteinzeit und Angela Merkels Kanzlerwahl sowie eine internationale Schuhgrößen-Tabelle und Erste-Hilfe-Regeln. Der Kalender eignet sich hervorragend als feudales Weihnachtsgeschenk für den kultivierten Professoren- und Chefarzt-Schreibtisch.

Groß- und hochformatiger ist der 33 mal 67-Zentimeter messende Wandkalender Die Wunderwelt der Bäume 2013 aus dem Weingarten-Verlag mit Fotografien des französischen Landschaftsarchitekten Cédric Pollet. Allerdings ist der Titel irreführend; korrekter wäre vielmehr „Die Wunderwelt der Borken“. Denn Pollet ist den Bäumen mit seiner Kamera sehr nahe auf den Stamm gerückt: Zwölfmal dürfen wir das tertiäre Abschlussgewebe (im allgemeinen Sprachgebrauch meist unsauber als „Rinde“ bezeichnet) in Großaufnahme bewundern, welches das Leitungssystem der Pflanze vor schädlichen Einflüssen bewahrt. Wer sich also mit den überdimensionalen Stammoberflächen des südamerikanischen Florettseidenbaums (Ceiba speciosa), des in der Ägäis beheimateten Östlichen Erdbeerbaums (Arbutus andrachne) sowie zehn weiteren Borkenabbildungen aus aller Welt Wohnung oder Labor verschönern möchte, der sollte sich diesen Kalender mal genauer besehen.




Letzte Änderungen: 07.12.2012