Editorial

Buchbesprechung

Mario Hupfeld




Daniel Dreesmann, Dittmar Graf & Klaudia Witte (Hrg.): Evolutionsbiologie. Moderne Themen für den Unterricht

Gebundene Ausgabe: 542 Seiten
Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Auflage: 2012 (26. September 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3827427851
ISBN-13: 978-3827427854
Preis: 29,95 EUR



Aufklärungs-Unterricht

Ist das neue Evolutions­biologie-Lehrbuch für Pädagogen eine Fortentwicklung, eine Revolution oder eine Sackgasse?

Nein, eine Revolution stellt sie nicht dar, die neue Evolutionsbiologie von Daniel Dreesmann (Uni Mainz), Dittmar Graf (Uni Dortmund) und Claudia Witte (Uni Siegen). Die drei Biologie-Didaktiker haben ihr Buch aber zumindest unkonven­tio­nell konzipiert. Am Anfang jedes Kapitels steht die Frage: Was weiß der Schüler über das jeweilige Thema; welchen Legenden und irrigen Vorstellungen hängt er womöglich an? Das Buch versetzt den Pädagogen in die Lage, daraus ein logisches Unterrichtskonzept zu entwickeln, mit praktischen Beispielen von „Evolution vor der Haustür“. Anhand derer können die Schüler die Evolution quasi im echten Leben „bei der Arbeit“ beobachten. Abstrakte Definitionen wie „sympatrische Artbildung“ müssen also nicht monoton gepaukt werden, sondern ergeben sich aus dem direkten Umgang mit aussagekräftigen Modellorganismen.

Wir haben kein Nachschlagewerk vor uns, sondern eine anregende Hilfe zur Entwicklung des Unterrichts. Eine Einschränkung: Falls Sie ein solides Basiswissen in Evolutionsbiologie besitzen, werden Sie als angehender Lehrer von diesem Buch begeistert sein. Andernfalls empfiehlt es sich, mit weniger anspruchsvoller Einstiegsliteratur zu beginnen. Auch dabei kann die neue Evolutionsbiologie helfen. Biologie-Größen wie Ernst Mayr und Stephen J. Gould werden immer wieder mit griffigen Zitaten eingebracht; dazu finden sich an den Kapitelenden Hinweise auf Fach- wie Populärliteratur (auch als Lesetipps für interessierte Schüler geeignet).

Originelle Schüler-Aufgaben

Besonders gefällt die Einbindung wissenschaftlicher Forschung in die einzelnen Kapitel. Wussten Sie zum Beispiel, warum der Kuckuck von seinen Wirts­eltern mehr gefüttert wird als die eigenen Teichrohrsängerküken? Im Buch steht, wie die Experimente zu dieser Frage entwickelt und durchgeführt wurden – und zwar in einer Weise, die auch Schülern einleuchtet. Oder haben Sie schon einmal eine Datenbank benutzt, um Gene miteinander zu vergleichen? In einer Aufgabe sollen die Schüler das Huntington-Gen des Menschen in der Maus suchen, um herauszufinden, ob diese ein geeigneter Modellorganismus zur Erforschung dieser Krankheit ist.

Beim Ersinnen origineller Schulaufgaben schlagen die Autoren allerdings manchmal über die Stränge. Man rätselt, wie Legosteine die Variabilität des Genoms darstellen sollen, und über manche Gruppenaufgaben, die im realen Schulleben wohl nicht funktionieren werden.

Das Verhältnis von Grafiken zum Text ist angenehm, kleine Infoboxen ergänzen den Inhalt. Insgesamt orientiert sich das Erscheinungsbild an neueren Lehrbüchern und gefällt durch dezent farblich abgehobene Überschriften und sparsam eingesetzten Fettdruck. Bei der Gliederung des Buches werden starke Akzente gesetzt – und wenn das Buch eine Schwachstelle hat, dann ist es diese: Es ist nicht dazu gedacht, alleinige Grundlage für den Unterricht zu sein. Einige wichtige Themen, wie etwa die sexuelle Selektion, werden dann auch nur sehr knapp behandelt. Wichtig scheint es den Autoren vor allem zu sein, zu vermitteln, wie guter Unterricht gestaltet werden kann. Dies gelingt ihnen hervorragend.

Ziel: Evolution an Schulen fördern

Erklärtes Ziel der Autoren ist es, die Lehre der Evolutionsbiologie schon in der Schule systematisch zu fördern, da diese in Deutschland unter anderem aus historischen Gründen (Missbrauch im Nationalsozialismus) tendenziell eher vernachlässigt wird. Gesellschaftlich geht das Buch in erster Linie auf den Konflikt zwischen Religion und Evolution ein und gibt Hinweise, wie man derlei im Unterricht diskutieren kann.

Fazit: Die neue Evolutionsbiologie für Lehramtskandidaten und Lehrer ist die Evolution von drögen Lehrbüchern hin zu einem didaktisch nachvollziehbaren Konzept mit hoher Aktualität. Alles was der Rezensent über Evolution weiß, musste er sich einst selbst im Studium anlesen. Unterricht aus diesem Lehrbuch hätte er sich schon zu Schulzeiten gewünscht. Das Buch macht Lust auf Evolutionstheorie. Es bleibt zu wünschen, dass auch die Schüler in Zukunft ähnlich spannendes Lesematerial erhalten.




Letzte Änderungen: 07.10.2012