Editorial

Buchbesprechung

Hubert Rehm




Andrea Flemmer: Demenz natürlich behandeln.

Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
Verlag: Schlütersche Verlagsgesellschaft, 2012
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3899936248
ISBN-13: 978-3899936247
Preis: 19,95 EUR

Ein Kochbuch zu Alzheimer

Demenz natürlich behandeln von Andrea Flemmer ist der Antipode zu Vergiss Alzheimer! Flemmer wendet sich an Laien. Ihr Buch erscheint wie ein Kochbuch: bunt, mit aufwändigem Layout und perfekt gestellten, großen, schönen, nichtssagenden Bildern von Menschen, Früchten und Gerichten. Im Text denkt Flemmer so bunt wie ihre Bilder erscheinen. Des Zweifels Blässe kennt sie nicht. Ist ihr je der Gedanke gekommen, dass eine medizinische Studie nichts wert sein könnte? Hat sie je davon gehört, dass mindestens die Hälfte der medizinischen Studien, auch jene von Universitätskliniken, das Papier nicht wert sind, auf das sie gedruckt wurden? Weiß sie, dass von der Pharmaindustrie gesponserte Studien mit noch höherer Wahrscheinlichkeit wertlos sind?

Studien, die belegen, dass Ginkgo, Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin nicht gegen Demenz wirken, kennt Flemmer nicht oder erwähnt sie jedenfalls nicht. „Ganz klar: Wenn Sie oder ein Angehöriger an Demenz leiden, muss diese mit Medikamenten behandelt werden“, schreibt sie. Noch schlimmer: Flemmer zählt eine Reihe weiterer „natürlicher“ Mittel auf, die gegen Demenz helfen „könnten“: Rosenwurz, Baldrian, Taigawurzel, Gelbwurz, Gotu Kola, Jiaogulan-Blätter, Salbei, Melisse, Rosmarin, Kaffee, Goji-Beeren, Huperzin A, Marco, Passionsblume, Ginseng, Samtbohne und so weiter. Doch deren Wirkung ist noch schlechter belegt als jene von Memantin & Co, oft nur durch apodiktische Behauptungen oder hyperbole Gedankengänge der Art: Gelbwurz wächst in Indien, indische Statistiken zeigen wenig Demente, also ...

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Zahllose sachliche Fehler

Auf die Probleme der Alzheimer-Diagnose geht Flemmer nicht ein. Bei ihr sind 60 bis 70 Prozent aller Demenzerkrankungen auf Alzheimer zurückzuführen.

Im Text finden sich zahllose sachliche Fehler. So sorgt APP nicht dafür, dass im Hirn neue Nervenzellen wachsen, wie auf Seite 22 behauptet. Quatsch, mindestens aber unverständlich ist, was die Autorin auf Seite 23 über b-Amyloid schreibt. Des weiteren gehören Eiterbakterien weder zu den Viren noch zu den Pilzen (Seite 72). Die Behauptung, Nervenzellen würden umso mehr Acetylcholin ausschütten, je mehr Cholin zur Verfügung stehe, bezweifelt der Rezensent. Dass freie Radikale verantwortlich für den Alterungsprozess sind (Seite 114), ist eine von vielen Theorien und keine gesicherte Erkenntnis. Und woher weiß Flemmer, dass sich beim Lesen dauernd neue Synapsen im Hirn bilden? Wer hat das gemessen und wie? Und bilden sich mehr Synapsen als beim Fernsehen? Für Laien zu schreiben gibt einem noch lange keinen Freipass für schludrigen Umgang mit wissenschaftlichen Sachverhalten.

Wenn Stil eine Frage des Geschmacks ist, dann hat Flemmer den des Rezensenten nicht getroffen. Sie schreibt schwurbelig, ungenau, logisch verschwommen und wie alle schlechten Stilisten liebt sie die Wörter „positiv“ und „renommiert“ („Bereich“ ist inzwischen, Gott sei’s gedankt, aus der Mode gekommen). Die schwurbelige Ausdrucksweise ist wohl, zumindest teilweise, auf mangelnde Sachkenntnis zurückzuführen. Denn auf dem Terrain, auf dem die Ernährungswissenschaftlerin Flemmer sich auskennt, wird der Text lesbar. Dieses Terrain ist die Küche. Der Rezensent hat durch sie das richtige Aufbrühen von Grüntee kennengelernt, und dazu viele Gewürze, Beeren und Früchte.

Tipps und Ratschläge

Gegen Ende des Buches überschlägt sich Flemmer mit Ratschlägen zur Demenz-Behandlung. Die ganze Palette der Psycho-Industrie inklusive Traditioneller Chinesischer Medizin wird ausgebreitet und angepriesen. Darunter finden sich zwar auch die wenigen Therapien, die (nach Stolze) wirklich wirken, wie Nichtrauchen, Nichtsaufen, Bewegung, Tanzen – aber sie gehen unter in Flemmers Wust von Sozialpädagogenbeschäftigungsprogrammen.

Wer sich für Alzheimer interessiert sollte Flemmers Buch nicht kaufen. Er wird desinformiert. Freunde der Kochkunst dagegen können daraus lernen. Ob das 20 Euro wert ist, bleibt freilich zweifelhaft.




Letzte Änderungen: 31.05.2012