Editorial

Buchbesprechung

von Winfried Köppelle




Gottfried Schatz:
Feuersucher: Die Jagd nach dem Geheimnis der Lebensenergie

Gebundene Ausgabe: 229 Seiten
Verlag: Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA; Auflage: 1. Auflage (23. Februar 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3527330844
ISBN-13: 978-3527330843
Preis: EUR 24,90

Epigenetik

Gottfried Schatz. Foto: Uni Basel

Partitur der Zellatmung

Eine Autobiografie sollte nur schreiben, wer auch etwas zu erzählen hat. Der österreichische Mitochondrienforscher Gottfried Schatz hat eine Menge zu erzählen. Er tut es mit Bravour.

Will man vermitteln, dass der Biochemiker Gottfried Schatz nicht nur einer der Großen der Wissenschaft ist, sondern auch ein begnadeter Literat, so bleibt nur eins: Man zitiert ihn. Die beiden Passagen, die Sie jetzt gleich lesen werden, entstammen der grandiosen autobiografischen Erzählung Feuersucher – Die Jagd nach dem Geheimnis der Lebensenergie. Darin erzählt Schatz sein aufregendes Leben als Wissenschaftler zwischen Drittem Reich und chemiosmotischer Hypothese. Die nachfolgende Episode beschreibt seinen merkwürdigen Dienstantritt an der Cornell University in Ithaca, New York, im Jahr 1967:

Wenige Monate vor unserer Ankunft waren Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet worden, die Armenviertel (...) waren Kriegszonen und bewaffnete schwarze Studenten setzten auf unserem Universitätsgelände Gebäude und Bibliotheken in Brand. An meinem zweiten Arbeitstag als frischbestallter Professor beförderte mich unser Dekan kurzerhand zum Nachtwächter und legte mir dringend ans Herz, meine Laboratorien gegen nächtliche Brandstifter zu schützen. (...) Der erste Satz seiner schriftlichen Anweisung lautete: „Versuchen Sie nicht, den Helden zu spielen!“ Also spielte ich stattdessen meine Geige und hoffte, dass die Klänge einer Bach-Partita oder notfalls auch die Dissonanzen einer Bartók-Sonate Brandstifter abschrecken und mich wach halten würden.


Begabt an der Violone, Pipette und Feder

Der neuverpflichtete Dozent muss recht grün hinter den Ohren gewesen sein: Ich hatte eine Biochemievorlesung ebenso nötig wie meine zukünftigen Studenten. Doch Abhilfe war greifbar: Meine gesamten biochemischen Weisheiten erwarb ich aus Albert Lehningers hervorragendem Lehrbuch der Biochemie (das Schatz nun im Eiltempo durchackerte, um seinen Hörern wenigstens um eine Vorlesung voraus zu sein).

Im Laufe der nächsten 20 Jahre wurde dieser Frischling aus Europa zu einem der wichtigsten Mitochondrien-Forscher; so entdeckte er zusammen mit Hans Tuppy die mtDNA. Auch darüber ist eine Menge zu lesen. Seine Erzählung widmete Schatz seinem Freund, Mentor und Kollegen Efraim („Ef“) Racker, einem ähnlich profilierten ATP-Forscher und gleichsam einer großen Figur des heroischen Zeitalters der Biochemie. Doch wie Schatz erzählt, ging selbst der „brilliante und intuitive“ Racker am Ende seiner Karriere einem betrügerischen Postdoc auf den Leim:

Mark Spector hatte (...) durch aufsehenerregende Entdeckungen von sich reden gemacht. Er hatte goldene Hände, denen jedes Experiment zu gelingen schien; er behauptete, mit zwei Stunden Schlaf auszukommen (...) und arbeitete oft allein im nächtlich verlassenen Laboratorium. (...) Und dann die Sensation: Rackers „Golden Boy“ hatte endlich die Frage beantwortet, an der sich viele große Biochemiker, allen voran Otto Warburg, die Zähne ausgebissen hatten.

Von wegen. Spector, das Wunderkind, hatte zudem seinen Universitätsabschluss und wohl auch seine Doktorarbeit gefälscht, er wurde als Scheckbetrüger verurteilt und flog Jahre später als illegal tätiger Herzchirurg auf.

Man könnte noch beliebige weitere Passagen zitieren. Ohne lang herumzureden: Der Rezensent hält Feuersucher für eines der besten Wissenschaftsbücher der letzten Jahre.





Letzte Änderungen: 30.10.2011