Editorial

Buchbesprechung

von Winfried Köppelle




Axel Brennicke:
Wollen Sie wirklich Wissenschaftler werden?: ...dann los!

Taschenbuch: 214 Seiten
Verlag: Spektrum Akademischer Verlag; Auflage: 1. Aufl. (4. März 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 382742755X
ISBN-13: 978-3827427557
Preis: EUR 14,95

Wissenschaftler

... Das sind sie: Ihre neuen Kumpels, mit denen Sie gaaanz viel Zeit verbringen werden. Foto: Columbia University

Der langjährige Laborjournal-Kolumnist Axel Brennicke warnt vor einer Karriere als Wissenschaftler. Doch ob seine Leser seinen Ratschlägen folgen werden?

Wir sollten doch endlich die „Ansichten eines Profs“ umkrempeln und nicht immer nur von den Skurrilitäten an der Universität Ulm berichten, so meckerte neulich ein Leserbriefschreiber. An anderen akademischen Bildungsanstalten gehe es mindestens genauso vogelwild zu, wenn nicht noch viel wilder, bestätigen uns auch andere Leser immer wieder. Wieso also darf immer nur dieser Herr Brennicke aus Ulm berichten, was an seiner Bildungsanstalt mal wieder nicht passt? Warum lassen wir nicht auch andere Professoren (oder TAs, Doktoranden, Arbeitsgruppenleiter, etc.) von anderen Orten zu Wort kommen?

Ja, warum eigentlich nicht?


Alle haben die Hosen voll

Ganz einfach: Weil die ihre Hosen gestrichen voll haben. Die schlichten Weisheiten und skurrilen Erlebnisse, die der Ulmer Botaniker Axel Brennicke allmonatlich in Laborjournal aus dem ganz normalen Universitätsalltag berichtet, scheinen für den überwiegenden Rest der hiesigen Akademiker-Riege viel zu explosiv und gefährlich zu sein, als dass es ihm irgend jemand gleichtun wollte. Glauben Sie uns: Wir haben schon etliche Male bei anderen Protagonisten der deutschen Szene angeklopft: „Wollen Sie nicht bei einer weiteren Meinungskolumne (oder abwechselnd mit Brennicke) als fachkundig-kritischer Laborjournal-Autor mitarbeiten? Regel- oder unregelmäßig, frei von der Leber weg, und natürlich gegen Honorar?“

Editorial

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Jedes Mal signalisierte man uns zunächst Sympathie und Interesse, ja oftmals helle Begeisterung für diesen Vorschlag – und jedesmal kam später eine kleinlaute Absage: Man könne sich doch nicht derart exponieren, nicht das System oder gar die DFG kritisieren. Das sei zu gefährlich, zu heiß, zu heikel.

Ehe Sie also griesgrämig an unserem Ulmer Kolumnen-Prof herummäkeln: Honorieren Sie doch bitte zuallererst dessen Courage. Denn immerhin leben wir in Deutschland – einem Land, in dem freie Meinungsäußerung höchst riskant ist.

Der Rezensent darf das natürlich: an Brennicke herummäkeln, genauer an dessen neuem Buch. Es ist mit Wollen Sie wirklich Wissenschaftler werden? ... dann los! übertitelt und soll eine Art Ratgeber im Taschenbuchformat sein für all die, welche mit einer akademischen Laufbahn liebäugeln (oder bereits begonnen haben). In Wahrheit ist es eher eine Art augenzwinkernde Warnung an Wolkenkuckucksheim-Bewohner. Denn eine Uni-Karriere weist mehr Fallstricke auf als Staatshaushalte Löcher. Und reich wird man auch nicht, höchstens an Erfahrung. Sagt zumindest Brennicke.

Schon nach kurzer Lektüre dürften dem akademischen Leser Parallelen zum diesbezüglichen Standardwerk Forschen auf Deutsch auffallen. Das hat ebenfalls ein Laborjournal-Mitarbeiter (Siegfried Bär) verfasst und damit vor knapp 20 Jahren einen überraschenden Nischenbestseller gelandet. Brennicke kennt natürlich sowohl Bär als auch dessen Werk und weist auch darauf hin. Die gute Nachricht: Brennickes Ratgeber ist witzig und spitzzüngig. Die schlechte Nachricht: Bärs bissiges Original von 1992 ist witziger und spitzzüngiger.


Genderologisch total unkorrekt

Gleich zu Beginn, auf Seite 1 im „Vorgeplänkel“, sammelt Brennicke beim Rezensenten einen dicken Pluspunkt. Letzterer, von ewigen Quoten-Hanswurstereien und Genderpeinlichkeiten zermürbt, kann dem Ulmer Professor nur zustimmen, wenn dieser schreibt: „Allgemein finde ich es doof, immer mit „/in“ zu schreiben, nicht zuletzt, weil es zuviel Arbeit ist und sich nicht gut liest.“ Volle Zustimmung, Herr Brennicke!

Weiter hinten im Buch finden sich weitere Passagen zu diesem Thema, die sich GleichstellungsbeauftragtInnen an die Ohrringe klemmen sollten (dies aber nicht tun werden):

Selbstverständlich können Männer wie Frauen gleichermaßen Wissenschaftler werden, wenn sie die gleiche Begeisterung, das gleiche handwerkliche und theoretische Geschick mitbringen. (...) Falls Sie eine Frau sind – stellen Sie sich einmal vor, dass Sie eine Stelle als Angestellte oder Beamtin deshalb bekommen, weil Sie weiblich sind und nicht weil Sie besonders gute Arbeit leisten. Ist das mit Ihrem Selbstwertgefühl auf längere Zeit vereinbar?

Ja, es ist schon ein Kreuz mit der Gleichmacherei.

Interessant, wenn auch nicht unbedingt einleuchtend ist hingegen, dass der Autor nicht zwischen Männlein und Weiblein, schon aber zwischen „Wissenschaftlern“ und „Menschen“ zu differenzieren scheint. Auf Seite 5 schreibt Brennicke von Wissenschaftlern, die „Wissen schaffen“ würden, und dass die Menschen entscheiden müssten, ob, wie, wann und von wem dieses Wissen umgesetzt werde. Der Wissenschaftler scheint in diesem Zusammenhang kein Mensch zu sein – im Falle von Atombombenbauern, Vivisezierern und esoterischen Krebsheilern könnte man dem Autor ja sogar zustimmen, auch wenn diese Zeitgenossen sensu stricto ja ohnehin keine Wissenschaftler sind.

Besonders gut gefiel im ersten Teil („Vor der Entscheidung“) der Abschnitt, in dem Brennicke unter anderem den „Fleiß“ als altmodische Tugend der Wissenschaft kennzeichnet:

Ein Wissenschaftler ist nicht fleißig, weil er Überstunden macht, ein Wissenschaftler ist besessen. Deshalb steht er zwangsläufig und zwanghaft dauernd im Labor und forscht an irgendetwas rum. (...) Fleiß ist eine inhärente Eigenschaft des Wissenschaftlers.

Ehrlichkeit sei eine weitere der Wissenschaft inhärente Tugend:

Einen unehrlichen Wissenschaftler gibt es nicht. Ein Amateur- oder ein professioneller Betrüger, der behauptet, er sei Wissenschaftler, ist entweder ein Scharlatan, ein Alchimist oder ein Ideologe, der beweisen will, dass Homöopathie mit wirksamen Medikamenten arbeitet.

Danach tappt Brennicke allerdings in die klassische Falle des ehrlichen, aber eben auch gutgläubigen Wissenschaftlers, wenn er schreibt, dass auffliegende Fälschungsfälle wohl Ausnahmen seien: „Das enorme Presseecho belegt, dass Schummeleien sehr selten sind.“ – Nein, Herr Brennicke, es belegt höchstens, dass Schummeleien selten auffliegen. Deren Häufigkeit ist schlicht unbekannt – und wird es auch bleiben, wenn die DFG und die Politiker diesbezüglich weiter untätig bleiben.


Bürokratisch gegängelte Papierbändiger

In den folgenden Kapiteln geht’s um die Zeit zwischen Doktorarbeit und Rente, in der ein Wissenschaftler entweder zum bürokratisch gegängelten Papierbändiger und Antragsschreiber mutiert oder sich als ergrauender Beinahe-Sozialfall von Zeitvertrag zu Zeitvertrag hangelt (oder beides). Der Neueinsteiger erfährt, was Wissenschaftler den lieben langen Tag machen, welche Probleme man mit der Familie und diese mit dem Wissenschaftler haben wird; wie man an Geld kommt und woher die mehr oder minder genialen Ideen kommen, die man von Wissenschaftlern gemeinhin erwartet. Und man erfährt eine Menge über den grotesken Moloch „Universitätsverwaltung“.

Pech für Brennicke, dass der erwähnte Siegfried Bär bereits das Standardwerk zum Thema geschrieben hat. Diesem sarkastischen Klassiker gegenüber mangelt es Brennicke an Sprachwitz und humorvoller Bissigkeit. Er ist schlicht zu brav. Zwar hat er meistens recht mit dem, was er schreibt; häufig ist er auch echt witzig, aber in der Summe doch zu saftlos. Zudem ist einiges redundant im hinteren Buchteil, und das langweilige Kapitel „Typologie des Profs“ hätte sich Brennicke komplett sparen sollen. Es ist halt schwierig im Leben: Die meisten Klassiker sind längst geschrieben, und selbst wenn man Jack White oder Noel Gallagher heißt: Lennon und McCartney waren einfach besser. Trotzdem ist Brennickes Buch sein Geld wert.


Letzte Änderungen: 30.10.2011