Editorial

HIV-suppressive Faktoren

von Jürgen Schickinger (Laborjournal-Ausgabe 01, 1996)


Derzeit häufen sich geradezu die Meldungen aus der Wissenschaft über neue Wirkstoffe gegen das HI-Virus. Diese Substanzen sind allesamt Proteine oder Peptide, die zu den Chemokinen zählen und von aktivierten CD8+-T-Lymphozyten sezerniert werden. Schon vor geraumer Zeit zeigten Immunologen, daß die Zellüberstände dieser Zellen die Replikation von HIV unterdrücken können. Das war gleichzeitig auch der Startschuß für den Wettlauf, diese HIV suppressiven Faktoren (HIV-SF) zu identifizieren. Im Dezember 1995 gingen Reinhard Kurth vom PaulEhrlich-Institut und der Aids-Papst Robert Gallo mit ihren Ergebnissen an die Offentlichkeit. Kurth favorisiert das Interleukin 16, Gallo die Kombination dreier Peptide: RANTES, MIP-1α und MIP-1ß.

Interleukin-16 oder LCF (lymphocyte attracting factor) ist ein CD4-Ligand, der eine intrazelluläre Signalkette auslöst. Es ähnelt keinem anderen Mitglied einer bekannten Cytokin-Familie. IL-16 bindet in tetramerer Form spezifisch an das membranständige CD4 Protein der CD4+-T-Lymphozyten oder einen an CD4 gekoppelten Komplex. Ruhende CD4+-Zellen nehmen daraufhin ihre Teilungsaktivität wieder auf und treten in die G1-Phase des Zellzyklus ein. Bei der Chemotaxis von Monocyten und eosinophilen Granulozyten spielt IL-16 ebenfalls eine Schlüsselrolle, sodaß es vermutlich an entzündlichen Prozessen beteiligt ist.

IL-16 und Aids. IL-16 unterdrückt in Kulturen menschlicher Blutzellen die Replikation von HIV völlig. So könnte IL- 16 im Menschen den Ausbruch der Krankheit verhindern oder verzögern. Das ist exakt der Fall bei den afrikanischen grünen Meerkatzen, die mit SIV infiziert sind, eine hohe Immunsuffizienz supprimierende Lymphocyten-Aktivität besitzen und tatsächlich niemals an Affen-AIDS erkranken. Das IL-16 Protein der Affen weicht in sieben Aminosäuren vom menschlichen ab.

RANTES (regulated on aetivation, normal T-cell expressed and secreted) ist ein 8 kDa Peptid, das anziehend auf CD4+-Zellen wirkt und Granulozyten anregt. Wie MIP-1α und MIP-1ß (s. u.) gehört es zu der Unterfamilie der C-C-Chemokine, RANTES wird auch in den Blutplättchen synthetisiert und von ihnen ausgeschieden.

MIP-1α und MIP-1ß (macrophage inflammatory protein): Zwei Mitglieder der C-C-Chemokin Unterfamilie, die wie RANTES nur 8 kDa groß sind und ebenfalls chemotaktisch auf basophile und eosinophile Granulozyten wirken. Daneben zeigen sie sowohl supprimierende wie auch verstärkende Effekte auf Knochenmarksstammzellen.

RANTES, MIP-1α und MIP-1ß unterdrücken die Infektion mit HIV in primären menschlichen Blutzellen. Wahrscheinlich wirken sie synergistisch, da nur die Kombination der neutralisierenden Antikörper gegen alle drei Chemokine den Effekt völlig aufhebt. Für eine Bedeutung der Peptide in vivo spricht, daß die Konzentration von RANTES, MIP-1alpha und MIP-1ß während der HIV-Infektion in gleichem Maße abnimmt, wie die Zerstörung des Immunsystems durch das Virus voranschreitet.



Letzte Änderungen: 19.10.2004