Editorial

Prionen II

von Karin Hollricher (Laborjournal-Ausgabe 4, 2012)

Prionen II

Foto: iStock/ ErikdeGraaf - Modified CTR

Prionen können zwei verschiedene Konformationen einnehmen, wobei die eine sich Amyloid-ähnlich selbsterhaltend und dominant über die andere verhält. Die Amyloid-ähnlich gefalteten Proteine veranlassen Proteine der gleichen Sorte, sich ebenfalls in diese Konformation umzulagern und gemeinsam Aggregate mit einem hohen Anteil an β-Faltblättern zu bilden. Die meisten Amyloid-bildenden Proteine sind aber keine Prionen – sie haben nicht den infektiösen oder katalytischen Einfluss auf andere Moleküle. Warum und wieso hat bisher niemand verstanden.

Pathogene Prionen können Krankheiten auslösen – BSE bei Rindern, Scrapie bei Schafen, Creutzfeldt-Jakob und Kuru beim Menschen. Auch in den Gehirnen von Patienten mit Alzheimer oder Parkinson findet man die faserartigen Ablagerungen. Andererseits übernehmen Prionen anscheinend auch nützliche Aufgaben, indem sie die Variabilität steigern und so eine leichtere Anpassung an neue Umweltbedingungen ermöglichen. Auf diese Weise können Prionen den Phänotyp eines Organismus ändern, ohne dass dazu eine Mutation in der DNA nötig ist – per definitionem sind Prionen also epigenetisch wirksame Proteine. Davon jedenfalls ist Susan Lindquist vom Whitehead Institute for Biomedical Research in Boston, USA, felsenfest überzeugt (Nature 2012, 482:363-8).

Völlig absurd, meinten viele Wissenschaftler, als Lindquist diese Idee in den 1990er Jahren erstmals formulierte. Viele vermuteten, Hefeprionen seien Artefakte von Laborstämmen. Die Forscherin indes nahm an, sie seien natürlich und weit verbreitet. Damals arbeitete Lindquist an Heat-Shock-Proteinen. Hsp104 entpuppte sich als eine Protein-Disaggregase – es kann denaturierten Proteinen helfen, wieder ihre für die Funktion nötige dreidimensionale Struktur einzunehmen (Nature 1994, 372:475-8). Es kann aber auch andere Proteine veranlassen, sich in selbst-vervielfältigende Formen umzulagern und amyloide Polymere auszubilden. Eines der von Hsp104 kontrollierten Hefeprionen ist Sup35, ein Translationsterminationsfaktor, der die Translation an nonsense-Codons unterbricht. Sup35 kann zwei Konformationen einnehmen, wobei der Suppressor-Phänotyp [PSI+] alle Kriterien eines Prions erfüllt: er verhält sich selbst-erhaltend und bildet große, nicht mehr funktionelle Aggregate.

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[PSI+] wurde von dem Genetiker Brian Cox beschrieben (Heredity 1965, 20:505). Er entdeckte, dass bei Kreuzung von Hefezellen, die entweder rotbraune ([PSI+]) oder weiße Kolonien ([psi-]­) bilden, nur weiße Tochterzellen auftauchen, und nicht beide Phänotypen. Die Erklärung für dieses seltsame Phänomen fanden Lindquist und Yury Chernoff 1995 (Science, 268:880). Hsp104 kontrolliert den Phänotyp, indem es Sup35-Proteinaggregate zerschneidet. Die dabei entstehenden kurzen Sup35-Fasern werden auf Tochter- und Mutterzellen verteilt und agieren dort als Vorlage für neue Fasern. Inzwischen hat man die Regulation durch Hsp104 genauer studiert. Bei einem niedrigen Hsp104-Spiegel sind die meisten Sup35 in ihrer löslichen Form, Hsp104 katalysiert dann die Bildung von Prionenfasern. Ist dagegen viel Hsp104 in der Zelle und somit die Konzentration an löslichem Protein gering, wird die Sup35-Prionenbildung unterdrückt (Science 2004, 304:1793).


Versehentliche Anpassung

Was bedeutet das für die Hefezelle? Wenn Sup35 seine Konformation ändert und Aggregate bildet, übersieht es schon mal Stoppcodons und ignoriert Frameshifts. Daraus resultieren Eigenschaften wie Resistenz gegen Antibiotika und andere Zellgifte, Veränderungen in der Zelladhäsion sowie die Nutzung anderer Nährstoffe. Indem sie auf Veränderungen der Umwelt reagieren, bieten Prionen Hefezellen also die Möglichkeit, sich rasch an neue Situationen anzupassen. Der Konformationszustand der Prionen ist abhängig von der Umgebung. Umweltstress stachelt die Prionbildung regelrecht an (PLoS Biol 2008, 6:e294). Das Lindquist-Team testete 690 wilde Hefestämme, von denen 255 Stämme vermutlich Prionen enthielten. Jedenfalls veränderten diese Stämme deutlich ihren Phänotyp, wenn die Forscher Hsp104 inhibierten. Zur Erinnerung: Hsp104 sorgt dafür, dass der Prionenphänotyp vererbt wird. Fehlt es, sind die Nachkommen vom Prionenphänotyp „kuriert“ (Nature 2012, 482:363-8). Die Forscher verglichen die Phänotypen der wilden [PSI+]-Stämme mit ihren Abkömmlingen ohne Prionen. Es zeigte sich auch, dass Zellen unter Stress (hohe Salzkonzentration, hohe Temperatur, oxidativer Stress durch H2O2 und ER-Stress durch DTT) verstärkt zwischen den verschiedenen PSI-Zuständen hin- und herschalten können. Schalteten die Forscher in den [PSI+]-Stämmen das für den Prionenstatus nötige Gen Hsp104 aus, veränderte sich der Phänotyp der Stämme. Die Prionen verhalfen ihren Wirten zu besonderen Eigenschaften. Sie konnten beispielsweise in saurem Milieu, auf neuen Kohlehydratquellen und sogar in Anwesenheit mutagener Substanzen wachsen.

Eric Kandel, Nobelpreisträger, entdeckte eine ganz andere positive Seite der Prionen: sie helfen möglicherweise auch dem Langzeitgedächtnis auf die Sprünge. In sensorischen Neuronen des amerikanischen Seehasen (Aplysia) jedenfalls kann der Translationsregulator CPEB, der bei Veränderungen an Synapsen eine Rolle spielt, was wiederum für das Langzeitgedächtnis nötig ist, Prionen-ähnliche Multimere bilden. In transgenen Hefezellen verändert CPEB den Phänotyp. Die neuen Eigenschaften sind stabil und vererben sich unabhängig von Mendels Regeln (PNAS 2011, 108:2999-3004). Beim Seehasen wird die Umlagerung in die Prionen-Form durch Ausschüttung von Serotonin verstärkt (Cell 2010, 140:421-35).

Prionen haben Licht- und Schattenseiten – wie der alte Janus – und es zeigt einmal mehr, wie hartnäckig man mitunter sein muss, bis ungewöhnliche Forschungsergebnisse in der Fachwelt akzeptiert werden.




Letzte Änderungen: 24.04.2012