Phänotypische Kondensatoren
von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 6, 2009)
1942 veröffentlichte Conrad Waddington eine unter Evolutionsbiologen populäre Schrift, in der er die Existenz eines „Vermittlers“ postuliert, der den Phänotyp eines Organismus aus einem angesammelten Genpool in stressigen Zeiten an veränderte Umweltbedingungen anzupassen vermag (
Nature, 150:563-5).
An dieser als „Waddington‘s widget“ bekannten Hypothese knabberten fortan einige Forscher. Sie gaben diesem Waddington noch unbekannten Vermittler den Namen „phenotypic capacitor“. Schlicht übersetzt heißt dies: „phänotypischer Kondensator“. Das macht nicht auf Anhieb schlauer. Ein Blick ins Lexikon enthüllt: ein Kondensator ist ein elektrisches Bauelement, das elektrische Ladung und damit zusammenhängend Energie kurzzeitig speichert oder auch „abpuffert“.
Der Evolution Beine machen
In der eigenwilligen Welt der Evolution speichert ein phänotypischer Kondensator einen bestimmten Phänotyp. Das heißt: Er unterstützt die so genannte „phänotypische Robustheit“, die dafür sorgt, dass innerhalb einer Art phänotypische Unterschiede der Individuen, wenn überhaupt, dann nur minimal auftreten. Das, obwohl die meisten Arten eine Fülle an schlummernden genetischen Variationsmöglichkeiten in sich bergen und einer Vielzahl unterschiedlichster Umwelteinflüssen ausgesetzt sind. Es handelt sich bei diesen „phänotypischen Kondensatoren“ wohl um Proteine.
Wenn aber biologische Systeme robust gegenüber Veränderungen sind, wie können sie sich dann evolutionär an neue Lebensbedingungen anpassen und sich auseinander entwickeln? Diesem Widerspruch widmeten sich jüngst die amerikanischen Wissenschaftler Sasha Levy und Mark Siegal des Center for Genomics and Systems Biology der Universität New York.
Sie diskutieren, dass der dem robusten Phänotyp gegenüberstehende variable Genotyp abgepuffert wird (
PLoS Biol, 11:2588-604). Eine Art kann also regelmäßig genetische Variationen anhäufen, die sich aber Dank des phänotypischen Kondensators kaum im Phänotyp auswirken.
Erst eine Schwächung des phänotypischen Kondensators könne schlafende genetische Spielarten entfesseln, zu größerer phänotypischer Vielfalt führen und dem in kleinen, stetigen Schritten über viele Generationen hinweg ablaufenden evolutionären Wandel Beine machen.
Chaperone contra Phänotyp
Paradebeispiel eines phänotypischen Kondensators ist das Hitzeschockprotein Hsp90. Es ist ein Chaperon, also eine „Anstandsdame“, die neu synthetisierten Proteinen dabei hilft, sich korrekt zu falten. Auch bewahren Chaperone unreife Proteine vor schädlichen Kontakten, die sie verklumpen lassen könnten, und stabilisieren zelluläre Proteine. Zu den wichtigsten Hsp90-abhängigen Proteinen zählen Transkriptionsfaktoren und Kinasen. Bei zellulärem Stress, etwa Hitze oder ultravioletter Strahlung, wird die Hsp90-Expression angekurbelt.