Editorial

Begegnung zweier Welten

(27.11.15) Die Industrie arbeitet bei der Suche nach neuen Wirkstoffen zunehmend mit öffentlichen Forschungseinrichtungen zusammen. Laborjournal befragte Nikolas Gunkel, Leiter der Gruppe „Cancer Drug Development“ am DKFZ in Heidelberg, zu seinen Erfahrungen.
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Nikolas Gunkel ist seit 2012 einer der Leiter der Wirkstoffforschung am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Die Gruppe, zu deren Management auch Aubry Miller und Dirk Kuck zählen, benutzt Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung am DKFZ, um Hemmstoffe gegen Zielmoleküle für die Krebstherapie zu entwickeln. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen in der Aufklärung der Rolle bestimmter Zielmoleküle bei Krebs, der Entwicklung von Testverfahren und Screenings, sowie der Synthese von Hemmstoffen und der Überprüfung ihrer Aktivität in geeigneten Modellen. Gunkel war nach seiner Doktorarbeit an der Universität Oxford und einer Postdocphase am European Molecular Biology Laboratory von 1997 bis 2012 in der industriellen Drug Discovery bei Aventis CropScience und MSD Animal Health tätig.

LJ: Sie waren auch 15 Jahre in der industriellen Drug Discovery tätig und kennen beide Seiten. Welche Reibungsverluste beobachten Sie bei der Zusammenarbeit von akademischen Einrichtungen und Pharmafirmen?

Gunkel: Hier prallen zwei Managementkulturen und Arbeitsweisen aufeinander. Akademiker denken projektorientiert und ihr wissenschaftlicher Ruf ist abhängig von schnellen Publikationen. Gegebenenfalls wollen sie ihre Funde auch möglichst rasch patentieren. Die Industrie dagegen arbeitet an einer Vielzahl von Projekten, die anhand von vordefinierten Erfolgskriterien gesteuert werden. Wenig aussichtsreiche Projekte lässt man schnell fallen, da Drug Discovery ein langer, teurer und riskanter Prozess ist. Von über tausend Zielmolekülen findet vielleicht eines Eingang in die präklinische Testung. Um den maximalen Gewinn abzuschöpfen, will die Industrie die neuen Entdeckungen daher so spät wie möglich oder gar nicht veröffentlichen und erst auf einem ausgereiften Niveau patentieren. Für frühe Drug-Discovery-Projekte könnte man sagen: Je erfolgreicher ein gemeinsames Projekt mit der Industrie ist, desto größer ist das Problem für den akademischen Wissenschaftler.

Editorial

Die biomedizinische Forschung schafft die Grundlage für die Entdeckung von Zielmolekülen für die Krebstherapie. Welche Erfahrungen haben Sie mit der Zuverlässigkeit dieser Funde?

Gunkel: In unserer Drug Discovery Unit konnten wir drei Viertel der in der wissenschaftlichen Literatur veröffentlichten Ergebnisse nicht reproduzieren oder die primäre Beobachtung ausbauen. Bayer HealthCare, Amgen, Novartis und Sigma-Aldrich berichten von ähnlichen Erfahrungen. Diese Nicht-Reproduzierbarkeitskrise beschäftigt die Wirkstoffforscher seit Jahren. Die Gründe für dieses Problem sind vielschichtig. Häufig werden in wissenschaftlichen Veröffentlichungen nur eine bis wenige Zelllinien verwendet, um die Bedeutung eines Targets zu demonstrieren. Akademische Forscher achten auch zu wenig darauf, wie robust ihre Ergebnisse sind, da sie den Einfluss von Wachstumsfaktoren und -bedingungen nicht systematisch untersuchen. Handelt es sich bei dem Zielmolekül um ein potentielles Drug Target, wird in der Regel nicht analysiert, welche der oft multiplen Funktionen eines Proteins tatsächlich relevant sind. Die zellulären Modelle sind ebenfalls eine Schwachstelle. Zeitgenössische 3-D Kulturmethoden stellen das Tumorwachstum ansatzweise nach. Die Heterogenität von Tumorgeweben und der Einfluss normaler Gewebszellen in den Tumoren wird aber zu wenig berücksichtigt.

Inwieweit können die akademischen und Industriepartner für eine effektivere Zusammenarbeit aufeinander zugehen?

Gunkel: Beide Seiten müssen die Denk- und Arbeitsweise der anderen Seite erst einmal verstehen. Zentral für eine effektive Wirkstoffforschung ist eine gründliche Testung der Zielmoleküle, auch wenn das für eine wissenschaftliche Publikation nicht unbedingt erforderlich ist. Bei letzterer steht eher der Neuigkeitswert im Mittelpunkt. Target Validierung ist Risikomanagement. Deshalb reproduzieren wir in unserer Einheit am DKFZ als Erstes die vorgelegten Ergebnisse. Falls das nicht möglich ist, beenden wir das Projekt. Da wir an vielen Projekten arbeiten, ist das für uns nicht so tragisch wie für den Wissenschaftler, dessen einziges Projekt damit gestorben ist.

Welche Stärken bieten die akademische Forschung und welche die Industrie im Drug-Discovery-Prozess?

Gunkel: Einzelne akademische Labore haben jahrelange Erfahrung mit Signal- und Stoffwechselwegen, die bei bestimmten Erkrankungen eine wesentliche Rolle spielen. Vereinzelt haben sie auch Modellsysteme entwickelt, die eine viel höhere Aussagekraft haben als einfache Enzymassays. Vor allem die Etablierung und der Umgang mit targetspezifischen Tiermodellen stellt einen Beitrag dar, der mit Geld kaum aufzuwiegen ist. Akademische Drug-Discovery-Projekte sind risikofreudiger und können neuartige Zielmoleküle aufspüren. Das wichtigste Ziel der Drug-Discovery-Phase können akademische Labore durchaus erreichen: Nämlich den Beweis, dass eine neue Zielstruktur tatsächlich mit einem kleinen Molekül gehemmt werden kann und so der erwünschte biologische Effekt erreicht wird. Die Stärke der Industrie liegt dann in der umfangreichen Herstellung chemischer Derivate; mit dem Ziel, Moleküle für die klinische Anwendung zu generieren.

Das DKFZ hat mit einer integrierten Drug-Discovery-Einheit aus erfahrenen Wissenschaftlern seit 2012 eine professionelle Grundlage für Wirkstoffforschung im akademischen Umfeld geschaffen. Darüber hinaus hat das Forschungszentrum eine strategische Allianz mit Bayer Health Care, um Fortschritte in der Krebsbehandlung und -diagnose zu erzielen. Mit Roche besteht eine Kooperation in personalisierter Krebsmedizin.

Wie sieht es mit den Finanzierungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Wirkstoffforschung aus?

Bisher gibt es für die frühe Drug Discovery, also vor dem Beweis der Wirksamkeit einer Substanz im Tiermodell und vorteilhafter pharmakokinetischer Eigenschaften, nur wenig finanzielle Förderung. Aus Sicht der Industrie ist die frühe Drug Discovery Grundlagenforschung, aus Sicht der akademischen Forschung ist sie industrienahe Hochrisikoforschung mit geringen Publikationsmöglichkeiten. Langfristige Verträge und ein stabiles Budget sind aber nötig, um erfahrene Mitarbeiter in akademischen Drug Discovery-Laboren zu halten und ein hohes wissenschaftliches und technisches Niveau zu gewährleisten. Nur so können akademische und Industriepartner auf Augenhöhe arbeiten.

Welche weiteren Verbesserungsvorschläge haben Sie?

Gunkel: Aus der Drug-Discovery-Community kommen einige vernünftige Vorschläge zur Lösung der Nichtreproduzierbarkeit von Ergebnissen. Zum einen sollte es Anreize geben, dass nur gut abgesicherte Daten veröffentlicht werden. Darüber hinaus ist die akademische Drug Discovery nicht darauf ausgelegt, eine möglichst große Zahl an Top-Publikationen abzuwerfen. Ihr Ziel ist es, Moleküle zu finden, die sich später in der Entwicklung von Wirkstoffen bewähren sollen. Die daran beteiligten Wissenschaftler sollten daher anhand ihres Gesamtbeitrags zum Feld bewertet werden, und nicht vorrangig anhand der Zahl herausragender Publikationen.

Was raten sie akademischen Gruppen, die mit der Industrie Wirkstoffe entwickeln wollen?

Forscher, die schnell publizieren wollen, sollten sich von Anfang an geeignete Industriepartner aussuchen, die dafür auch offen sind. Sonst haben sie das Nachsehen.

 

Bettina Dupont

 Foto: DKFZ



Letzte Änderungen: 14.01.2016