Editorial

Leipziger Professorin verärgert Inder

(14.3.2015) Diskriminierung an der Uni Leipzig? Männern aus Indien biete sie keine Stellen in ihrem Labor an, schrieb eine Biochemie-Professorin an einen Bewerber. Die Wellen schlagen hoch.
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Das muss man der Biochemikerin Annette Beck-Sickinger erst mal nachmachen: Nicht nur deutsche Zeitungen wie FAZ, SZ oder  Spiegel-Online berichten über die Leipziger Professorin, auch international ist der Teufel los (siehe CNN, TIME Magazine, Washington Post, Guardian, Liberation). Sogar der deutsche Botschafter in Indien, Michael Steiner, schrieb von Neu Delhi aus einen scharf formulierten Brief nach Leipzig. Denn dort, in Indien, begann das Schlamassel, in Form der Veröffentlichung einer Email Beck-Sickingers an einen Studenten.

Der indische Student hatte sich um ein Praktikum beworben, Beck-Sickinger hatte abgelehnt, ihr Labor sei voll. Soweit, so alltäglich. Was dann genau geschah, ist noch ein wenig diffus. Aber offenbar hat der Bewerber die Biochemikerin nach der Absage in einen Email-Austausch verwickelt. Im Verlauf dieser Konversation ließ Beck-Sickinger sinngemäß den Satz fallen, sie akzeptiere keine männlichen indischen Mitarbeiter in ihrem Labor – aufgrund des gesellschaftlichen Problems der Vergewaltigungen in Indien.

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Kurioser Spagat

Angesichts der internationalen Entrüstung über eine derart dümmliche Pauschalisierung dauerte es nicht lange, bis Beck-Sickinger sich entschuldigte und zugab, einen Fehler begangen zu haben. Und die Pressestelle der Universität übte sich in einem kuriosen Spagat: Einerseits distanziert sich die Uni-Leitung von den Bemerkungen ihrer Mitarbeiterin, andererseits sei die Email an den Studenten in ihrer öffentlich gemachten Form eine Fälschung (Wobei mit "Fälschung" anscheinend gemeint ist, dass Sätze aus verschiedenen Emails zusammengestückelt worden seien).

Mittlerweile sind jedoch weitere Berichte aufgetaucht, denen zufolge Beck-Sickinger bereits zuvor einem anderen indischen Bewerber eine ähnlich lautende Email geschrieben habe. Ein einmaliger unbedachter Ausrutscher infolge einer Provokation wäre die Bemerkung dann nicht mehr.

Zumal bewusste Diskriminierung indischer Bewerber vielleicht kein Einzelfall ist. So beschreibt es Beck-Sickinger selbst, zumindest falls die veröffentlichten Email-Ausschnitte tatsächlich ihre Worte wiedergeben: "Viele Professorinnen in Deutschland haben beschlossen, aus diesen Gründen an männliche indische Studenten keine Praktika mehr zu vergeben."

Ist Deutschland attraktiv für ausländische Forscher?

Kann es sich die deutsche Wissenschaft leisten, indische Forscher vor den Augen der Weltpresse zu vergraulen? Oder müsste Deutschland im Gegenteil nicht viel mehr tun, um attraktiver für ausländische Forscher und Forscherinnen zu werden? Beck-Sickinger beteuert, nichts gegen Inder zu haben und selbst mit Mitarbeitern aus Indien zusammenzuarbeiten. Dann aber ist erst recht unverständlich, wieso sie pauschale Ressentiments nachplappert.

Denn auch wenn wir den konkreten Fall mal beiseite lassen, so wird man festhalten können, dass  Studenten und Forscher (beiderlei Geschlechts) aus Indien, China und anderen asiatischen Ländern in Deutschland auf Vorurteile stoßen. Wer das nicht glaubt, sollte einmal einen neu angekommenen Mitarbeiter aus Asien bei seinen ersten Schritten auf deutschem Boden begleiten.

Die Wohnungssuche auf dem freien Markt: Ein Desaster für viele asiatische Doktoranden und Postdocs. Oft führen Vermieter an, die Sprachbarriere sei ein Problem. Wieso aber finden dann beispielsweise weiße amerikanische Studenten oft schneller eine Unterkunft als ihre asiatischen Kollegen?

Behördengänge mit nicht-europäischen Mitarbeitern sind auch ein Thema für sich – ja, da muss ein deutscher Kollege mitgehen, weil viele Beamte in deutschen Ausländerämtern nicht englisch sprechen. Und „Herzlich willkommen in Deutschland“ gehört offenbar nicht zum Grundwortschatz der Sachbearbeiter im Einwohnermeldeamt.

Gefuchtel mit dem Regenschirm

Unvergesslich auch jener ältere Herr an einer Bushaltestelle in Tübingen, der, wild mit dem Regenschirm fuchtelnd, drei asiatischen Studentinnen in breitem Schwäbisch erklärte, dass es doch das aller-aller-wichtigste sei, erst mal Deutsch zu lernen. Dass die Studentinnen mit ihren Promotionsprojekten mehr als genug zu tun hatten und ausserdem gar nicht vorhatten, auf Dauer hier zu bleiben, war dem germanophilen Grantler nicht verständlich zu machen.

So gesehen ist es vielleicht vernünftig, wenn Beck-Sickinger indischen Bewerbern pauschal absagt. Denn ob man ausländischen Studenten mit nicht-europäischem Aussehen im Moment guten Gewissens raten kann, nach Deutschland zu ziehen, nach Sachsen gar, ist in der Tat fraglich. Auch wenn der PEGIDA-Mob sich vorübergehend in ihre Wut-und Spießbürgerwohnzimmer zurückgezogen hat, so hallt die montägliche Grusel-Show noch lange nach. Einladend wirkt das jedenfalls nicht auf qualifizierte ausländische Wissenschaftler, die nicht nur ein gutes Labor, sondern auch ein freundliches Umfeld suchen. Viele werden dann doch lieber in die USA gehen, wo man sie mit offenen Armen empfängt.

Nicht in Indien, sondern hier in Deutschland, auf den Strassen und Plätzen vor der Tür der Leipziger Universität, findet sich also ein dankbares Betätigungsfeld für Forscher und Forscherinnen, die sich gesellschaftspolitisch einbringen möchten. Hier könnten deutsche Wissenschaftler ein wenig lautstärker und offensiver als bisher für ihre ausländischen Mitarbeiter und Mitbürger eintreten. Das wäre jedenfalls aussichtsreicher und angemessener, als sich mit dummen Pauschalisierungen in eine Debatte im fernen Indien einzumischen.

 

Hans Zauner

 

Illustration (Symbolbild): Montage unter Verwendung eines Fotos v. © Calado / Fotolia.com



Letzte Änderungen: 09.05.2015