Editorial

Beratungsresistent

(3. August 2014) Greenpeace bläst zum Angriff auf die EU-Position des „Chief Scientific Advisers“. Die Motive sind durchschaubar, denn die Ergebnisse der Wissenschaft stehen den Zielen des Öko-Imperiums im Weg. Ein Kommentar.
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Stühlerücken in Brüssel. Jean Claude Juncker tritt als neuer Kommissionspräsident an. Greenpeace und acht weitere Organisationen wittern eine gute Gelegenheit, ihre Position in der EU-Zentrale zu stärken – auf Kosten des wissenschaftlichen Sachverstands. In einem Brief an Juncker fordern sie, die Rolle des „Chief Scientific Advisers“ abzuschaffen.

Die Organisation „Sense about Science“ hat mittlerweile schon einen zweiten Aufruf an den Kommissionspräsidenten verfasst, den „Scientific Adviser“ unbedingt beizubehalten. Bisher haben mehr als 800 Unterstützer den Brief unterschrieben.

Bisherige Inhaberin des angegriffenen Postens ist die schottische Molekularbiologin Anne Glover. Ihre knifflige Aufgabe ist es, den „wissenschaftlichen Konsens“ darzulegen und den Kommissionspräsidenten „zu allen Aspekten der Bereiche Wissenschaft, Technik und Innovation“ zu informieren. Wohlgemerkt, die Rolle hat einen rein beratenden Charakter. Für Entscheidungen sind allein die Politiker zuständig.

Aber Greenpeace hält die Position der Wissenschaftsberaterin dennoch für zu einflussreich – und für falsch besetzt sowieso, denn Glover hat sich während ihrer Amtszeit beim Öko-Imperium unbeliebt gemacht. Man darf das durchaus als Anzeichen werten, dass die Schottin vieles genau richtig gemacht hat. Nämlich dass sie ihrem Auftrag entsprechend den Konsens der Wissenschaft vertreten hat und mit ihren Argumenten auch immer wieder in der Kommission durchgedrungen ist.

Knackpunkt des Streits ist - wieder einmal - die grüne Gentechnik: Verbraucher könnten auf unzählige Arbeiten vertrauen, die zeigten, dass gentechnische Methoden nicht riskanter seien als konventionelle Pflanzenzüchtung, schrieb Glover der Kommission beispielsweise ins Stammbuch.

Greenpeace dagegen malt bekanntermaßen gerne Horrorszenarien an die Wand, denen zufolge gesundheitliche Schädigungen durch den Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel drohten. Dass diese Ansicht keinen Rückhalt bei den allermeisten Experten hat, sondern auf ideologisch motivierten Vorurteilen beruht, stört den Öko-Konzern nicht weiter. Greenpeace klammert sich lieber an höchst dubiose Studien, wie die zurückgezogene Arbeit eines Gilles Seralini (siehe das LaborjournalOnline-Editorial "Die Rache des Zombie-Papers").

Wenn aber Ideologie wichtiger ist als Fakten, dann ist ein unabhängiger Chefberater aus der Wissenschaft schon sehr lästig.

Was Greenpeace stattdessen in Brüssel etablieren will: eine Berater-Schwatzbude, in der alle möglichen Interessengruppen und Lobbyvertreter ihren Senf zu wissenschaftlichen Themen abgeben, ob qualifiziert oder nicht. Aber genau das ist nicht die Rolle des Scientific Advisers.

Das Anhören und Abwägen verschiedenster Interessen ist die ureigene Aufgabe der Politiker. Und Lobbyverbände aller Art - ob Industrievertreter oder NGOs - haben wahrlich genug Einflussmöglichkeiten in der EU. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass die Stimme der evidenzbasierten Wissenschaft deutlich und unverfälscht auftritt, bevor die Fakten zusammen mit Meinungen, nationalen Empfindlichkeiten und wirtschaftlichen Interessen durch die Mühle der europäischen Politik gedreht werden.

Die Bloggerin Brynja Adam-Radmanic (unseren Lesern auch bekannt durch ihre Artikel im Laborjournal) schreibt dazu sehr richtig: “Wenn die meisten Leute in Europa sich einig sind, dass sie keine Pflanzen essen wollen, die gentechnisch verändert sind, dann sollten sie die Möglichkeit haben, das zu vermeiden. Es sollte aber gleichzeitig klar sein, dass es keinerlei wissenschaftliche Begründung dafür gibt“.

Auch wenn Greenpeace das nicht passt: Über Fakten kann man nicht abstimmen, Naturwissenschaft ist insofern undemokratisch (oder, vielleicht besser gesagt, vor-demokratisch).

Es ist durchaus paradox: Wenn es um Klimaschutz-Ziele oder Kampagnen zum Artenschutz geht, stützt sich die Organisation (zurecht) auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Methodik; aber beim Thema Gentechnik stößt die Mehrheit der Wissenschaftler bei Greenpeace-Jüngern auf taube Ohren.

 


Hans Zauner


Foto: Anne Glover, via  F4E



Letzte Änderungen: 01.09.2014