Editorial

Heimatverbundene Schnecken

(22. Mai 2014) Zugvögel und Wale finden über riesige Distanzen zurück in ihre Heimat. Der Homing Instinct der gefleckten Weinbergschnecke ist weniger spektakulär. Immerhin: Wirft man sie über den Zaun, findet auch sie den Heimweg.
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(22. Mai 2014) Im Kampf Gärtner gegen Schnecke geht es rabiat zur Sache. Die Salatfresser werden mit der Heckenschere zerschnipselt, mit Schneckenkorn erledigt oder gar mit dem Salzstreuer malträtiert. Aber der zornige Aktivismus des Kleingärtners bleibt oft fruchtlos. Denn kaum hat man ein paar der Viecher los, kommen auch schon neue angekrochen.

Aber nicht alle wollen den Schnecken Böses, viele Gartenfreunde wünschen den Tierchen in ihren putzigen Häusern von Herzen alles Gute. Aber den Salat und die Kräuter sollen sie bitte schön in Ruhe lassen. Anstatt tödliche Gewalt einzusetzen, werfen tierliebe Menschen die Gemüsevertilger deshalb über den Zaun in Nachbars Garten – gelegentlich in der Hoffnung, dass die verfressenen Tiere es dem Streithansel nebenan mal so richtig zeigen und ihm die Kürbisernte versauen.

Abgeschobene Gastropoden

Allerdings könnte der Schneckenwurf über den Gartenzaun im wörtlichen Sinne nach hinten losgehen, wie der Ökologe David Hodgson und der Physiker David Dunston im Journal „Physica Scripta schreiben. Die Schnecken kommen nämlich wieder. In dem ihnen eigenen gemächlichen Tempo zwar; aber bald nach dem Rauswurf sind viele der zwangsweise abgeschobenen Gastropoden wieder da und setzen ihre Mahlzeit fort. „Homing Instinct“ heißt es im Fachjargon, wenn Tiere wissen, wo sie zuhause sind und auch wieder zurück finden, wenn man sie versetzt.

Gerüchte und Anekdoten, dass Schnecken diese Fähigkeit besitzen, gibt es zwar schon seit Langem. Bereits Charles Darwin berichtet davon. Einer seiner Korrespondenten schildert minutiös den Ausflug eines Individuums der Art Helix pomatia, samt Rückkehr in den Heimatgarten.

Aber bisher hatte noch niemand den vermuteten Heimatsinn der Schnecken rigoros und in größerer Fallzahl getestet. Der Versuchsaufbau von Dunstan und Hodgson könnte dabei simpler nicht sein: David Hodgson durchstreifte regelmäßig den Garten eines von der britischen Regierung angestellten Statistikers, der auch die Idee zu dieser Studie hatte. Hodgson sammelte alle Schnecken der Art Cornu aspersum auf, die er fand, markierte sie mit einem TippEx-Punkt und warf sie fünf Meter weit über den Zaun („auf einer parabelförmigen Flugkurve und mit einer geschätzen Landegeschwindigkeit von neun Metern pro Sekunde“, heißt es im Paper).

Unfreiwillige Flugstunden

In den folgenden Durchgängen der Prozedur hielt er nicht nur die Gesamtzahl der aufgesammelten Schnecken fest, sondern auch, ob sie schon ein- oder mehrmals markiert waren. 1385 Schneckenwürfe zählten die Forscher im Laufe eines Jahres.

Die Auswertung dieses Datensatzes war dann allerdings nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Zwar fanden sich in der Tat Schnecken, die am Ende des Experiments bis zu 17 weiße Punkte auf dem Gehäuse hatten, also schon 16 mal die Reise über den Zaun und zurück überstanden hatten.

Aber diese Beobachtung sagt noch nichts über den Homing Instinct aus. Denn es kann ja auch sein, dass Cornu aspersum nach einer unfreiwilligen Flugstunde dem Zufallsprinzip folgend in irgendeine Richtung weiterkriecht – manche davon eben zufällig immer wieder zurück in den Garten. Statistische Modelle mussten also her, um verschiedenen Szenarien zu vergleichen. Monte-Carlo- und Maximum-Likelihood-Techniken wurden in Anschlag gebracht. Mit dem Ergebnis, dass die Daten in der Tat besser zu einem Modell mit Homing Instinct passen als zu einem Alternativmodell, das die Rückkehr der Gastropoden alleine mit zufälliger Diffusion erklärt.

Zudem unterscheiden die beiden schneckenwerfenden Forscher zwei Subpopulationen: Eine Gruppe, die im Garten des Statistikers zuhause ist und auch wieder dorthin zurückkehrt, und eine  zweite Subpopulation, deren Mitglieder nicht am Fundort sesshaft sind und sozusagen auf der Durchreise aufgegriffen werden.

Schneckenbekämpfung mit Katapult

Vielleicht animiert die Studie ja den einen oder anderen zu eigenen Forschungen im Gemüsebeet.  Das Paper schweigt sich allerdings aus in Bezug auf eine mechanistische Erklärung: Woher „wissen“ die Schnecken, in welcher Himmelsrichtung der Heimatgarten liegt, wenn sie plötzlich fünf Meter vom Gartenzaun entfernt im Gebüsch liegen? Ohne Antwort auf diese Frage darf man wohl noch ein wenig skeptisch bleiben.

Wie auch immer, falls die Daten sich bestätigen, so funktioniert der Homing Instinct jedenfalls nur auf der Kurzstrecke. Als Dunston und Hodgson die Schnecken nicht nur über den Zaun warfen, sondern in etwa 20 Meter Entfernung aussetzten, fanden die Tiere nämlich nicht mehr zurück. Die Autoren empfehlen deshalb einen starken Wurfarm oder ein Katapult als aussichtsreiche Methode der Schneckenbekämpfung.

 


Hans Zauner

 

 

Foto:  Schnecke der Gattung Helix, Wikipedia (User macrophile);

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Letzte Änderungen: 19.07.2014