Editorial

Die Neurologin als Ausnahmeerscheinung

Vor etwa 30 Jahren beschied ein älterer Kollege der jungen Ärztin Claudia Trenkwalder, sie solle sich doch nicht Neurologie als Fachgebiet aussuchen. Als Frau könne sie in dem Fach keine Karriere machen. Heute leitet sie eine Klinik, hat eine W3 Professur in Göttingen und kann sich im Laborjournal-Ranking „Klinische Neurowissenschaften behaupten. Was ist denn da passiert?
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(3. April 2014) Manches war Zufall – etwa dass sie am MPI für Psychiatrie in München arbeiten konnte. Und vieles ist auf eisernen Willen zurückzuführen, auf Durchhaltevermögen und die Fähigkeit, strategische Partnerschaften einzugehen. Claudia Trenkwalder, 54 Jahre, leitet die Paracelsus Elena Klinik, 77 Jahre. Die Einrichtung in Kassel ist die größte auf die Behandlung von Parkinsonpatienten spezialisierte Klinik Deutschlands. Das ist keine forschungsorientierte Uniklinik, und dennoch hat es Frau Trenkwalder auf Platz 33 des Laborjournal-Rankings geschafft. Erstaunlich, denn ansonsten enthält das aktuelle Ranking „klinische Neurowissenschaften“ nur Forscher, die an Unikliniken oder MPIs arbeiten (mit Ausnahme eines Boehringer-Ingelheim-Mitarbeiters).

Was forscht denn die Neurologin? Natürlich ist Parkinson einer ihrer Schwerpunkte – aber auch die Untersuchung von Bewegungs- und Schlafstörungen. Und irgendwie hat das eine auch mit dem anderen zu tun.

Parkinsonpatienten haben bekanntermaßen häufig Probleme beim Gehen. Weniger bekannt ist, dass sie mitunter auch unter Traum- und Schlafstörungen leiden, lange bevor die motorischen Ausfälle auftreten. Und Patienten mit dem Restless Legs Syndrom leiden ebenfalls an Schlafstörungen und unkontrollierbarem Zucken der unteren Gliedmaßen.

Diagnostische Marker für Parkinson

„Dank dieser Klinik haben wir hier natürlich ein ideales, selektiertes Patientengut für die Erforschung von Parkinson“, sagt Trenkwalder. Und so gelang es dem Team in Kassel, die DeNoPa-Kohorte aufzubauen. „Das ist vor allem meiner Kollegin Brit Mollenhauer zu verdanken“, fügt Trenkwalder hinzu – ja, Netzwerkeln hat sie gelernt. Die DeNoPa-Kohorte besteht aus 150 noch unbehandelten Patienten mit Parkinson im Frühstadium und gesunden Kontrollpersonen. Ziel ist es, im Rahmen dieser prospektiven Studie 10 Jahre lang klinische, genetische und neuropsychologische Parameter als biologische und diagnostische Marker für Parkinson im Frühstadium zu identifizieren (Neurology 2013 DOI: 10.1212/WNL.0b013e3182a6cbd5).

Allerdings war es nicht (nur) die DeNoPa-Kohorte, die ihr die vielen Zitierungen einbrachte, denn die gibt es erst seit vier Jahren. Sondern es war ein Projekt, das sie mit ihrer ersten Doktorandin Juliane Winkelmann, die inzwischen an der Stanford University forscht, und vielen weiteren Kollegen verfolgte: die Suche nach genetischen Faktoren für das Restless Legs Syndrom.

Genetik des Restless Legs Syndrom

Diese Erkrankung, die man jahrzehntelang als psychosomatisch oder eingebildet abgetan hat, sei eine schwere Beeinträchtigung der Lebensqualität, sagt Trenkwalder. „Schmerzen, notorische Schlafstörungen, Neuropathien, ständiger Bewegungsdrang – die Menschen, die daran leiden, sind wirklich sehr krank.“ Die Standardmedikation lautet: dopaminerge Substanzen, wie bei Parkinson. Doch wenn die Mittel helfen, nehmen die geplagten Patienten immer mehr davon und die Symptome kommen umso schlimmer zurück.

„Weil wir sicher waren, dass Genetik im Spiel ist, suchten wir lange nach Markern.“ 2007 wurden sie fündig und identifizierten unter anderem das Homeobox-Gen MEIS1 als assoziiert mit der Erkrankung (PLoS Genetics 2011, DOI: 10.1371/journal.pgen.1002171). Inzwischen haben Winkelmann und Kollegen von Instituten in München, Dresden und Sevilla herausgefunden, dass bestimmte Varianten im MEIS1-Gen zu Veränderungen in der frühen Hirnentwicklung führen (Genome Research 2014, DOI: 10.1101/gr.166751.113). Und dies kann, so die Autoren, später in Kombination mit Umweltfaktoren zum Ausbruch der Erkrankung führen.

„Nach einem Tag in der Klinik kann man nicht mehr forschen“

Als Neurologin mit viel Interesse an der Forschung ist Trenkwalder ganz sicher eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur weil sie eine Frau ist, sondern auch weil sie neben der Patientenversorgung in der Wissenschaft aktiv ist. „Experimentelle medizinische Forschung spielt sich überwiegend in der Biologie ab“, stellt Trenkwalder fest. Will heißen: Es gibt kaum Mediziner, die in der Forschung wirklich aktiv sind, dafür umso mehr Biologen. „Wie kann das auch anders sein. Nach einem Tag in der Klinik kann man nicht mehr forschen.“ Sie bezweifelt auch, dass Spitzenforschung möglich ist mit Medizinern, von denen sowohl Arbeit im eigenen Labor als auch Patientenversorgung verlangt wird. Auf der anderen Seite sieht sie sehr wohl die Notwendigkeit, dass die Forschung nicht isoliert sein darf, sondern das klinische Ziel vor Augen haben muss.

Unterstützung von Frauen in der Medizin ist Trenkwalder ein besonderes Anliegen. Das ist nicht nur das Ergebnis ihrer ganz persönlichen Erfahrungen, sondern auch das Resultat ihrer Beobachtungen des Systems Wissenschaft-Klinik. Die Netzwerke der männlichen Kollegen seien sehr subtil, findet sie. Und sie stellt fest, dass männliche Kollegen bei der Besetzung einer freien Stelle nur Männer anschreiben. Das lässt ihr keine Ruhe, und so engagiert sie sich als Frauen  fördernde Netzwerkerin.

Quote gegen Männernetzwerke

So ist Claudia Tenkwalder beispielsweise aktiv bei der Initiative Pro Quote Medizin (die übrigens auch von Männern unterstützt wird). Sie sei für die Quote, weil nur dann Männernetzwerke, die subtil und für Frauen oft nicht erkennbar agieren, bei Bewerbungen weniger zählten, Frauen aktiv zu Bewerbungen aufgefordert würden und Frauen in Führungspositionen und Männer in Haushalt und Familie als Selbstverständlichkeit gälten.

Trenkwalder geht in dieser Hinsicht mit gutem Vorbild voran und unterstützt aktiv junge Ärztinnen. An ihrer Klinik arbeiten – möglicherweise einzigartig hierzulande – zwei habilitierte Oberärztinnen.

Von den Frauen wünscht sie sich, dass sie sich besser aktivieren lassen, sich mehr zutrauen. „Sie können doch Wissenschaft. Wenn ich mir die Autorenlisten vieler Paper anschaue, stelle ich fest, dass da viele Frauen dabei sind, die offensichtlich den größten Teil der Arbeit machen. Aber es sind schließlich die Männer, die sich mit diesen Arbeiten habilitieren, nicht die Frauen.“ Tja, so sieht's aus. Frauen in Führungspositionen in der Medizin gibt es nur in homöopathischen Dosen – übrigens auch im aktuellen Laborjournal-Ranking: 47 Herren, 3 Damen. Ist es heute wie vor 30 Jahren so schwer, als Frau in der klinischen Neurologie Karriere zu machen?

Karin Hollricher


Foto: C. Trenkwalder,  Paracelsus-Kliniken Kassel



Letzte Änderungen: 30.09.2015