Editorial

Arac-Attack!

Ein Besuch bei Jason Dunlop, Kustos für Arachnologie am Naturkundemuseum Berlin.
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(12. August 2013) Berlin ist ein Backofen an diesem Julitag, aber beim Anblick von Jason Dunlops Schatzkammer könnte einem Arachnophobiker das Blut in den Adern gefrieren: Spinnentiere, so weit das Auge reicht. Dunlop ist Kustos für Arachnologie am Naturkundemuseum Berlin und das Magazin, in dem wir stehen, ist das Herzstück seines Jobs. In langen Regalreihen stehen unzählige Gläser voller achtbeiniger Krabbeltiere, alles sorgfältig beschriftet; mehr als 61.000 Objekte – weit mehr, als man in den Ausstellungsräumen des Museums jemals zeigen könnte.

Überhaupt ist es ja ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Museen in erster Linie dazu da wären, ihre Objekte öffentlich auszustellen. Dies ist aber nur ein Teil der Mission eines Naturkundemuseums; mindestens genauso wichtig ist die Forschungsarbeit, die hinter den Kulissen passiert. Die wollte ich bei meinem Berlin-Besuch etwas näher kennenlernen – was mich direkt zu Dunlops Arbeitsplatz zwischen Spinnen und Milben geführt hat.

Milbe im Pech

Die Milbe, die dort gerade unter dem Mikroskop liegt, hat wirklich Pech gehabt. Vielleicht war es auch so ein heisser Tag, damals vor ein paar Millionen Jahren, als ein klebriger Harztropfen aus einem Baum austrat und das Tier einschloss. Dumm gelaufen für die kleine Milbe, aber ein Glücksfall für die Spinnenforscher, denn noch heute kann man in diesen „Bernstein-Inklusen" Details der eingeschlossenen Tiere erkennen. Ganz ungewöhnlich an diesem speziellen Bernstein-Exemplar: Die Milbe ist nicht allein in ihrem Grab aus Harz. Sie sitzt an einer Ameise fest, die um ein Vielfaches größer ist als das Spinnentier, das am Kopf der Ameise sitzt. Ein kleiner, in Harz gegossener Ausschnitt aus einem längst verschwundenen Ökosystem.

Neben dem Hüten und Pflegen der Sammlung ist die Arbeit an solchen fossilen Zeugnissen Dunlops tägliches Geschäft – wo gehört das Tier hin in der Systematik der Spinnentiere, ist es vielleicht gar eine neue, bisher nicht beschriebene Art?

Wenn diese Grenzen zwischen verschiedenen Arten und Gattungen eingezogen werden, geht es in der Taxonomie manchmal durchaus subjektiv zu. Grob gesagt gibt es zwei Schulen unter den Systematikern, die „Lumper" und die „Splitter": Die einen würden gerne möglichst viel in einen Topf werfen, die anderen messen auch kleineren Unterschieden Bedeutung zu und hätten ihre Systematik lieber fein aufgeschlüsselt. Das zeigt: Gerade bei Fossilien gibt es nicht das eine, verbindlich festgeschriebene Kriterium, was eine neue Art ausmacht; wie anders ein Tier (oder eine ganze Gattung) also zu sein hat, um einen eigenen Namen tragen zu dürfen. Das vielzitierte Biologische Artkonzept („Was sich schart und paart, gehört zu einer Art", so hat man das zumindest mal gelernt) hilft bei Fossilien nicht weiter. Abgesehen davon, dass sich manche Spinnentiere durch Jungfernzeugung vermehren – da ist nicht viel los mit Scharen und Paaren.

Verwirrung am Fossil

Vertrackt wird es für den Arachnologen auch dann, wenn Männchen und Weibchen unterschiedlich groß sind. Bei einigen Spinnenarten sind Weibchen vergleichsweise riesig, die Männchen entsprechend winzig. Bei (oft unvollständigen) Fossilfunden kann das schon mal Verwirrung stiften. Genau hinsehen, die „wichtigen" Strukturen erkennen und exakt festhalten –
das ist die Kunst, die ein Taxonom beherrschen muss. Zur wissenschaftlichen Beschreibung gehört deshalb nach wie vor auch das Abzeichnen wichtiger Strukturen mit Papier und Bleistift. Aber winzige Milben-Einschlüsse im Bernstein bereiten selbst erfahrenen Arachnologen Probleme – man sieht einfach nicht so viele Details, wie man gerne sehen würde.

Zusammen mit Kollegen der Henry Moseley X-Ray Imaging Facility in Manchester nutzt Dunlop deshalb auch technische Unterstützung jenseits der Möglichkeiten des Lichtmikroskops. Ähnlich wie Mediziner menschliche Organe mittels Computertomographie (CT) untersuchen, analysieren die britischen CT-Experten auch Dunlops Bernsteinbrocken: Schicht für Schicht setzt der Computer ein drei-dimensionales Bild des eingeschlossenen Tieres zusammen - wie man auf diesem You-Tube-Video gut beobachten kann.

Hilfreiche Computertomographie

Hilfreich ist die Computertomographie auch dann, wenn Bernsteinfossilien schon viele Jahre im Museum auf dem Buckel haben – beispielsweise die Bernstein-Inklusen, die Pioniere der Arachnologie wie Carl Ludwig Koch (1778–1857) und Georg Carl Berendt (1790–1850) gesammelt und erstmals in Monographien beschrieben hatten. Dieses historische Material wird nicht besser mit den Jahren. Bernstein oxidiert, wird brüchig und verliert seine Transparenz.

Die Tiere, die dort eingeschlossen sind, haben aber oft mehr als nur wissenschaftshistorischen Wert; nach wie vor sind sie immens wichtig für die Systematik, es sind nämlich sogenannte „Typusexemplare" darunter. Die publizierte Erstbeschreibung und das Typus-Exemplar bilden eine Einheit. Ohne das in einem Museum aufbewahrte Typus-Material ist die Artbeschreibung nicht viel wert.

Wie also kann man diese wertvollen Fossilien für die Zukunft retten? Virtuelle CT-Rekonstruktionen, die Dunlop und seine Kollegen aus Manchester sie angefertigt haben, bieten zumindest die Chance, die morphologischen Einzelheiten exakt zu erfassen und für die Zukunft zu sichern. CT-Rekonstruktion der Bernstein-Spinnen ist also weit mehr als eine technische Spielerei, die schöne Bilder liefert.

Neben der Sammlungsbetreuung und der Forschung legt sich Dunlop auch mächtig ins Zeug, um mit Vorurteilen über Spinnen aufzuräumen. Er will „die Wahrheit über Spinnen" vermitteln, erzählt er, während er mir eine schwarze Witwe unter die Nase hält – zum Glück schon in Alkohol eingelegt. Zur Wahrheit über Spinnen und Milben gehört, dass die Krabbeltiere wichtig für unser Ökosystem sind, dass viele ausgesprochen nützlich sind und nur ganz wenige Spinnen mancherorts gefährlich sind.

Eine Möglichkeit, als Spinnen-Botschafter aktiv zu werden, fand Dunlop bei Science Slams: Bei einem Science Slam erzählen Forscher zehn Minuten lang möglichst spannend und verständlich über ihr Lieblingsthema – das Publikum stimmt am Ende ab. Wie sich Dunlop dabei geschlagen hat, und was seine Forschung mit dem ältesten Penis der Welt zu tun hat, sehen Sie sich am Besten selbst an.

Hans Zauner

Foto: Screenshot aus o.g. Video; Urheber: Jason Dunlop, Naturkundemuseum Berlin



Letzte Änderungen: 05.09.2013