Editorial

Mega-Muskeln und Marathon-Mäuse

Olympia 2012: Gentechnisch veränderte Superathleten sprinten um Goldmedaillen. Science Fiction? Bei Mäusen funktioniert Gendoping bereits.

(28.08.2004) Gendoping war bisher mehr düstere Zukunftsvision als tatsächliche Realität im Spitzensport. Das ist leider vorbei: Immer wahrscheinlicher wird diese neue Spielart unerlaubter Leistungssteigerung: Zumindest im Tiermodell sind Riesenmuskeln und Super-Ausdauer per DNA-Manipulation bereits machbar. Mehrere wissenschaftliche Veröffentlichungen, die im August 2004 erschienen, lassen Übles befürchten.

Ben Johnson, der 1988 ertappte Sprint-Olympiasieger aus Kanada, ließ seine eindrucksvollen Muskeln mit Stanozolol wachsen, die Deutschen Grit Breuer und Katrin Krabbe hatten 1992 Clenbuterol im Urin. Legionen weiterer Athleten griffen ebenfalls auf Anabolika zurück. Heute sind vor allem Blutkörperchen-bildende sowie Wachstumshormone (EPO, Aranesp bzw. HGH) en vogue, auch wenn erstaunlich viele Sportler immer noch den "alten" Mitteln wie Anabolika vertrauen (und bei Kontrollen auch erwischt werden).

Bisher: Zufällige Gen-Ausstattung macht den Supersportler ...

Der kleine Kraftprotz jedoch, der unlängst im New England Journal of Medicine vorgestellt wurde, hat Doping gar nicht nötig. Sollte der Sprößling einer deutschen Familie später einmal Gewichtheber oder Profiturner werden, so wird dem heute Vierjährigen die Ausstattung reichen, die ihm seit seiner Geburt zur Verfügung steht: In seinen Muskeln wird kein Myostatin gebildet. Ihm fehlt damit das Protein, welches beim Menschen normalerweise das Muskelwachstum hemmt (New Engl J Med. 2004, 350 (26)). Die Folge: Der Knabe ist geradezu unheimlich stark, wuchtet schwere Gewichte, als wären es Legosteinchen.

Die Sportwissenschaft kennt ähnliche Fälle, in denen ihr Genom Athleten zu Spitzenleistungen führt. Etwa Ausdauersportler, denen extrem hohe Hämatokritwerte angeboren sind (der Hämatokrit ist der prozentuale Anteil der festen Blutbestandteile und korreliert daher direkt mit der Fähigkeit, hohe Sauerstoffmengen zu verstoffwechseln). Solchermaßen durch natürliche Genmutationen begünstigte Athleten haben es naturgemäß leichter, Weltmeistertitel oder Olympiasiege zu erringen.

Künftig: Reißbrett-Athleten nach Maß?

Zumindest bei Labormäusen ist man nicht mehr auf den Zufall per Geburt angewiesen. Die gezielte gentechnische Erzeugung von Superathleten ist hier längst möglich. Beispiel eins Myostatin-Gen: Schaltet man dieses bei den Nagern aus, so entwickeln sich Supermäuse, die vor Kraft kaum laufen können. Bei Rindern ist Ähnliches machbar und wird auch, etwa beim Superrind "Belgian Blue", bereits seit Jahren routinemäßig durchgeführt (Anim Genet. 2003, 34(6)). Beispiel zwei HGH: US-Wissenschaftler schleusten kürzlich mittels Adenoviren Gene für die Produktion von Wachstumshormonen in Mäuse und verdoppelten damit binnen acht Wochen den Umfang ihrer Oberschenkelmuskeln.

Beispiel drei Ausdauer: Vor kurzem verwandelten Forscher um Ronald Evans vom Salk-Institut "normale" Labormäuse in ausdauernde Marathon-Mäuse. Diese hätten fast doppelt so weite Distanzen laufen können wie ihre normalen Artgenossen, berichteten die Wissenschaftler ("We describe the engineering of a mouse capable of continuous running of up to twice the distance of a wild-type littermate") und seien außerdem sehr gute Futterverwerter gewesen - eine Eigenschaft, die bei und extremem Training auch bei menschlichen Athleten sehr wichtig ist (PLoS Biol. 2004, 2(10)).

Gendoping derzeit wohl noch Utopie

Doch wie wahrscheinlich ist Derartiges im Leistungssport? Waren in den beiden letzten Wochen in Athen bereits gentechnisch getunte Olympioniken am Start, mit RNAi-gehemmtem Myostatin- oder künstlich angekurbeltem EPO-Gen? Experten winken ab. Noch sei es zu früh für derartige Manipulationen, erst in zwei bis vier Jahren müsse man mit Gendoping rechnen. Dazu kommt: So gut wie alle derzeit gebräuchlichen Doping-Praktiken basieren auf etablierten, medizinischen Verfahren - hingegen ist weltweit noch keine einzige Gentherapie zugelassen (die man für Doping missbrauchen könnte).

Andererseits wurden in der Vergangenheit schon die absonderlichsten Präparate in den Sporttaschen der Athleten gefunden. Bei italienischen Radsportlern entdeckte man vor wenigen Jahren uralte Medikamente, die gescheiterten medizinischen Studien entstammten. Das skandalumwitterte, amerikanische Balco-Labor ließ sogar völlig neuartige, im menschlichen Körper nicht vorkommende, leistungssteigernde Steroide synthetisieren (und den Athleten spritzen). "Ehrgeizige Sportler probieren alles aus, wenn eine Trophäe winkt; sie nehmen sogar den Tod in Kauf", sagte Patrick Diel vom Zentrum für präventive Dopingforschung (Sporthochschule Köln) unlängst der "Welt". Dem ist nichts hinzuzufügen.

Winfried Köppelle



Letzte Änderungen: 28.08.2004