Editorial

Gericht gibt Whistleblower Recht

Mitte Juni wies das Landgericht Berlin das Ansinnen ab, den Whistleblower Markus Kühbacher mundtot zu machen

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(18. Juli 2012) „Eine derartige Massierung objektiv unmöglicher statistischer Ergebnisse kann ich mir nur dadurch erklären, dass sie erfunden worden sind.“ Mit diesen Worten beschreibt Jens Reich, der ehemalige Leiter einer Untersuchungskommission zur Aufklärung von Fälschungsvorwürfen, was er vom sogenannten NOGO-Paper hält. Darin hatten Charité-Forscher um Nicolai Savaskan und Robert Nitsch die Rolle bestimmter Gene bei neuronalen Umbauprozessen beschrieben.

 

Das Paper wurde auf Veranlassung der Charité inzwischen zurückgezogen. Nitsch (inzwischen an der Uni Mainz tätig) passt das nicht, weswegen er gegen seinen Ex-Arbeitgeber Charité gerichtlich vorgeht (siehe Laborjournal 6/2012, Seite 3 sowie 33-35). Doch der Rechtsstreit Nitsch vs. Charité ist nicht der einzige, der derzeit im Umfeld des Berliner Universitätsklinikums läuft. Ein anderer wurde jüngst beendet: Savaskan hatte im März 2010 gegen seinen ehemaligen Kooperationspartner, den Chemiker Markus Kühbacher, eine Unterlassungsklage angestrengt.

Dieser brach nach sieben Jahren die Kooperation ab und wirft Savaskan seit Januar 2008 vor, in einem wissenschaftlichen Manuskript Versuchstiere erfunden zu haben (aus einer Ratte wurden drei, später sogar acht); ferner habe Savaskan eine videodokumentierte Verhaltensbeobachtung beschrieben, die gar nicht stattgefunden hatte; er habe nachträglich Laborbuch-Einträge manipuliert, plagiiert sowie versucht, gemeinsame Ergebnisse ohne seine Zustimmung zu veröffentlichen. Zudem seien (was nicht Teil des Verfahrens ist) im eingangs erwähnten NOGO-Paper „in der Mehrzahl der Abbildungen vorsätzlich gefälschte Angaben veröffentlicht sowie Originaldaten manipuliert“ worden (zur vertrackten Vorgeschichte siehe „Der Fehlerbalken im Auge des Forschers“).

Vor dem Landgericht Berlin trafen am 12. Juni 2012 die Kontrahenten Kühbacher und Savaskan ein weiteres Mal aufeinander. Die Richterin musste entscheiden, ob der Whistleblower Kühbacher seine eingangs erwähnten Vorwürfe gegenüber Savaskan aufrecht erhalten darf. Laborjournal-Reporter Sven Swinegel war vor Ort. Hier sein Bericht.

Winni Köppelle


„Dienstag, 10 Uhr. Der zweite und abschließende Verhandlungstag in der Sache „PD Dr. med Nicolai Savaskan gegen Dr. Markus Kühbacher“ beginnt. In Raum 145 sind anwesend: der Kläger und seine Anwältin (Nicolai Savaskan/RAin Heinzmann), der Beklagte (Markus Kühbacher/RA Kersten) – sowie Richterin und Reporter. Die Richterin hatte im Vorfeld vorgeschlagen, sich auf einen Vergleich zu einigen. Doch beide Parteien gingen auf diesen Vorschlag nicht ein. Auch im weiteren Verlauf der Verhandlung ist die Richterin bestrebt, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Der Wunsch nach Klärung der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Vorgänge gehöre nicht vor ein Gericht. Diesbezüglich könne sie keine Aufklärung leisten.

Der Schlichtungsversuch der Richterin

Ihr Vorschlag ist daher, dass Savaskan seine Klage zurückzieht und Kühbacher im Gegenzug einwilligt, zukünftig nicht länger zu behaupten, dass Savaskan nachträglich Unterlagen manipuliert habe (offenbar ein Vorwurf in einer E-Mail von Kühbacher an Savaskan). Der Begriff „nachträglich“ stellt dabei ein Problem dar, da er sich zeitlich nicht exakt fassen lässt und daher unterschiedlich ausgelegt wird.

Kühbacher jedoch hält an seinem Vorwurf fest, Savaskan habe nachträgliche Manipulationen durchgeführt, wobei sich „nachträglich“ auf einen Zeitraum erstrecke, der nach der Durchführung der Experimente liege.

Daraufhin meldet sich Savaskan zu Wort: Kühbachers Vorwürfe seien schwerwiegend und im Detail nur schwer verständlich; dies gelte besonders für die ins CC gesetzten Adressaten von Kühbachers E-Mails an ihn (Kühbachers Schriftverkehr mit Savaskan bezieht andere Personen mit ein, etwa mitbetroffene Wissenschaftler und Kommissionsmitglieder). Savaskan ist aufgebracht. Er wird sich im Verlauf der Verhandlung noch mehrfach zu Wort melden, Kühbacher ins Wort fallen und von der Richterin öfter ermahnt werden – einmal droht sie ihm gar damit, dass er den Saal verlasse müsse, wenn er weiter störe. Savaskans Anwältin meldet sich kein einziges Mal zu Wort.

Savaskans Verhalten „nicht in Ordnung“

Die Richterin setzt ihren Schlichtungsversuch fort: Verschiedene Gremien (von der Charité und der DFG eingesetzte Untersuchungskommissionen) hätten Kühbachers Aussagen gestützt; seine Kritik treffe zu. Die Richterin sagt zu Savaskan: „Wie Sie sich verhalten haben, ist nicht in Ordnung.“ Kühbacher habe erklärt, es gehe ihm nicht um persönliche Diffamierung, sondern um den Anstoß einer wissenschaftlichen Diskussion. Auf dieser Grundlage könne Savaskan seine Anklage zurückziehen. Allerdings möge Kühbacher seinerseits eine Erklärung abgeben: Er solle nicht länger behaupten, dass Savaskan manipuliert habe.

Kühbacher weist darauf hin, dass er nicht der Angreifer sei, sondern sich nur wehre. Er bestehe auf einer Klärung der Vorwürfe, die in der wissenschaftlichen Community geklärt werden müssten. Es gehe ihm nicht darum, der Richterin Arbeit zu bereiten, aber er könne sich nicht gefallen lassen, dass mit gefälschten Daten gearbeitet werde. Seine damalige Institutsleitung habe ihn ferner im Sommer 2008 aufgefordert, das DFG-Ombudsgremium einzuschalten. Der Gerichtsstreit mit Savaskan ziehe sich nun schon über zwei Jahre hin – er könne sich nicht jedesmal auf derartige Verzögerungen einlassen, zumal es mittlerweile um eine Vielzahl von Publikationen und daran beteiligte Personen gehe. Zusätzlich zu diesem Verfahren liefe in der Sache ein weiteres vor dem Kammergericht Berlin. In diesem werde er von einem Kollegen Savaskans als wissenschaftlicher Stalker diffamiert. Kühbacher sei daher auf eine Klärung angewiesen.

Die Richterin sagt, sie meine auch, dass die wissenschaftlichen Vorwürfe geklärt werden müssten, wenn auch auf anderem Weg. Doch sei auch ein Meilenstein erreicht, wenn das Verfahren zurückgenommen werde. Die Vorwürfe müssten anschließend in einer wissenschaftlichen Kommission untersucht werden.

Wunsch nach gerichtlicher Klärung

Darauf Savaskan: Kühbacher könne sich ja an einen Ombudsmann wenden, doch stattdessen nehme er sich das Recht heraus, sich eigenständig Material zu beschaffen und sich als Staatsanwalt Nr. 1 für die Wissenschaft aufzuspielen. Die Richterin entgegnet, Kühbacher seien von der Untersuchungskommission Rechte eingeräumt worden – etwa, bei Befragungen von Savaskan zugegen zu sein und ihm selbst Fragen zu stellen (was nicht ganz korrekt ist; allerdings war Kühbacher bei einer Anhörung zugegen).

Kühbacher bietet Savaskan eine gesichtswahrende Entscheidung an: Die Diskussion gehöre nicht vor Gericht, sondern vor eine wissenschaftliche Kommission. Allerdings seien alle seine Behauptungen über gefälschte Daten und Plagiate wahr, die in Savaskans Unterlassungsklage angegriffen worden seien. Dazu Savaskan: „Das ist kein Angebot.“

Kühbacher beharrt weiter auf dem Wunsch nach einer gerichtlichen Klärung (zu diesem Zeitpunkt kann das Verfahren nur noch mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen werden). Er brauche das Urteil. Savaskan müsse auch seine falsche eidesstattliche Versicherung zur Angelegenheit zurücknehmen. Kühbacher erläutert, dass sein Vertrag nicht verlängert worden sei und ihm bei der Stellensuche erhebliche berufliche Nachteile drohen würden.

Jetzt erst versteht die Richterin Kühbachers Wunsch nach einer gerichtlichen Entscheidung – auch wenn sie sich wundert, da alle bisherigen Untersuchungsverfahren Kühbacher im Prinzip gestärkt hätten. Sie werde demnächst den Termin für ihre Entscheidung bekannt geben. Ende der Verhandlung.

Hinterher meint Kühbachers RA Kersten zum Reporter, er gehe davon aus, dass die Richterin die Klage abweise. So sei beispielsweise Kühbachers Vorwurf der nachträglichen Manipulation eine „privilegierte Äußerung“. Sie habe in einer „geschützten Sphäre“ stattgefunden und sei somit von Unterlassungsklagen ausgenommen; Kühbacher habe sie in einer E-Mail gemacht, die außer an Savaskan nur an beteiligte Wissenschaftler und Mitglieder der Untersuchungsausschüsse gesendet worden sei.“

Sven Swinegel

 


Das Urteil: Savaskans Klage wird abgewiesen

Am 28. Juni verkündete das Gericht seine Entscheidung. Sie lautet: „Die Unterlassungsklage von Nicolai Savaskan wird abgewiesen. Er hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.“ Die ausführliche Urteilsbegründung steht noch aus. (-WK-)



Bild: thebroker/istock

Dieser Text ist in Laborjournal 7-8/2012 erschienen.



Letzte Änderungen: 30.07.2012
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