Editorial

„Die Wissenschaftler mit ins Boot holen!“

Bibliotheken können sich gegen Verlage nicht allein behaupten

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(18. Mai 2012) Die Wissenschaftsverlage erhöhen stetig die Preise für ihre Zeitschriften, die Bibliotheken dagegen bekommen nicht mehr Geld. Und die Wissenschaftler wollen die Zeitschriften trotzdem lesen. Laborjournal sprach mit Dagmar Sitek, der Leiterin der Fachbibliothek des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg.

Die Bibliothek des DKFZ ist eine wissenschaftliche Spezialbibliothek und versorgt die etwa 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des DKFZ, darunter um die 1.000 Wissenschaftler. Wie viele andere kleine Fach- und Fakultätsbibliotheken aus den Lebenswissenschaften, ist sie besonders von den hohen Preisen der STM-Verlage (sience, technology, medicine) betroffen.

Laborjournal: Frau Sitek, die Klagen über die Preise von wissenschaftlichen Zeitschriften häufen sich. Die Mathematische Fakultät der Uni München hat bereits Konsequenzen gezogen und alle Elsevier-Zeitschriften ab 2013 abbestellt. Die Uni Harvard empfiehlt ihren Wissenschaftlern beispielsweise in Open Access-Zeitschriften zu publizieren oder in solchen, die „vernünftige“ Abopreise anbieten. Wie sieht es bei Ihnen in der DKFZ-Bibliothek aus?

Dagmar Sitek: Ich glaube auch durch den Elsevier-Boykott ist mehr ins Bewusstsein der Wissenschaftler geschwappt, was eigentlich auf dem Zeitschriftenmarkt los ist. Auch durch Aktionen wie in Harvard oder München, die ganz klar sagen: wir machen das jetzt! Das Problem an sich ist schon ganz alt. Die Open Access-Bewegung ist ja unter anderem durch die sogenannte Zeitschriftenkrise Mitte der 1990er Jahre geboren worden. Damals haben die STM-Zeitschriftenverlage die Preise so drastisch erhöht, dass die Bibliotheken nicht mehr mithalten konnten. Das ist eine never ending story.

Glauben Sie, dass diese Boykotts und Aktionen Erfolg haben werden?

Dagmar Sitek: Das Problem der Bibliotheken ist ja eigentlich immer, dass sie nie sagen können, wir bestellen Zeitschriften ab, denn unsere Kunden – die Wissenschaftler – brauchen sie. Wenn jetzt aber unsere Kunden merken, was sich da abspielt, ist das auf jeden Fall hilfreich, denn die haben mehr Einfluss, als wir Bibliotheken. Außerdem tragen sie die Entscheidungen der Bibliotheken mit. Wenn die Wissenschaftler dahinter stehen, kann eine Bibliothek auch sagen, ja, wir bestellen ab. Das ist natürlich etwas anderes, als wenn man es einfach macht und dann als Bibliothek sozusagen der Buhmann ist und die Wissenschaftler nicht mehr arbeiten können. Von daher verspreche ich mir davon auf jeden Fall mehr, als wenn die Bibliotheken alleine boykottieren würden.

Mussten Sie schon Journals abbestellen, weil sie zu teuer wurden?

Dagmar Sitek: Ja, wir mussten das auch schon machen. Wir haben Bestandsbereinigung gemacht und geschaut, welche Journals wir nicht mehr weiter halten können. Wir haben einfach geguckt, was bei uns genutzt wird und was nicht mehr so wichtig ist. Wir haben viele einzelne Titel abbestellt, aber keine Verlagspakete – also nicht alle Titel eines Verlags auf einmal.

Ändern sich die Konditionen der anderen Abos, wenn Sie Zeitschriften abbestellen? Sodass die Verlage letztlich wieder auf die gleiche Summe kommen?

Dagmar Sitek: Das ist nicht bei allen Verlagen, aber bei den meisten. Das ist ein Knackpunkt. Ein Bestandteil des Vertrages ist immer, dass es keinen Umsatzrückgang geben darf. Das ist natürlich ein großes Problem, weil man nicht abbestellen darf, um die günstigeren Konditionen zu bekommen. Man muss immer das kleinere Übel wählen. Entweder man sagt, ich habe keine Sonderkonditionen, dafür kann ich aber abbestellen, wie ich will. Oder ich mache einen Konsortial-Vertrag, vielleicht über drei Jahre, und habe eine garantierte Preissteigerung, die unter den normalen Preissteigerungen liegt, aber das Problem, dass ich nicht abbestellen darf. Wenn wir dann feststellen, dass ein Titel nicht genutzt wird oder die Zeitschrift vielleicht nicht mehr so gut ist, werden wir die nicht los. Wir können höchstens beim Verlag betteln, ob wir einen anderen Titel dafür haben können. Wir wählen also immer das kleinere Übel.

Was kosten die Zeitschriften Ihre Bibliothek jährlich?

Dagmar Sitek: Preise darf ich nicht nennen, weil das in den Verträgen drin steht. Wir sind im Prinzip „e-only“ und haben etwa 500 E-Journal-Abos. Alleine dafür geben wir 75 Prozent unseres Sachmitteletats aus. Und da sind noch keine Datenbanken mit dabei! Wenn man die noch dazurechnet bleibt ganz wenig übrig. Der Rest ist für Monographien oder Büromaterial.

Sind die Ausgaben für die Journals in den letzten Jahren sehr angestiegen?

Dagmar Sitek: Ja, wir haben extreme Preissteigerungen. Einzelne Titel stiegen locker um 26 Prozent pro Jahr. Aber das waren Ausreißer, sonst hätten wir die Bibliothek zumachen können. Ich würde sagen das sind durchschnittlich um die 6 Prozent. Man versucht natürlich vernünftige Verträge auszuhandeln, die unter anderem beinhalten, dass die Preissteigerungen nicht zu groß sind. Die Bibliotheken der Helmholtz-Zentren haben sich zusammen geschlossen und verhandeln mit den Verlagen als Konsortium um eine gewisse Verhandlungsposition zu haben. Die Verlage wissen einfach, dass sie eine Monopolstellung haben. Bestimmte Zeitschriften, die gut benutzt werden, müssen wir kaufen. Wir können unseren Wissenschaftlern nicht sagen, dass wir das nicht machen. Wobei ein Umdenken stattfindet. Das sieht man jetzt, wenn eine Fakultät komplett die Elsevier-Journals abbestellt.

Wäre auch an ihrer Bibliothek denkbar alle Elsevier-Journals abzubestellen?

Dagmar Sitek: Konkret Elsevier können wir nicht abbestellen, das ist unser größtes Paket, mit den für uns wichtigen Zeitschriften. Wir würden das höchstens auf Einzeltitel beschränkt machen.

Bietet Elsevier überhaupt noch Einzeltitel an?

Dagmar Sitek: Ja, natürlich. Man ist nicht gezwungen in Konsortial-Verhandlungen mitzumachen. Das ist jedenfalls unsere Erfahrung. Ich weiß nicht, ob das bei den Universitäten anders ist.

Bekamen Sie Zeitschriften-Bündel angeboten?

Dagmar Sitek: Ja, das machen die Verlage gerne. Das nennt sich immer anders, bei Elsevier ist es die Freedom Collection. Man hat dann ein Paket, in dem auch Titel drin sind, die man nicht benötigt, oder die nicht so gut gehen. Aber wir haben nicht mitgemacht.

Haben kleinere Verlage anständige Konditionen?

Dagmar Sitek: Das sind die Verlage, die sich das nicht leisten können. Da merkt man mal wieder die Monopolisierung. Man muss wirklich Elsevier nennen, weil der der größte ist. Die haben viel aufgekauft; alles, was ein bisschen relevant war. Die Kleinen können sich das in der Regel nicht leisten, weil man eher noch verzichten würde, wenn das nicht grade eine wichtige Impact-Faktor-Zeitschrift ist.

Es gab in der Vergangenheit immer mal wieder Preisoffensiven, von Springer beispielsweise 2007. Wie haben Sie damals reagiert?

Dagmar Sitek: Ich war damals noch nicht Leiterin der Bibliothek. Man versucht natürlich immer zu verhandeln. Das Problem ist, dass man eine schlechte Position hat. Wir können nicht sagen die Journals sind zu teuer, lest doch einfach mal was anderes. Die Position der Verlage war immer sehr viel stärker, weil die letztendlich immer sagen konnten, wir wissen, dass ihr die Zeitschriften braucht. Ich finde es wirklich gut, wenn die Wissenschaftler jetzt mit ins Boot geholt werden. Ich mache die Erfahrung immer wieder, dass die aus allen Wolken fallen, wenn man ihnen konkrete Zahlen vorlegt. Wenn Sie einmal auf eine Verlagshomepage gehen, gibt es da oft eine personal subscription, die kostet einen Bruchteil von dem, was wir bezahlen. Ich habe immer das Gefühl, die Wissenschaftler glauben, wenn sie das für 200 Dollar kriegen, dass die Bibliothek dann vielleicht 2.000 Dollar zahlt. Doch wir bezahlen in der Regel sehr viel mehr, das können beispielsweise 20.000 Dollar sein.



Interview: Valérie Labonté
Bild: privat



Letzte Änderungen: 20.12.2012
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