Editorial

Kalte Blitze

Blaues Licht, um Wunden zu heilen? Klingt futuristisch, wird in Greifswald aber gemacht. Und auch sonst fast überall.

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(15. Februar 2012) Thomas von Woedtke ist weltweit der erste Professor für Plasmamedizin. Das hat nichts mit Blut zu tun, vielmehr erforscht er am Leibniz-Institut für Plasmaforschung und Technologie (INP) Greifswald die Wirkung von kaltem physikalischem Plasma auf lebende Materie.

Ein solches Plasma wird als der vierte Aggregatzustand bezeichnet: Energiezufuhr verursacht Zusammenstöße der Moleküle, Elektronen werden aus der äußersten Elektronenschale herausgeschlagen, das Gas ionisiert. Die Elektronenstöße können auch Molekülbindungen, etwa von Sauerstoff, aufbrechen, wodurch die reaktionsfreudigen freien Radikale entstehen. Diese wirbelnde Mischung aus freien Elektronen, Radikalen und positiv geladenen Ionen ist das Plasma. „Ein alltägliches Naturphänomen“, winkt Thomas von Woedtke ab. „Auch die Sonne ist ein Plasma, ebenso wie Blitze und Nordlichter.“

Ein ganz neues Phänomen ist es jedoch in der Medizin. Den Weg dahin fanden Plasmen auf indirektem Wege. Plasmen werden schon seit langem in der Industrie angewendet, etwa in   Neonröhren oder Energiesparlampen, bei Plasmaschneidern in der Werkstoffbearbeitung und beim Plasmaätzen in der Oberflächenbehandlung. Außerdem nutzt man Plasmaentladungen zur Herstellung von Ozon für die Wasseraufbereitung – in Schwimmbädern entfernt es die Desinfektionsnebenprodukte, die den „Hallenbadgeruch“ verursachen. Wissenschaftler entdeckten, dass diese Plasmen auch antiseptisch wirken und erkannten das Potenzial für medizinische Anwendungen, wie die Sterilisation und Dekontamination von Geräten oder die Behandlung von Implantatmaterialien.

Sterilisation als Einstieg


An dieser Stelle betrat Thomas von Woedtke die Plasmabühne. Der Greifswalder Pharmazeut forschte damals über enzymatischen Biosensoren für die Diabetestherapie. Diese Glukosesensoren bestehen aus einem Grundsensor, der aus einer zentralen Platin-Anode und einer Silber-Referenzelektrode besteht und mit einer Polymermembran beschichtet ist. Auf dieser befindet sich das immobilisierte Enzym Glukoseoxidase.

Die nadelförmigen Biosensoren werden unter die Haut implantiert, man muss sie daher sterilisieren. Dies ist mit normalen Sterilisationsverfahren wie Bestrahlung nicht möglich, da die Funktionalität der Enzyme beeinträchtigt und die Polymermembran angegriffen würden. Eine Plasmabehandlung war eine echte Alternative. Daher ergriff von Woedtke 2005 die Möglichkeit beim Schopfe, am INP Greifswald in ein Projekt zum Thema Plasmasterilisation einzusteigen.
„Der Ausgangspunkt der ganzen Geschichte war, dass auf empfindlichen Oberflächen, die etwa thermo- oder strahlungssensitiv sind, die gängigen Sterilisationsverfahren nicht angewendet werden können, im Gegensatz zur Plasmabehandlung. Uns kam die Idee, dass man so auch auf anderen empfindlichen Oberflächen, wie der Haut oder chronisch infizierten Wunden, Mikroorganismen inaktivieren könnte“, erzählt von Woedtke. „Unser Institutsdirektor, Klaus-Dieter Weltmann, bewies den richtigen Instinkt, als er sagte, dass sich die biomedizinischen Anwendungen möglicherweise lohnen.“

Aus dieser Idee entstand 2008 das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Campus PlasmaMed“, das Biologen, Mediziner und Physiker zusammenbrachte. Die einen führten die bio-medizinischen Experimente mit Zell- und Gewebekulturen bis hin zu in vivo-Tests durch, die anderen entwickelten die Plasmaquellen.
 
Heilen mit kalten Flammen


Herzstück der Bemühungen war die Entwicklung von Plasmaquellen zur Erzeugung von „kalten Plasmen“ bei normalem Luftdruck. In diesen Atmosphärendruck-Plasmaquellen werden Elektronen im Arbeitsgas – in der Regel das Edelgas Argon – durch elektrische Felder beschleunigt. Die Elektronen rempeln mit Argonatomen zusammen und stoßen weitere Elektronen heraus, bis sich das Plasma entzündet. Das Plasma ist ionisiert, ähnlich wie in einer heißen Flamme. Allerdings sind innerhalb des Gases nur die leichten Elektronen schnell und heiß – teilweise mehrere tausend Grad Celsius. Die größeren und schwereren Ionen werden im elektrischen Feld kaum beschleunigt und bleiben kalt. Im Mittel ergibt sich eine angenehm warme Plasmaflamme, die Raum- oder Körpertemperatur nicht überschreitet.

Es besteht also keine Verbrennungsgefahr bei der Plasmabehandlung. „Die Therapie ist für Patienten völlig schmerzfrei. Einen Nadelstich spürt man deutlicher als das Plasma“, bestätigt von Woedtke. Aber noch ist es nicht soweit.
 
Effizienter Mikrobenkiller


Bisher sind noch Agarplatten die Versuchsobjekte für die Plasmareinigung. Der Greifswalder Dermatologe Georg Daeschlein und sein Team simulierten in vitro die Kolonisation von Wunden mit medizinisch relevanten Bakterien wie Staphylococcus aureus oder dem Pilz Candida albicans. Gegen das Plasma hatten die Erreger keine Chance: Eine kurze Behandlung reichte, um die Kolonien in einem „klinisch relevanten Umfang“ zu reduzieren (IEEE Trans Plasma Sci 2011, 39(2):815-21).

„Sehr schnell kam die Erkenntnis hinzu, dass wir mit Plasma möglicherweise nicht nur Mikroorganismen auf der Wundoberfläche töten, sondern auch den Heilungsprozess selber stimulieren können“ berichtet von Woedtke. Eine klinische Studie, die Georg Isbary von der Münchner Dermatologie mit Kollegen durchgeführt hatte, deutete in dieselbe Richtung (Br J Dermatol 2010, 163(1):78-82). Ob dies allein durch die Antiseptik erreicht wurde oder ob es noch einen zusätzlichen Effekt gibt, möglicherweise eine biologische Wirkung der Plasmakomponenten, konnten die Münchner jedoch nicht differenzieren – der Einfluss der unterschiedlichen Plasmakomponenten war nicht getrennt messbar.

Dies holten die Greifswalder nun mit dem Scratchassay nach. In diesem in der Arzneimittelforschung weit verbreiteten Wundheilungsassay wird eine adhärent wachsende Zellkultur mechanisch beschädigt. Anschließend misst man die Geschwindigkeit, mit der die Lücke wieder zusammenwächst. Das Plasmateam um von Woedtke zeigte, dass sich die zerstörten Zellschichten nach Plasmabehandlung schneller schließen als in der Kontrolle. Warum das so ist, weiß noch niemand.

Energie-Cocktail


So viel steht schon mal fest: Plasma ist eine effiziente Waffe gegen Keime. Selbst Antibiotika-resistente Bakterien wie Methicillin-resistente Staphylokokken, die in Krankenhäusern für rund ein Drittel aller chronischen Infektionen verantwortlich sind, lassen sich mit kaltem Plasma abtöten.
Dieser Cocktail aus reaktiven Molekülspezies, Ionen und Radikalen, sichtbarer und UV-Strahlung sowie Wärmeenergie erzeugt in seiner Synergie die Wirkung des Plasmas. Zu untersuchen, wie die einzelnen Komponenten auf molekulare Strukturen in Zellen oder Biofilm-bildenden Mikroorganismen wie Staphylococcus epidermidis wirken, war für die Greifswalder Plasmologen der logische nächste Schritt. Dabei war es weder technisch noch experimentell ein Zuckerschlecken, den Einfluss der verschiedenen Plasmakomponenten zu trennen – zu viele Parameter. Je nach Plasmaquelle kann die Wirkungsweise stark variieren. Selbst Plasmaquellen mit identischen technischen Parametern können innerhalb einer Versuchsreihe eine unterschiedliche Wirkung auf biologische Systeme haben, und sei es nur aufgrund von Spannungs- oder Frequenzschwankungen.

Doch die gut ausgebaute Plasmadiagnostik am INP Greifswald meisterte auch diese Hürde. Das Protokoll liest sich simpel, aber arbeitsintensiv. Zuerst wollen Zellen oder Mikroorganismen mit verschiedenen Plasmen behandelt werden, deren Zusammensetzung bekannt und physikalisch messbar ist. Anschließend prüft man Vitalität und Wachstum. Unterschiedliche biologische Effekte versucht man mit den verschiedenen Plasmakomponenten zu korrelieren. Dabei kommen auch Faktoren wie Temperaturschwankungen, veränderte Radikalbildung oder eine ungleichmäßige Intensität der UV-Strahlung in Betracht.

Die Komponenten, die möglicherweise für einen Effekt die dominierenden sind, setzt man im nächsten Schritt einzeln ein – unterscheiden sich die Plasmen etwa in ihrer UV-Strahlung, benutzt man in den anschließenden Experimenten nur eine UV-Strahlungsquelle, um diesen Effekt nachzustellen. So nähern sich die Greifswälder der Lösung Schritt für Schritt.

Bisher nebenwirkungsfrei


„Vieles deutet darauf hin, dass die wirksamen Komponenten im Plasma neben der elektromagnetischen Strahlung die reaktiven Spezies sind, also Radikale. Unsere Hypothese ist, dass die Radikale im Plasma die endogenen radikalvermittelten Abwehr- und Heilungsmechanismen von Gewebe unterstützen und die Bildung von Zellmediatoren wie Stickstoffmonoxid antreiben. Das Problem ist, dass Radikale vor Ort gebildet werden und sehr kurzlebig sind. Sie können ihre Effekte zwar ganz gut entfalten, verfallen aber für messtechnische Zwecke viel zu schnell, da sie untereinander oder mit anderen Molekülen rekombinieren. Das macht die Diagnostik kompliziert“, erklärt von Woedtke.

Dennoch werden schon jetzt hohe Erwartungen in die Plasmamedizin gesetzt. Bislang gibt es auch keinen Grund, sich Sorgen über mögliche schädigende Wirkungen von Plasma auf gesundes Gewebe zu machen. „Bisher wissen wir, dass diese stimulierenden Effekte mit sehr niedrigen Behandlungszeiten erreicht werden können, bei denen noch keine toxischen Effekte auftreten. Das therapeutische Fenster ist wahrscheinlich sehr groß“, so von Woedtke.

Neben der Anwendung bei der Wundantiseptik, kombiniert mit einer zusätzlichen Stimulation des Heilungsprozesses bei chronischen Wunden, denkt man am INP Greifswald noch über eine weitere Möglichkeit nach: die Zahnheilkunde. Mikroorganismen organisieren sich in einer widrigen Umwelt gern zu Biofilmen. Was den Mikroben gefällt, macht jedoch dem Menschen, der am Zahn dranhängt, schwer zu schaffen. „Periimplantitis und Parodontitis sind schwierig zu behandeln und für den Patienten sehr belastend“, erklärt von Woedtke. Auch hier hilft Plasma – einfach und schnell. „Mit Plasma können wir Biofilme effektiv entfernen. Das gleiche gilt für die Desinfektion von Zahnwurzelkanälen, bevor Füllungen gemacht werden.“

Weltweit arbeiten fünf große Zentren an der Plasmamedizin. Neben den Forschern am MPI für extraterrestrische Physik in München (MPE), die an der klinischen Studie beteiligt sind, ist die Drexel University in Philadelphia zu nennen. Dort begann man vor fünf bis sechs Jahren, sich im großen Stil mit Plasma zu beschäftigen. Eine frisch aufgebaute Plasma-Gruppe an der New York University hat den Schwerpunkt Zahnmedizin und Dermatologie. Ein französisches Team versucht sich sogar an der Plasmabehandlung von Krebs.

In Göttingen richtete die Fraunhofer-Gesellschaft im Januar ein Plasma-Anwendungszentrum ein, wo unter anderem auch der Einsatz der Plasmatechnologie in der Medizintechnik untersucht werden soll. Außerdem entsteht gerade ein sechstes Zentrum in Korea, mal ganz abgesehen von der ständig wachsenden Zahl kleinerer Plasma-Arbeitsgruppen weltweit. Auf regelmäßigen Treffen tauscht die Plasma-Community Ergebnisse aus und diskutiert die vielen offenen Fragen.

Plasmapharmazie


Von Woedtke bleibt der Grundlagenforschung treu. Er und seine Kollegen verfolgen eine neue Idee: „Eine ganze Reihe von Effekten beruht scheinbar auf einer Veränderung der die Zellen umgebenden Flüssigkeit.“ Die Forscher zeigten, dass eine Plasmabehandlung von destilliertem Wasser oder Pufferlösungen die Flüssigkeitszusammensetzung verändert. Sie wiesen die Bildung von molekularen Verbindungen wie Nitrat, Nitrit, Salpetersäure oder Wasserstoffperoxid in den mit Plasma behandelten Flüssigkeiten nach. Allein die Senkung des pH-Wertes durch Salpetersäure könnte Bakterien den Garaus machen. Andererseits könnten Nitrit, Nitrat und Wasserstoffperoxid als Grundlage für weitere chemische Reaktionen dienen, bei denen biologisch aktive Intermediate wie Stickstoffmonoxid oder Stickstoffdioxid entstehen (Katrin Oehmigen et al., Plasma Process Polym 2011, 8:904-13). Möglicherweise lassen sich allein durch die Behandlung von Flüssigkeiten und die anschließende Applikation auf Zellen bereits biologische Effekte erzeugen. Auf diese „indirekte Plasmabehandlung“ oder auch „Plasmapharmazie“ setzt man international große Hoffnungen.

Greifswald perfekt vorbereitet


Warum wurde trotz des internationalen Hypes um das Thema gerade in Greifswald die weltweit erste Professur für Plasmamedizin eingerichtet? „Der Vorteil am Standort Greiswald ist die gute Kombination aus Grundlagenforschung und anwendungsorientierter Forschung“, meint von Woedtke. „Dies nicht zuletzt auch wegen der öffentlichen Förderung.“ Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) bewilligte für die 2011 eingeleitete zweite Förderperiode 5,7 Millionen Euro, und von Woedtke hat noch große Pläne. „Die Förderung läuft bis Ende 2013. Bis dahin ist unser Ziel, das Ganze soweit voranzubringen, dass Industriepartner in die Finanzierung mit einsteigen.“ Konkret ist dies, eine transportable Plasmaquelle für eine therapeutische Anwendung in der Praxis zu bringen und zu zeigen, dass die Plasmamedizin funktioniert. „Jeder möchte der erste sein“, lächelt von Woedtke. Für die Zahnmedizin sind bereits sehr schmale, dünne Plasmen entwickelt worden, die aussehen wie ein Stift mit einer kleinen Flamme.

Für die Behandlung von Hauterkrankungen sind allerdings großflächigere Plasmen notwendig. Zusätzlich benötigt man nur eine Spannungsversorgung und eine Gasversorgung, so dass die Investitionskosten im unteren fünfstelligen Bereich liegen können. Im Prinzip eine einmalige Investition, die kaum Verbrauchsmaterial benötigt, auch für Arztpraxen geeignet und nicht an ein hochtechnisiertes Klinikum gebunden wäre.

Plasma für jede Gelegenheit


Von Woedtke vergleicht die Plasmamedizin mit der Lasermedizin. Laser sind heutzutage in nahezu allen medizinischen Disziplinen vertreten, ob in der Augenheilkunde, etwa zum Verschweißen sich ablösender Netzhaut, oder in der Dermatologie, wo Laser zum Veröden eingesetzt werden. Und nicht zuletzt in der Endoskopie gehört das Laserskalpell zur Standardausrüstung.

 

Die Situation vor fünfzig Jahren sah anders aus und erinnert an den heutigen Stand der Plasmamedizin: neues Prinzip, einige wenige Enthusiasten, die das Feld vorantrieben und eine Menge Skeptiker. Mittlerweile ist die Lasermedizin etabliert. Von Woedtke hofft, dass sich die Plasmamedizin in ähnlicher Weise entwickeln wird. „Unser Fernziel ist, dass Plasmamedizin so selbstverständlich angewendet wird wie die Lasermedizin.“


Miriam Colindres
Bild: mamboben / photocase.com

Dieser Text ist in Laborjournal 1-2/2012 erschienen.

 

 

Links:

Gesellschaften/Konferenzen:
4th International Conference on Plasma Medicine
International Society of Plasma Medicine

Weitere Gruppen, die an Plasma forschen:
Russian Academy of Sciences, Institute of Energy Problems for Chemical Physics
Frank Batten College of Engineering & Technology, Laser and Plasma Engineering Institute, Norfolk, Virginia
Michigan Institute for Plasma Science and Engineering
School of Electronic, Electrical and Systems Engineering, Loughborough University, Leicestershire, UK
Department of Chemical and Biomolecular Engineering, University of California, Berkeley
University of Bari, Italy, Plasma & Polymer Research Group



Letzte Änderungen: 28.02.2012
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