Editorial

Blitzeblank mit Schimmelkäse

Züricher Ingenieure entwickeln eine Folie mit verblüffender Selbstreinigungskraft

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(24. Januar 2012) Folien, die Schmutz einfach abbauen oder Oberflächen, die Antibiotika produzieren – dieser Traum aller Putzmuffel und Hygienefreunde könnte bald wahr werden. Forscher um Wendelin Stark von der ETH Zürich haben eine Kunststofffolie entwickelt, die Schmutz einfach verschwinden lässt. Der Trick: Schimmelpilzkulturen werden zwischen zwei Kunststofflagen kultiviert und ernähren sich vom „Dreck“, der auf der Oberfläche der Folie landet.

Das Prinzip ist nicht neu, schon seit Jahrhunderten verwenden wir Mikroorganismen, um zum Beispiel Nahrungsmittel haltbar zu machen, also möglichst frei von unerwünschten Keimen zu halten. Zu den edelsten Produkten dieses Erfindungsreichtums gehört Schimmelkäse: Die samtig-weiche Rinde von Camembert oder die Schale von Munster und Co. schützen ihren weichen Kern vor feindlichen Bakterien. Die Arbeitsgruppe um Wendelin Stark am Züricher Institut für Chemie- und Bioingenieurswissenschaften hat sich diese Eigenschaften zunutze gemacht und sich am Frühstückstisch inspirieren lassen. Ihre Konstruktion ist mit einem Sandwich zu vergleichen: Auf einer undurchlässigen, inerten Folie, die beispielsweise aus PVC oder einem Bindemittel bestehen kann, wird ein Pilz kultiviert; im Prototyp war das der Edelschimmelpilz Penicillium roqueforti. Auf diese lebende Zwischenschicht wird eine Art Kunststoffgitter mit Poren von 400 Nanometern Durchmesser aufgebracht, welches zwar den Austausch von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid und den Nährstofftransport ermöglicht, die Pilzhyphen aber daran hindert aus dem Zwischenraum herauszuwachsen (Gerber et al., Proc Natl Acad Sci 2012, 109(1), 90-4).

Wie gut die Pilze Nährstoffe von außen verwerten können, hängt von der Zusammensetzung und der Konzentration des Futters ab. Je höher die Glucosekonzentration einer Kartoffel-Glucose-Lösung war, desto stärker war das Hyphenwachstum. Nach acht Tagen hatten die gefräßigen Versuchsobjekte 94 Prozent des vorhandenen Zuckers verwertet. Nach sechs weiteren Tagen war keine Glucose mehr nachweisbar. Offenbar bremst der knapp werdende Platz die Vermehrung und damit den Hunger von Penicillium. Das schnelle Wachstum der Kolonien lässt sich sogar mit bloßem Auge beobachten: Die anfangs transparenten Folien werden mit zunehmendem Pilzwachstum trüb.

Bleibt Nahrung aus, gehen die Kolonien in ein Ruhestadium über und bilden Sporen. So können sie auch längere Hungerphasen unbeschadet überstehen. Ohnehin sind die Kulturen sehr widerstandsfähig: Weder Ethanol noch Seife konnten den Pilzen etwas anhaben. Ihre Robustheit hat die Folie der porösen Deckschicht zu verdanken, die externe Einflüsse reduziert. Änderungen der Umwelt kommen langsam im Habitat an und erleichtern den Organismen die Anpassung. Allein extreme Trockenheit schädigte die Kolonien irreversibel.

Die Selbstreinigungskraft der sogenannten „living surfaces“ sei allerdings nur ein netter Nebeneffekt, erklärt Erstautor und Doktorand Lukas Gerber: „Wir können uns verschiedene Anwendungen vorstellen. Die Folie könnte gestapelt als Bioreaktor für die Produktion von Antibiotika oder bestimmten Toxinen zum Einsatz kommen. Im Moment experimentieren wir mit Algen. Die haben den Vorteil, dass sie nicht gefüttert werden müssen, sondern sich von Licht und Kohlenstoffdioxid ernähren. Daraus könnten irgendwann lebende Luftaufbereiter werden, die man im Zimmer aufhängen kann. Das würde sogar ganz hübsch aussehen.“

 

 

Andrea Perino
Bild: anchelito / photocase.com




Letzte Änderungen: 01.02.2012
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