Editorial

Von gläsernen Knochen und blauen Augen

Kölner Wissenschaftler sind einer schwer ausgeprägten Form der Glasknochenkrankheit Osteogenesis imperfecta auf die Spur gekommen.

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(10. März 2011) Im märchenhaft anmutenden Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ leidet einer der Charaktere an der Glasknochenkrankheit Osteogenesis imperfecta (OI). Der Maler mit den stets verbundenen Armen hat so empfindliche Knochen, dass sie bei der kleinsten Erschütterung brechen. Deshalb ist seine ganze Wohnung gepolstert.

Die Forscher um Jutta Becker vom Institut für Humangenetik der Uni Köln haben nun ein Gen identifiziert, dessen Mutation für einen kleinen Teil der Patienten mit schwerer OI verantwortlich sein könnte. OI-Patienten haben besonders spröde Knochen, die auf Röntgenbildern wie Glas aussehen, da zu wenig schattengebende Knochensubstanz vorhanden ist. Sie sind oft kleinwüchsig oder haben verformte Extremitäten, weil die Knochen dem steten Muskelzug nicht standhalten können. Andere Symptome können eine blau gefärbte Lederhaut des Auges (Sklera) oder überdehnbare Gelenke sein.

 

Bisher ging man davon aus, dass für die Entstehung der Krankheit Mutationen verantwortlich sind, die die Kollagenbildung stören: Entweder in einem der Gene für die beiden Untereinheiten des Kollagen I oder in einem von zwei Genen, die für akzessorische Proteine codieren. Das trifft auch bei bis zu neunzig Prozent der Fälle zu. Bei einer kleinen Gruppe von Patienten mit besonders schwerem Verlauf könnten aber Mutationen in einem Gen beteiligt sein, das für ein Protein codiert, das die Neubildung von Blutgefäßen, die Angiogenese, beeinflusst (Am J Hum Genet 2011 Feb 23. (Epub ahead of print)).

Nachdem sie Mutationen in den bekannten OI-Genen ausgeschlossen hatten, suchten Becker et al. im Genom eines Patienten, dessen Eltern Cousin und Cousine zweiten Grades waren, nach homozygoten Mutationen, die ein gemeinsamer Vorfahr bereits auf beide Elternteile vererbt hatte. Mit dieser Einschränkung kartierten sie das Exom des Patienten per Next-Generation-Sequencing und fanden, dass SERPINF1 in beiden Kopien mutiert vor lag (truncating mutation). Bei drei weiteren Erkrankten mit ebenfalls blutsverwandten Eltern fanden sie Mutationen in dem selben Gen.

SERPINF1 codiert für das Protein PEDF (pigment epithelium-derived factor), einem anti-angiogenetischen Glykoprotein, das das Wachstum von neuen Blutgefäßen hemmt – und wie die Forscher nun vermuten, auch an der Selbstregulation der Knochen (Knochenhomöostase) beteiligt ist.

Aus der gleichen Genfamilie entdeckten Berner Forscher um Cord Drögemüller bereits 2009 ein Gen, dessen Mutation homozygot ebenfalls die Glasknochenkrankheit auslöst – die Patienten waren hier allerdings Dackel (PLoS Genet 5(7): e1000579). SERPINH1 codiert für das Chaperon HSP47, das bei der Faltung der Kollagentriplehelix aus drei Polypeptidsträngen hilft. Ist diese nicht richtig ausgebildet, zeigen die Hunde Symptome der OI wie brüchige Knochen und Zähne. Drögemüller et al. vermuten, dass Mutationen von SERPINH1 auch beim Menschen die Krankheit auslösen könnten.

Für die Forscher sind Dackel zudem ideale Untersuchungskandidaten: Gegenüber Mäusen haben sie den Vorteil, dass sie größer sind und deshalb die mechanischen Belastungen der Knochen denen bei Menschen ähnlicher sind. Gegenüber Menschen haben sie den Vorteil, dass sie über mehrere Generationen beobachtet werden können. Zudem dokumentieren viele Züchter die Stammbäume, so dass sich Genmutationen leicht zurückverfolgen lassen.

Doch inzwischen haben Drögemüller und Co. einen SERPINH1-Gentest entwickelt, um Dackel, die eine Mutation tragen, aufzuspüren. Damit können Züchter in Zukunft so planen, dass nur Welpen mit gesunden Knochen auf die Welt kommen. 

So wird der Dackel doch nicht des Menschen liebstes Versuchstier, sondern bleibt weiterhin „nur“ sein bester Freund.

 

 

Valérie Labonté
Bildnachweis: tmischek/photocase



Letzte Änderungen: 04.03.2013