Editorial

Der Fehlerbalken im Auge des Forschers

"Der Charité-Skandal" (Folgen 1-10 und 11, Update vom 4. März 2010) -- Es gehen Gerüchte, Forscher an der Charité hätten eine Unzahl von gefälschten Papern veröffentlicht. Höchste Stellen seien verwickelt, der Filz reiche bis nach Hamburg. Selbst Ulrike Beisiegel, Sprecherin des Ombudsman der DFG, Kandidatin für das Präsidentenamt der Göttinger Universität, Ikone der deutschen Wissenschaftsethik, wurde angegriffen.

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Da biegt sich der (Fehler-)Balken

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Eine weitere von Kühbacher inkriminierte Nitsch Publikation ist Faseb J. April, 2003 „Molecular analysis of Nogo expression in the hippocampus during development and following lesion and seizure“ (Nogo Paper). Die Autoren sind Susan Meier, Anja Bräuer, Bernd Heimrich, Martin Schwab, Robert Nitsch und Nicolai Savaskan. Savaskan und Nitsch sind gemeinsam Seniorautoren. Im Nogo Paper sei unter anderem die Figur 14 fehlerhaft, sagt Markus Kühbacher. Das habe die Erstautorin Susan Meier auch ihm, Kühbacher, gegenüber zugegeben. Die Blotabbildung stamme jedoch nicht von ihr, sagte Frau Meier bei dieser Gelegenheit. Auch habe sie die Videofilme und die dazugehörigen Tierversuche, die im Nogo Paper erwähnt werden, nicht selber gesehen. Auch zu den übrigen von Kühbacher thematisierten Auffälligkeiten in der Statistik des Nogo Papers (Fehlerbalken gleicher Größe in etlichen Abbildungen und vermeintliche Signifikanzen) konnte Frau Meier nichts sagen.  Kühbacher empfahl ihr daraufhin, sich an eine Person ihres Vertrauens zu wenden. Frau Meier wandte sich dann an den Ombudsman der Charite, Sperling.

 

Kühbacher hatte sich in Sachen Nogo Paper auch an Martin Schwab in Zürich gewandt. Kühbacher will in seiner Auffassung bestätigt worden sein.

 

Nach den Untersuchungen des Laborjournal-Reporters ist die Figur 14 im Nogo-Paper tatsächlich fehlerhaft. So kann die Höhe der Säule 3 in Figur 14 C nicht wie angegeben durch Division der Säulen 3 in Figur 14 A und B entstanden sein.

 

Nicolai Savaskan dazu: „In der Tat ist in Figur 14 B die Säule 3 zu groß angegeben. Nach den Originaldaten wäre sie um einen Faktor vier kleiner. In den Figuren 14 A und der für die Aussage entscheidenden 14 C wurde jedoch mit den Originaldaten gerechnet, diese sind also richtig. Durch den Fehler wird die Aussage eher abgeschwächt. Der Fehler geschah beim Exportieren der primären Dateien aus der Excel Datei in eine Corel-Grafik.“


Auf Rückfrage von Laborjournal bei Susan Meier, ob noch andere Daten fehlerhaft seien und wer die Figuren und Tabellen erstellt habe, verwies Susan Meier auf die Pressesprecherin der Charite, die wiederum informierte Prodekan Tauber und der wollte zu einem laufenden Verfahren keine Auskunft geben.

 

Der Fall wurde von Kühbacher dem DFG Ombudsgremium vorgelegt, ob er auch vom DFG-Ausschuß für wissenschaftliches Fehlverhalten untersucht wird, ist dem Laborjournal-Reporter nicht bekannt.

 

Zahllose Sitzungen

Inzwischen sind bzw. waren in der Sache vier Kommissionen tätig. Zu den schon erwähnten Untersuchungsausschüssen der DFG, der Charite und des HMI untersuchte in Hamburg noch eine Kommission Kühbachers Vorwürfe gegen Ulrike Beisiegel. Letztere kam in Übereinstimmung mit den unabhängigen Untersuchungen des Laborjournal-Reporters zu dem Schluß, daß Frau Beisiegel bzgl. der von Kühbacher angesprochenen Auffälligkeiten in insgesamt 9 Publikationen kein Fehlverhalten vorgeworfen werden könne (der Laborjournal Reporter hatte nur 5 Publikationen untersucht, siehe Folgen 10,11). Kühbacher hatte der Kommission nicht nur Publikationen von Frau Beisiegel vorgelegt, sondern auch solche aus ihrem Umfeld, z.B. von ihrem ehemaligen Doktoranden Matthias Rath. Im Falle der Dissertation Sperber empfahl die Kommission ein Erratum.

 

Kühbacher hatte Frau Beisiegel zudem vorgeworfen: „... sowohl der DFG als auch der Untersuchungskommission der Charité, ein nach Angaben von Herrn Prof. Dr. Löwer "sprachlich geglättetes" Protokoll der Anhörung meiner Person und des Herrn Dr. Savaskan vom 21.10.2008 übersandt zu haben. Dieses Protokoll wurde mir nie zur Unterschrift vorgelegt. Nach mir vorliegenden Informationen werden in diesem Protokoll wesentliche und insbesondere beweiserhebliche Angaben von Herrn Dr. Savaskan verschwiegen, die er
während der Anhörung über die Anzahl der von ihm vermeintlich verwendeten
und mit Se-75 markierten Ratten geäußert hat.“
Die Kommission erklärte sich als nicht zuständig für diese zusätzlichen Vorwürfe und empfahl Kühbacher, sich an die DFG zu wenden.

Bemerkung des Laborjournal Reporters: Der Ombudsman legt seine Protokolle den Beteiligten nie zur Unterschrift vor.

 

Anfang Dezember hatte der DFG-Ausschuß eine Sitzung in Sachen Kühbacher/Savaskan. Nach Auskunft des DFG-Pressesprechers Marco Finetti sei auf der Sitzung die Untersuchung nicht abgeschlossen worden. Der nächste Sitzungstermin stehe noch nicht fest. Aus nichtamtlichen Quellen erfuhr Laborjournal, daß der DFG das Gutachten inzwischen vorliege. Danach sei nicht gefälscht worden. Um die Charite Kommission nicht zu beeinflussen, warte die DFG mit der Veröffentlichung bis die Charite Kommission ebenfalls zu einem Urteil gekommen sei. Herr Finetti meinte dazu, daß die DFG die Untersuchung nicht abgeschlossen habe. Sie warte die Ergebnisse der Charite Kommission ab, die in die DFG-Untersuchung einflössen.

 

Am 18.12.09 gab es eine nichtöffentliche Anhörung von Kühbacher und Savaskan vor der Untersuchungskommission der Charite. Die Anhörung war eine kühle Angelegenheit: Savaskan sagte Sie zu Kühbacher und Kühbacher sagte Du zu Savaskan. Auch war der Seminarraum ungeheizt und manche der Kommissionsmitglieder trugen Mäntel. Nach Kühbachers Schilderung habe Savaskan nun behauptet, auch die erste Version von Ms1 geschrieben zu haben. Des weiteren habe Savaskan nun behauptet, er habe mit Kühbacher zusammen geschnitten. Befragt zu der Figur 3B habe Savaskan eine halbe Stunde lang laviert und dann gemeint, er habe die Daten vielleicht doch irrtümlich aus Ms1 übernommen. Es habe sich auch herausgestellt, daß die von Kühbacher für das Ms1 verwendeten Gewebeschnitte verschwunden seien, sie seien auch nicht unter den von Ninnemann nach Zürich geschickten Schnitten gewesen. Des weiteren habe Savaskan erzählt, daß er die ImageJ Dateien mit den Originaldaten nicht abgespeichert habe. Das sei grundsätzlich auch für in situ Daten im Institut für Anatomie so üblich.

 

Herr Savaskan hat die Sitzung anders in Erinnerung. Er habe nicht gefroren. Er habe auch nicht zugegeben, daß Kühbacher die erste Version des Ms1 geschrieben habe. Vielmehr basiere Ms1 auf einem Antragsvorschlag von Savaskan, den dieser 2002 der Abteilung Behne vorgestellt habe. Was das Schneiden betreffe, so habe er Kühbacher in den Kryostaten eingewiesen, und hier mit Kühbacher zusammen geschnitten, er habe aber auch alleine mit seiner TA geschnitten. Zudem sei Kühbacher später noch oft alleine zum Schneiden da gewesen. Zur Fig. 3B habe Kühbacher eine halbe Stunde lang einen Vortrag über ImageJ und wissenschaftliches Fehlverhalten gehalten. Er, Savaskan, habe erklärt wie er die Schnitte ausgewertet habe. Möglicherweise wäre es in der Tat zu einem Fehler gekommen und er habe die Daten irrtümlich aus Ms1 übernommen. Zu den verschwundenen Gewebeschnitten sagt Herr Savaskan, die habe Herr Kühbacher bekommen. Zudem stellt Savaskan fest, daß Kühbacher vor der Sitzung 21/2 Stunden alleine vor der Kommission seine PowerPoint Präsentation zu der Sache gehalten habe.

 

Die nächste Anhörung der Charite Kommission fand am 24.2.2010 statt. Kühbacher brachte einige weitere Seltsamkeiten der Figur 2C des Ms2 zur Sprache. Dort wird die relative 75Se Aktivität in zehn verschiedenen Hirnregionen der Se- Ratte dargestellt. Seltsam ist, daß unterschiedliche Hirnregionen, anscheinend willkürlich, unterschiedlich oft gescannt wurden und dementsprechend die Mittelwerte und SDs mal aus 22 (CA3) mal aus 30 (Cortex) Zahlen bestimmt wurden, daß die Werte nicht mehr den 10 verwendeten Hirnschnitten zuzuordnen sind, daß 6 von 10 Fehlerbalken falsch berechnet wurden, und daß es bei den Nachkommaziffern eine auffallende Häufung gibt.

Für Leser, die übers Wochenende Zeit haben, hier die Excel Datei der Daten zu Figur 2C Ms2 (PDF). Vielleicht finden Sie noch weitere Auffälligkeiten.

 

Die Versicherung Savaskans vom 18.12.09, daß das Abspeichern von ImageJ Dateien im Institut für Anatomie nicht üblich sei, soll Frau Ruiz bei Nachfragen am Institut bestätigt worden sein. Nach DFG Regularien müssen derartige Daten jedoch 10 Jahre lang aufbewahrt werden. Des weiteren, so Kühbacher, habe es sich herausgestellt, daß die Excel Datei zu den Hodenschnitten (Fig 3B, Ms2), die Savaskan im Dezember 2008 an Frau Beisiegel schickte, vom 5. Juli oder Juni 2008 stamme, also nach dem Einreichen des Ms2 beim Journal of Neurochemistry (am 14.2.2008) erstellt worden sei. Im Mai und Juni 2008 begann Kühbacher, Savaskan Druck zu machen.

Hinweis: Falls Sie Kommentare, Bemerkungen, oder eigene Beobachtungen zu dieser Serie loswerden wollen, unter LJBlog können Sie das gerne tun.

 

 

von Hubert Rehm

 

Als PDFs zum Download:

 

MS1 v4

MS1 v5

Ms2

Dalla Pu


Was bisher geschah:

Folge 1: Die Kontrahenten

 

Folge 2: Der Krach

 

Folge 3: Die Affäre eskaliert

 

Folge 4: Savaskan weist die Vorwürfe zurück

 

Folge 5: Nachforschungen des LJ-Reporters

 

Folge 6: Vermittlungsversuche

 

Folge 7: Der DFG-Ombudsman wird angerufen

 

Folge 8: Der Ombudsman fordert Unterlagen an

 

Folge 9: Der DFG-Ombudsman gibt an den DFG Ausschuß für Fehlverhalten ab

 

Folge 10: Kühbachers Generaluntersuchung

 

Folge 11: Frau Beisiegels Stellungnahme

 

Folge 12: Noch ein fehlerhaftes Paper: Das Nogo Paper

 

Folge 13: Juristische Nullnummer

 

Folge 14: Ein neuer Ermittler schaltet sich ein

 

Folge 15: Hugo Habicht widerspricht Adebar Storch!

 

Folge 16: Seltsame Endziffern

 

Folge 17: Zusammenfassung und Kommentar

 

Folge 18: Ergänzungen und Bemerkungen

 



Letzte Änderungen: 09.08.2010