Editorial

Grenzenlose Phantomgliedmaßen

Oftmals „fühlen“ Patienten ihre amputierten Arme immer noch. G. Lorimer Moseley von der Universität Oxford und Peter Brugger vom Universitätsspital Zürich berichten nun, dass diese ihre „Phantomarme“ mental in Imaginärbewegungen hineintrainieren können, die anatomisch eigentlich gar nicht gehen. Dieser „Denksport“ bewirke letztlich gar eine Änderung des Körperschemas, die man womöglich zur Linderung von Phantomschmerzen nutzen könnte.

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(13. November, 2009) Die Forscher ließen armamputierte Probanden, die ihren nicht mehr vorhandenen Arm noch lebhaft “fühlten”, in ihrer Vorstellung anatomisch unmögliche Bewegungen einstudieren. Nach eigenen Angaben gelang dies vier von sieben Probanden. Die Versuchsteilnehmer wurden über den Zweck der Studie im Dunkeln gelassen. Anschließend zeigten die Wissenschaftler ihnen Bilder menschlicher Hände und ließen sie beurteilen, ob es sich um eine rechte oder linke Hand handelte. Dazu rotieren die Versuchspersonen vor ihrem geistigen Auge aus einer vorgegebenen Ausgangsposition ihre eigene Hand, bis deren Position mit der abgebildeten Hand übereinstimmt. Die Probanden mit einer kürzeren Reaktionszeit konnten mental mit der Phantomhand die anatomisch unmögliche Bewegung durchführen. Sie hatten zudem den Eindruck, ein neuartiges kreiselbares Handgelenk im Phantomarm zu besitzen. Zwei der Probanden benötigten für anatomisch durchführbare Seitwärtsbewegungen der Phantomhand nun länger. (Zur PNAS-Veröffentlichung von Moseley und Brugger geht es hier.)

 

Moseley und Brugger schließen daraus, dass für motorisches Lernen weder ein sensorisches Feedback des Körpers noch ein äußeres Feedback über die tatsächliche Ausführung einer motorischen Aufgabe benötigt werden. Mit ihrem gesunden Arm führten die Versuchspersonen in ihrer Vorstellung langsamere, anatomisch mögliche Bewegungen durch. Dies lässt darauf schließen, dass sensorische Signale aus dem gesunden Arm der Suggestivkraft Grenzen setzen.

 

Moseley hält es für möglich, dass sich Phantomschmerzen durch mentales Training beeinflussen lassen. Manche Patienten mit Schmerzen im Phantomarm haben den Eindruck, dieser sei in einer bestimmten Stellung fixiert. Ein Patient hatte beispielsweise das Gefühl, seine Phantomhand klebe mit verdrehter Handfläche auf seinem Hinterkopf. Durch mentales Training könnte der Phantomarm in der Vorstellung in eine andere Position bewegt werden. Dies könnte die Lösung sein, um die Schmerzen zu beseitigen, so Moseley gegenüber Laborjournal.

 

Sport oder Memory?


Rüdiger Rupp, Forschungslaborleiter am Querschnittszentrum der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, betrachtet die praktische Bedeutung der Ergebnisse von Moseley und Brugger mit Skepsis. Rupp hat im Rahmen seiner Forschungsarbeiten Neuroprothesen für Hochquerschnittgelähmte entwickelt, die sich mittels schwacher Muskelanspannung oder sogar über Bewegungsvorstellungen steuern lassen. In der Veröffentlichung von Moseley und Brugger vermisst Rupp einen konkreten Beweis, dass die Probanden sich die einstudierte unmögliche Handbewegung tatsächlich vorstellen. “Dies könnte nur über eine funktionelle Magnetresonanztomografie der motorischen Hirnareale geklärt werden, die aktive Bereiche sichtbar macht”, sagte Rupp gegenüber Laborjournal. Die Ergebnisse von Moseley und Brugger zeigten lediglich, dass die Probanden gelernt hätten, ein visuelles Muster einer Bewegung wiederzuerkennen. Dass man das trainieren könne, sei eigentlich selbstverständlich. “Jeder von uns würde seine Schnelligkeit in einem Memoryspiel mit verschiedenen Handpositionen bei mehrmaligem Spielen verbessern. Vor allem, wenn es um die Wiedererkennung von “unmöglichen” Handpositionen geht.”, so Rupp. Ob die Erkenntnisse von Moseley und Brugger in einer neuen Therapie zur Verminderung des Phantomschmerzes umgesetzt werden können, müssen klinische Studien zeigen. Bei Querschnittsgelähmten fanden Rupp und seine Kollegen widersprüchliche Einflüsse von Bewegungsvorstellungen auf neurogene Schmerzen: bei manchen Patienten nahmen die Schmerzen zu, bei anderen nahmen sie ab.

 

Die Macht der Illusion


Seit Jahren wird bereits die Spiegeltherapie zur Behandlung von Phantomschmerzen eingesetzt. Bei dieser Methode wird der gesunde Arm des Patienten gespiegelt und der Eindruck erweckt, der amputierte Arm sei wieder vorhanden. Der Phantomarm kann so über den gesunden Arm gezielt beeinflusst werden, auch wenn es sich dabei um eine Sinnestäuschung handelt. Man nimmt an, dass sich dadurch das veränderte Körperschema im Gehirn wieder normalisiert.

 

Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 04.03.2013